Ecuador | Nummer 395 - Mai 2007

Ecuador bleibt auf Linkskurs

Deutliches Ja für die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung

Vier Fünftel der WählerInnen Ecuadors möchten eine Verfassunggebende Versammlung. Präsident Rafael Correa sieht darin einen „historischen Sieg“ für die Demokratie. IWF und Weltbank erteilt der Sozialist eine deutliche Absage.

Gerhard Dilger

Rafael Correa hat allen Grund zu feiern. Bereits eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale begann der strahlende ecuadorianische Präsident seine Pressekonferenz in der Küstenmetropole Guayaquil. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass eine überwältigende Mehrheit der EcuadorianerInnen die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung befürwortet. Das Endergebnis übertraf die Nachwahlumfragen sogar noch deutlich, denn die Wahlbeteiligung lag mit 72 Prozent höher als erwartet: Fast 5,4 Millionen Menschen (81,7 Prozent) stimmten mit Ja.
Correa bezeichnete das Ergebnis als „historischen Sieg“ für die Demokratie, als „erdrückenden Sieg“ für das Ja. Er werde nicht den Dialog „mit denselben wie immer“ suchen, sagte er in Anspielung auf die diskreditierten PolitikerInnen der traditionellen Parteien, sondern die „besten Männer und Frauen“ des Landes für die Bildung seiner Wahlliste suchen. Auch mit dem Expräsidenten Lucio Gutiérrez, in dessen Hochburg Napo in Amazonien es die meisten Nein-Stimmen gab, schloss Correa eine Verständigung aus: „Er verfügt über keine der drei Grundvoraussetzungen: Patriot zu sein, saubere Hände und einen klaren Verstand zu haben.“
Ähnlich wie Evo Morales in Bolivien strebt der Linksnationalist Correa eine verfassungsrechtliche „Neugründung“ seines Landes an. Unterstützt wird er dabei von den Basisorganisationen der Indígenas und der AfroecuadorianerInnen. Luis Macas vom Indígena-Dachverband CONAIE kündigte an: „Wir werden von der Verfassunggebenden Versammlung aus regieren. Wir werden den alten Staat hinwegfegen und mit den Privilegien einer Hand voll Reicher aufräumen.“
Durch die neue Verfassung möchte Correa die institutionelle Krise der letzten zwölf Jahre überwinden – er selbst ist bereits der achte Präsident seit 1996. Bei den Kongresswahlen im vergangenen Oktober hatte er auf die Bildung einer eigenen Liste verzichtet und in den Wochen vor der Volksabstimmung sogar mit seinem Rücktritt kokettiert. „Das war Taktik“, räumte Innenminister Gustavo Larrea nach dem Sieg ein. „Wir waren uns immer sicher, dass wir gewinnen würden. Der Präsident wollte alle demokratischen Kräfte mobilisieren, und das Ergebnis sehen wir jetzt.“

Bruch mit IWF – Warnung an Weltbank

Auf seiner Pressekonferenz attackierte der 44-jährige Staatschef zugleich die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds IWF. Ecuador habe seine Restschulden beim IWF am Donnerstag beglichen, sagte Correa und fügte hinzu: „Wir wollen nichts mehr von dieser internationalen Bürokratie hören. Wir werden uns von niemandem mehr erpressen lassen.“ Die Weltbank in Ecuador werde er des Landes verweisen, falls sie „keine zufriedenstellende Erklärung“ über eine bezeichnende Episode des Jahres 2005 liefern könne. Als Correa damals für wenige Wochen Wirtschaftsminister war, hatte die Weltbank einen bereits zugesagten Kredit über 100 Millionen US-Dollar zurückgehalten.
Entsprechend gehört der Ökonom Correa zu den entschiedensten Verfechtern einer Bank des Südens (Bancosur). Von deren Nutzen muss aber vor allem noch sein brasilianischer Kollege Lula überzeugt werden, damit das Projekt die nötige kritische Masse erreicht (siehe auch Artikel zu Regionale Integration auf Seite 17/18).
Correa bemühte sich aber auch, Ängste im bürgerlichen Lager zu zerstreuen: An der im Jahr 2000 eingeführten Dollarisierung werde er während seiner Amtszeit festhalten, sagte er. Und auf den immer wieder geäußerten Vorwurf, er folge den Vorgaben von Hugo Chávez, anwortete Correa: „In Ecuador gibt es eine Regierung und einen Präsidenten, die als Instrument der Bürgermacht dienen. Wir werden nicht zulassen, dass in unserem Land ein ausländisches Machtmodell installiert wird.“

Demokratie ohne Parteien

Die Opposition zeigte sich gespalten: Während sich viele PolitikerInnen wegduckten und andere für das Nein warben, stimmte der Christsoziale Jaime Nebot mit Ja. Der Bürgermeister von Guayaquil forderte die bürgerlichen Parteien auf, sich am neuen Verfassungsprozess zu beteiligen: „Den Wandel kann man nicht von außen herbeiführen. Für einen totalitären Ansatz gibt es keinen Platz, denn die Vollmachten der Abgeordneten sind beschränkt.“
Ungeachtet der üblichen Unkenrufe der Rechtspresse, die wieder einmal „Populismus“ und „Autoritarismus“ heraufziehen sieht, kann das Ergebnis als Wunsch der Wahlbevölkerung nach einer Demokratisierung der Verhältnisse interpretiert werden. Nach einer oft zitierten Untersuchung des Umfrageinstituts Latinobarómetro vom vergangenen Jahr halten 54 Prozent der EucadorianerInnen die Demokratie für die beste Regierungsform, deutlich mehr als etwa in Brasilien (46 Prozent). Allerdings waren damals gerade elf Prozent der Meinung, Correas Vorgängerregierung habe für die breite Bevölkerung regiert. Der niedrigste Wert in ganz Lateinamerika. Auf Parteien und Kongress wollten 45 beziehungsweise 42 Prozent verzichten – das sind die zweithöchsten Werte hinter Bolivien. Wie schon bei den Präsidentschaftswahlen vor einem halben Jahr setzte Correa darauf, dass die Bevölkerung das Gezänk der alten Parteien, die Korruption und den Nepotismus satt hat. Und mit dieser Strategie hatte er noch mehr Erfolg als das letzte Mal. Doch jetzt beginnt der weitaus schwierigere Teil seines Projekts: Ein Modell zu entwickeln, das viel mehr als in Venezuela und auch in Bolivien die Beteiligung von Volksbewegungen, aber auch der fortschrittlichen Teile der urbanen Mittelklassen, garantiert.
Im Oktober dürften die 130 Abgeordneten zur Verfassunggebenden Versammlung gewählt werden und bis 2008 ein neues Grundgesetz erarbeiten. Darüber soll erneut eine Volksabstimmung stattfinden.

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