Eigene Blockaden überwinden
Interview mit dem kubanischen Außenminister Roberto Robaina
María Urruzola: Sie sprechen von einem Modell der ökonomischen Umwandlung, an dem in Kuba gearbeitet wird. Allerdings bestehen Leute wie Carlos Lage darauf, kein neues Modell anzustreben; vielmehr gehe es darum, das sozialistische Modell zu erhalten. Sowohl Sie als auch Carlos Lage gelten als Schlüsselfiguren in der gegenwärtigen politischen Führung. Würden Sie Widersprüche zwischen Ihren Positionen ausmachen?
Roberto Robaina: Da wir uns unterschiedlich ausdrücken, kann dieser Eindruck entstehen, grundsätzlich gibt es jedoch keinen Widerspruch. Ich wähle lieber den Weg der allgemeinen Nachvollziehbarkeit und verzichte auf die übliche Kategorisierung. Ich möchte keine Bezeichnung für dieses Modell beibehalten, die so global nicht mehr zutrifft, aber auch nicht eine andere importieren, mit dem wir nichts anfangen können. Aus diesem Grund ziehe ich es vor, dieses Modell, an dem wir arbeiten, folgendermaßen zu charakterisieren: Es ist ein sehr kubanisches, durchsetzungsfähiges Wirtschaftsmodell, mit vielen Änderungen und mit Platz für viele Neuerungen. Es gibt aber auch Aspekte, die wesentlich sind und beibehalten werden, und das sind gerade die, die Carlos Lage verteidigt. Es kann nicht darum gehen, das alte Modell einfach beizubehalten.
Ihre Generation wurde nach dem Prinzip “Kuba gehört den Kubanern” erzogen. Heute wird mit diesem Grundsatz gebrochen; ausländisches Kapital soll einen festen Platz in der Wirtschaft einnehmen. Es stellt sich das Problem der Einflußnahme von Kapitalgebern auf Entscheidungsprozesse. Ich habe bei den Kubanern gewisse Schwierigkeiten wahrgenommen, dies zu akzeptieren.
Nur gewisse Schwierigkeiten? Für uns Kubaner ist das alles sehr schwer zu verstehen. Aber unser Erfolg gründet sich nicht darin, aufrechtzuerhalten, was unter anderen Bedingungen galt, sondern in unserer Fähigkeit, uns an die jetzige Situation anzupassen. Ebenso wie unter dem von Ihnen erwähnten Motto wurde ich dazu erzogen, mich neuen Zeiten anzupassen. In diesem Anpassungsprozeß geht es darum, inwieweit Kuba weiterhin den Kubanern gehört – mit neuen Spielregeln. Wir können nicht in der Stagnation verharren. Aber zu behaupten, das würde leicht verstanden, grenzte an Selbstbetrug. Es ist ein komplexer und anstrengender Prozeß, selbst für die jüngeren Generationen. Schließlich sind sie unter einer Reihe von Postulaten großgeworden, die heute – wie auch immer – an die Realität angeglichen werden müssen. Das alles erfordert eine enorme Überzeugungskraft.
Wesentliche Errungenschaften der Revolution verteidigen
Wenn Sie vom “Wesentlichen” sprechen, das es zu verteidigen gilt, worauf beziehen Sie sich dann?
Wesentlich ist für uns die Souveränität, die Unabhängigkeit. Es ist wesentlich, mit eigener Stimme zu sprechen und nicht darauf zu warten, daß uns irgendjemand vorgibt, was wir tun sollen.
Daß die Kindersterblichkeit nicht ansteigt, daß die Lebenserwartung nicht sinkt, daß niemand Geld, Beziehungen oder Verwandtschaft benötigt, um einen Beruf zu erlernen und auszuüben. Daß wir unseren Einsatz bei den Olympischen Spielen nicht zurückschrauben müssen, daß wir den Bereich der Wissenschaft weiter entwickeln.
Wesentlich ist heute für uns nicht, ob wir in der Ökonomie ein gemischtes Modell anstreben, oder die Liberalisierung der privat ausgeübten Arbeit. Ebensowenig geht es darum, ob wir den Bauern einen Teil des Bodens zur Eigenbewirtschaftung zeitlich unbegrenzt überlassen. Auch eine Umstrukturierung des staatlichen Verwaltungsapparates gehört nicht zu den wesentlichen Dingen.
