Editorial | Nummer 295 - Januar 1999

USA und Pinochet – gemeinsame Geschichte verbindet

LN

„He is a son of a bitch, but he is our son.“ Diese Charakterisierung des nicaraguanischen Diktators Anastasio Somoza durch US-Präsident Truman vor rund 50 Jahren bestimmte lange Jahre auch die Haltung der Administration in Washington zu Augusto Pinochet. Es ist kein Geheimnis, daß die CIA eine führende Rolle bei der Destabilisierung der Unidad Popular-Regierung und der Vorbereitung des Putsches gegen Salvador Allende spielte. So ist auch die unlängst publik gewordene Aussage eines früheren CIA-Mitarbeiters, Pinochet sei eine „Schöpfung“ des US-Geheimdienstes, wenig überraschend.
Etwas unerwarteter erscheint auf den ersten Blick das kürzliche Eingeständnis von US-Außenministerin Madeleine Albright, die USA hätten „in Lateinamerika schwere Fehler begangen“. Zumindest indirekt zählte sie auch die jahrelange Unterstützung der Diktatur in Chile zu diesen Fehlern.
Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, wie sehr sich die USA derzeit bemühen, eine Auslieferung des chilenischen Ex-Diktators nach Spanien zu verhindern, verfliegt die Hoffnung, die USA hätten tatsächlich viel dazu gelernt. So ist die Behauptung, eine Anklage gegen Pinochet in Madrid führe zu einer „Destabilisierung der jungen chilenischen Demokratie“, schlicht skandalös – schließlich hätte es ohne die USA erst gar keine Unterbrechung der jahrzehntelangen demokratischen Tradition in Chile gegeben.
Es gibt wohl zwei Gründe für den Versuch der USA, eine Anklage gegen Pinochet in Spanien zu verhindern. Da ist zum einen die Angst, Europa könne in Lateinamerika zuviel Einfluß gewinnen. Die Konkurrenz um die Vormacht südlich des Rio Grande ist in vollem Gange. Wie schon immer vermischen sich da politische Interessen – dem Weltpolizisten USA soll niemand seine Hemisphäre streitig machen – mit wirtschaftlichen – Lateinamerika ist ein großer und attraktiver Markt.
Zum anderen geht es um die Definitionsmacht, was ein Verbrechen und also zu sanktionieren ist. Darüber wollen die USA gerade in ihrem Hinterhof noch immer selbst bestimmen. Und da möchten sie sich keinesfalls von einem spanischen Untersuchungsrichter reinreden lassen. Sonst könnte ja, wenn eines Tages der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnimmt, noch jemand auf die Idee kommen, die USA für ihre Verbrechen in Lateinamerika zu belangen – wie beispielsweise für die Verminung nicaraguanischer Häfen durch die CIA im Jahre 1983.
Auch wenn die Lateinamerika-Politik der USA heute nicht mehr die gleiche ist wie vor 25 Jahren und durchaus Unterschiede zwischen Clinton und Nixon oder Albright und Kissinger bestehen, eines darf nicht vergessen werden: Die USA haben Pinochet nicht nur an die Macht gebracht, der Diktator war auch stets Garant dafür, daß Milton Friedmans Chicago-Boys ungestört am Modell Chile arbeiten konnten. Ein ganzes Land als Experimentierfeld für die Ideologen des Neoliberalismus, das verpflichtet.
Insofern ist Pinochet auch heute noch ein „son of a bitch“ der USA. Die gemeinsame Geschichte verbindet. Hier liegt auch der Grund für die Empfehlung, Pinochet solle in Chile selbst vor Gericht gestellt werden. Die US-Regierung weiß natürlich, daß dies niemals passieren wird – und würde auch nichts dafür tun, daß es jemals dazu käme. Schließlich haben die USA, die dazu durchaus in der Lage wären, bislang erst in einem einzigen Fall für eine Anklage wegen der unzähligen Menschenrechtsverletzungen in Chile gesorgt. Die Rede ist vom ehemaligen chilenischen Außenministers Orlando Letelier, der – zusammen mit einer US-amerikanischen Mitarbeiterin – in Washington ermordet wurde. Und daß der Staatsterror, den sie selbst fördern, in ihr eigenes Land verlagert wird, das können die USA gar nicht leiden.

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