Dunkle Wolken über Chiapas
Regierung ignoriert Forderungen der EZLN
Am 20. April 1995 sollte der Friedensdialog zwischen der mexikanischen Regierung und den Zapatisten in dem in den Höhen von Chiapas gelegenen Ort San Andrés Larráinzar beginnen. So war es elf Tage zuvor bei den ersten Sondierungsgesprächen in San Miguel, Landkreis Ocosingo, vereinbart worden. An der Sturheit der Regierung drohte der Dialog jedoch schon vor Beginn der Gespräche zu scheitern.
Daher waren am Nachmittag des 19. April 95 die Vorbereitungen in dem rund eine halbe Autostunde von San Cristóbal de las Casas entfernten Städtchen abgeschlossen. Auf dem Basketballplatz war für das Zusammentreffen zwischen den zapatistischen Delegierten und den Abgesandten der Regierung eine Baracke errichtet worden, so wie es zuvor hunderte von Delegierten der 46 Gemeinden dieses Landkreises beschlossen hatten.
Da die Regierung den Dialog nicht in Mexiko-Stadt stattfinden lassen wollte, brachen Staatsvertreter und Presse auf in das Land der Tzotzil-IndianerInnen, der Fledermaus-Menschen, wie sie sich selbst nennen.
Der Dialog : Das Volk wird ausgesperrt
Tausende Indígena-Familien erreichten am Nachmittag des 19.April das Ortszentrum, um bei dem für ihre Zukunft so wichtigen Ereignis dabei zu sein. Gekleidet in ihre traditionellen Trachten und mit pro-zapatistischen Spruchbändern säumten sie die Straßen und bereiteten den in der Nacht eintreffenden Comandantes der EZLN Tacho, David, Zebedeo, Guillermo, Ramón, Moisés und Galindo einen würdigen Empfang.
Das Tagungsgebäude befand sich unter dem Schutz einer dreifachen Menschenkette. Den ersten Ring bildeten örtliche Tzotziles, den zweiten Mitglieder verschiedener Nichtregierungsorganisationen und den dritten unbewaffnete Polizei-Einheiten.
Doch gerade die unbewaffneten und zum Großteil barfüßigen Indígenas dienten Sprechern der Armee, die sich mit tausenden Soldaten und schwerster Bewaffnung in unmittelbarer Umgebung verschanzt hielt, zum Anlaß, den Dialog wegen “fehlender Sicherheit für die Regierungsvertreter” aufzuschieben.
Die Regierung begann in der staatlich kontrollierten Presse mit einer Kampagne, und die EZLN und die Vermittlerorganisation CONAI durch “Nichterfüllung der Sicherheitsgarantien” für das Scheitern der Gespräche verantwortlich zu machen. Die Repräsentanten der EZLN äußerten sich dazu folgendermaßen: “Die hier versammelten 7.000 Indígenas sind nicht gekommen, um den Dialog zu stören, sondern um sich mit der Suche nach einem Frieden in Würde und Gerechtigkeit, etwas, das sie nie kennengelernt haben, zu solidarisieren “. Nach vielen Beratungen der Tzotziles-Vertreter mit CONAI und EZLN verließen die Familien den Ort, in dem nun ohne sie über ihre Zu-kunft verhandelt werden sollte. In tiefer Nacht, bei strömendem Regen und beißender Kälte, zo-gen die Menschen ihren Gemeinden entgegen, desillusioniert von einer Regierung, die erneut ihren Rassismus unter Beweis gestellt hat und diejenigen ausschließt, die sie nicht versteht, nie verstanden hat, nicht verstehen will und lediglich als Propagandamittel mißbraucht, eben wie immer.
Natürlich war der gesamte Dialogverlauf durch die Bedingungen geprägt, die die mexikanische Regierung durch die Vertreibung der Indígenas geschaffen hatte. Selbst die Menschenkette der Tzotziles war verschwunden und somit die zapatistische Delegation mehr oder
weniger schutzlos eventuellen Angriffen der Regierungstruppen ausgesetzt. Dazu Comandante David: “Uns ist es nicht wichtig, ob wir von Militärs umstellt sind und Gewehrläufe und Panzer auf uns gerichtet sind. Wenn die Indígenas uns auffordern an diesem Ort den Dialog mit der Regierung zu führen, dann tun wir das. Aber uns überrascht, daß sich Männer und Frauen, die mit dem Wunsch nach einem gerechten und würdigen Frieden gekommen sind, zurückziehen müssen, um den Dialog zu ermöglichen”
Die Arroganz der Macht
Diejenigen, die sich irgendwelche Hoffnungen auf Fortschritte gemacht hatten, wurden bitter enttäuscht. Auf die Vorschläge der EZLN ging die Regierungsseite unter dem Vorsitz von Marco Bernal Gutiérrez nicht ein, ganz im Gegenteil. Die Regierungsvertreter, die Comandante Tacho nach Beendigung des Dialogs als Rassisten bezeichnete, wollten den Delegierten der EZLN eine Totalkapitulation befehlen. Die EZLN solle sich in drei verschiedenen Lagern zur Entwaffnung einfinden, wo sie Nahrungsmittel und ärztliche Betreuung erhalten würden. Im Gegenzug würde die mexikanische Armee ihre Präsenz reduzieren. Über einen von der EZLN geforderten Rückzug der Besatzungstruppen aus der Selva Lacandona auf die Positionen vom 8. Februar 95 wurde nicht geredet. Ohne konkrete Ergebnisse wurde der Dialog am 22. April beendet, jedoch eine Fortführung der Gespräche für den 12. Mai angesetzt. Die EZLN hatte diese 20-Tage-Frist erbeten, um die indianischen Völker von Chiapas über die Vorschläge der Regierung, die die Comandantes als Witz (burla) bezeichneten, beraten zu lassen.
Die Art und Weise, in der die Regierung bei dem Dialog autrat, geben zu Befürchtungen Anlaß, da es Präsident Ernesto Zedillo nicht an einer Lösung gelegen ist. Es wird nach Möglichkeiten gesucht, die EZLN für das Scheitern der Gespräche verantwortlich zu machen, um einen militärischen Vernichtungsschlag durchführen zu können.