Momentan wird in Kuba viel an der Rolle des Staates in der vorangegangenen Periode kritisiert, als Maßnahmen für eine wirtschaftliche Unabhängigkeit noch hätten ergriffen werden können – was nicht geschah. Nicht alle sind davon überzeugt, daß die jetzige Situation nur dem Zusammenbruch im Osten und der US-Blockade geschuldet ist. Dabei wird die Frage gestellt, wie groß die ökonomische Bedeutung der Blockade denn wirklich ist. Man spricht in diesem Zusammenhang von Verschwendung und von Verantwortungslosigkeit. War die Führung des Landes unfähig, wirtschaftspolitische Alternativen hervorzubringen?
Wir haben in bezug auf dieses Thema öffentlich Selbstkritik geübt. Meiner Meinung nach waren wir zu leichtfertig. Wir waren lange Zeit an einen Verteilungsmechanismus gewöhnt, der bestimmten Sektoren das Überleben garantierte und uns glauben machte, daß sie auf ewig bestünden. Dabei haben wir übersehen, daß beispielsweise eine verantwortungsvollere Agrarpolitik und eine gleichzeitige Förderung der Verbrauchergewohnheiten der Bevölkerung angebracht gewesen wären.
Wir haben als Staat eine sehr ernste Verantwortung auf uns genommen. Als wir begonnen haben, Korrekturen vorzunehmen, dachten wir, wir hätten viel Zeit. Aber dann gerieten wir in eine äußerst prekäre Lage, und zwar viel schneller, als vorhersehbar war.
Das ist unser heutiges Dilemma: In welchem Maße soll der Staat in den Sektoren weitermachen, in denen er sich als effizient erwiesen hat, und welche Veränderungen sollen dort Priorität haben, wo er dies nicht getan hat?
Ich glaube, es ist eindeutig, daß Fehler auf eine mechanische Art und Weise weitergeschleppt wurden. Das darf nicht wieder geschehen. Ich teile die Meinung derer, die behaupten, der Staat habe eine Zeit lang Maßnahmen angewandt, die zur Stagnation geführt haben. Und ich gehöre zu denen, die glauben, daß obwohl die US-Blockade heute das größte Hindernis darstellt – es auch Probleme gibt, die nicht von der Blockade abhängen. Es gibt auch eine andere, eigene Blockade, die mit unseren Fehlern, mit unserer Bürokratie, mit unserer Unfähigkeit zu tun hat, manche Probleme zu lösen. Das Land kann nicht weiter darauf warten, daß die Blockade aufgehoben wird. Wir müssen sie ununterbrochen verurteilen – und früher oder später wird sie aufgehoben werden – aber wir können nicht einfach untätig herumsitzen und abwarten. Wir mußten ganz zweifelsohne unter Druck und in einer sehr schwierigen Lage dazulernen. Hätten wir früher damit angefangen, befände sich das Land nicht in dieser wirtschaftlichen Verfassung.
Das Verhältnis zum kubanischen Exil
Viele Jahre lang war das Thema der Kubaner im Exil enorm politisch aufgeladen. Wer ging, der war ein “gusano” (Wurm), der übte Verrat. Unter dieser Voraussetzung ist eine gesamte Generation – die Ihre – mit der Verachtung Ihrer Landsleute im Ausland aufgewachsen. Plötzlich ist das alles anders, und man sagt dem Volk, daß die Kubaner im Ausland – bis auf die, die eine “hysterische Politik” betreiben – ein Anrecht darauf haben, am Schicksal des Landes mitzuwirken: Ein sehr drastischer Wandel.
So plötzlich kam das nicht. Wir sprechen jetzt von mehr als dreißig Jahren, und diese neue Etappe hat auch schon ihre Geschichte. Es ist nicht das erste Mal, daß das Land Beziehungen zu Kubanern außerhalb Kubas unterhält, und einen Wandel hat es nicht nur im Land, sondern auch außerhalb gegeben. Die Kubaner, die in anderen Ländern leben, lassen sich nicht mehr durch die Fanatiker charakterisieren, die sich die vollkommene Repräsentation der Auslands-Kubaner anmaßten. Ein Teil hat jahrelang stillgehalten, aus der Angst heraus, angefeindet zu werden. Inzwischen haben aber viele ihr Schweigen gebrochen, was den Hysterikern Sorgen bereitet.
Es gibt zwei Alternativen: Entweder wir strecken eine Hand aus und kümmern uns um die Verbindung zwischen Kuba und den Emigranten – wie es jedes Land der Welt macht, um eine normale, zivilisierte Beziehung herzustellen – oder diese Masse an Menschen bleibt weiterhin ein Instrument feindlicher Interessen.
Wenn man sie irgendwann als Würmer bezeichnet hat, hatte das mit der jeweiligen Situation zu tun. Es geht auch nicht darum, heute vor Reue zu zerfließen. Wichtig ist es, sich auf der Höhe der neuen Zeit zu befinden und sich um das Wesentliche zu kümmern. Und hier wäre das Wesentliche eben eine normalisierte Beziehung unter der Bedingung, daß keiner, der das Land verlassen hat, uns Hiergebliebenen irgendetwas vorschreibt.
Das sind die neuen Spielregeln. Natürlich verstehen das nicht alle. Aber ich glaube an die Leute, die Zweifel haben. Sie erscheinen mir ehrlicher, und ich bin bereit mit ihnen zu diskutieren.
Aufgrund der herrschenden Gesetzgebung in Kuba gibt es keine Beschränkung der Herkunft ausländischen Kapitals, das auf der Insel investiert wird. Bedeutet das, daß auch die Kubaner im Ausland auf Kuba investieren können?
Ein ernstes Problem. Kuba kann nicht per Gesetz einen Prozeß ausländischer Investitionstätigkeit einleiten und sagen: Alle werden zugelassen, nur nicht die Kubaner, die das Land verlassen haben. Das wäre nicht durchsetzbar. Das Problem liegt darin, daß viele Wunden noch nicht verheilt sind. Meiner Ansicht nach muß man ein Klima des Vertrauens in bezug auf ausländische Direktinvestitionen schaffen, denn viele Kubaner haben die Notwendigkeit dahinter noch nicht erkannt.
Ich konnte auf Kuba nicht feststellen, daß ein Mehrparteiensystem ein echtes Anliegen der Kubaner ist. Was andererseits aus der Sicht vieler Kubaner wirklich notwendig wäre, ist die Trennung von Staat und Partei, die Wiederaufwertung der Zivilgesellschaft und der Rolle der Bürger. Es scheint den Kubanern ein Anliegen zu sein, daß sich die Partei aus Bereichen verabschiedet, in denen sie eigentlich nichts zu suchen hat. Ist das tatsächlich so?
Ich freue mich, daß Sie beide Ansichten wahrgenommen haben, vor allem in bezug auf Forderungen nach einem pluralistischen Parteiensystem, das für mein Land nicht an erster Stelle steht. Schließlich hat die Einheitspartei meines Landes in der Praxis mehr Probleme gelöst als die vielen Parteien anderer Länder. Das ist ein sehr kubanisches Phänomen, und hat mit Bedrohungen zu tun, die immer noch bestehen. Dennoch teilt die Partei selbst die Sorge eines großen Teils der Bevölkerung, die staatlichen Aufgaben einzuschränken. Wir haben das in der letzten Zeit vehement diskutiert. Als die Partei die Aufgaben der Verwaltung übernahm, erfüllte sie diese zum Teil nicht richtig und vernachlässigte auf der anderen Seite wichtige politische Aufgaben. Wir müssen uns heute entscheiden, in welchen Bereichen wir die Partei, und in welchen die Regierung und den Staat stärken. Das erfordert einen Umbau staatlicher Machtstrukturen, und ich glaube, wir haben da noch eine Menge vor uns.
Auf dem neuen Weg, der eingeschlagen wurde, zeigt sich immer stärker ein neues Gesicht Kubas: das der Unterschiede der Chancen, der Möglichkeiten, der Dollars. Es scheint, als ob dies einen unumkehrbaren Verfall jener ethischen Werte hervorruft, auf denen die Revolution basierte. Empfindet das die politische Führung des Landes auch so?
Das gehört zu den unvermeidlichen Risiken. Schlimmer wäre es jedenfalls, wenn wir uns der Realität nicht stellten. Ich glaube schon, daß wir es heute mit einer Welt der Unterschiede, der Ungleichheiten zu tun haben, aber ich möchte auch klarstellen, daß diese Ungleichheiten weitaus schlimmere Folgen hatten, solange sie sich in der Illegalität abspielten. Die Straffreiheit des Dollarbesitzes hat die Unterschiede nicht herbeigeführt, sie hat nur sichtbar gemacht, was schon seit geraumer Zeit der Fall ist. Wir müssen uns entscheiden: entweder wir verschließen die Augen vor dieser Realität, oder wir suchen ganz offensiv mögliche Ausgleichsmechanismen.