Musik | Nummer 438 - Dezember 2010

Ein afrokubanischer Traum

Das Album AfroCubism ist eine gelungene Fusion aus kubanischer und malischer Musik

Mit dem Buena Vista Social Club wurden Son, Guaracha und Co. weltweit bekannt. Doch eigentlich sollten damals zwei Musiker aus Mali mit Eliades Ochoa und seinem Cuarteto Patria ins Studio. Doch wegen Passproblemen kamen die Afrikaner nie an. Zwölf Jahre später wurde die Idee aus der Schublade gezogen und herausgekommen ist ein afrokubanisches Album – AfroCubism.

Knut Henkel

Als bei Bassekou Kouyaté im Frühjahr 2008 das Telefon klingelte und sich Nick Gold meldete, wusste er sofort, worum es ging. „Lange hatte ich auf den Anruf gewartet, denn die Lust mit den Kubanern ins Studio zu gehen, hatte ich nie verloren“. Bassekou Kouyaté ist Malis Mastermind am Ngoni, dem afrikanischen Banjo und gemeinsam mit seinem Kollegen Djelimady Tounkara
sollte er bereits im Frühjahr 1996 nach Havanna reisen.
Geplant war eine Session im legendären Egrem-Studio in der Calle San Miguel im Herzen Havannas, und die beide Musiker aus Mali, der eine am Banjo, der andere an der E-Gitarre, sollten für eine afrikanische Note sorgen. „Dort sollte das erste kubanisch-malische Album der Musikgeschichte eingespielt werden und klar war, dass diese beiden beim zweiten Anlauf dabei sein würden“, erklärt Nick Gold mit leuchtenden Augen.
Der Chef und Produzent vom World Music Label World Circuit ist zufrieden, dass er seine ursprüngliche Idee noch einmal aus der Schublade gezogen hat und eine Handvoll Musiker aus Mali auf das Cuarteto Patria von Eliades Ochoa hat treffen lassen. Ort des Soundclash zweier auf den ersten Blick recht unterschiedlicher Kulturen war Madrid. Neutrales Terrain und gleichzeitig die Brücke nach Afrika, könnte man meinen. Doch weit gefehlt: So bedeutungsschwanger wollte der Produzent aus London den zweiten Anlauf gar nicht in Szene setzen. Nach so vielen Jahren der Warterei wollte Gold möglichst wenig Aufhebens machen. „Madrid hat sich angeboten, weil sowohl Eliades Ochoa als auch Bassekou Kouyaté dort eine Woche Tourpause hatten, und so haben wir das Studio gebucht“, erzählt der 49-jährige Weltmusikfan. Natürlich erst, als die restlichen Musiker auch dazustoßen konnten.
„Am Anfang ist es ein bisschen stressig gewesen“, erinnert sich Eliades Ochoa. „Man muss sich eben erst einhören. Aber dann sprang der Funken über“. Dass die Chemie zwischen den Kubanern und den sechs Musikern aus Bamako stimmt, ist auf der Bühne kaum zu übersehen. Schon bei den Proben zum ersten Konzert der zwölfköpfigen Band Anfang Juli im spanischen Cartagena liefern sich Bassekou Kouyaté und Eliades Ochoa schmunzelnd kleine Saitenduelle. Lachend wenden sie sich wieder Nick Gold zu, der die Reihenfolge der Stücke für das Konzert am Abend festlegen will.
Das Angebot ist reichhaltig, denn schon bei der ersten viertägigen Session im Studio in Madrid kamen sechzehn oder siebzehn Stücke zusammen – darunter mit „Al Vaivén de mi Carreta“ eine Interpretation des Stückes, welches letztlich die Idee zu dem Album lieferte. Bei seiner ersten Kubavisite Anfang der 90er Jahre fiel Nick Gold ein Album des kubanischen Komponisten Ñico Saquito in die Hände. Fasziniert sei er gewesen, als er das prägnante Gitarrenspiel von Eliades Ochoa hörte. Irgendwann sei ihm dann die Idee gekommen, die Virtuosen vom einen Ende des Atlantiks mit denen vom anderen zusammenzubringen – aus Mali. Dass es passt und nicht nur eine Idee eines spleenigen Plattenproduzenten ist, daran lässt Eliades Ochoa keinen Zweifel aufkommen. Der 64-Jährige mit dem schwarzen Cowboyhut, dem Markenzeichen der Bauern im Osten der Insel, ist stolz auf seine „Guajira africana“, wie er die afrikanische Version von „Al Vaivén de mi Carrera“ nennt. Und er betont, dass es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen der Musik Malis und der Guajira und dem Son montuno seiner Heimat gäbe. Das Balafon, eine Art Xylophon, von Lassana Diabaté unterscheide sich doch kaum von der Marimba Kubas, und auch die Ngoni sei doch gar nicht so weit weg von der Laute.
Ähnlich locker sieht das Gitarrist Djelimady Tounkara. „In den Arrangements und den Harmonien liegt der Unterschied, doch die Basis ist die Gleiche“, erklärt der sympathische Mann mit der E-Gitarre. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb die Arbeit im Studio locker von der Hand ging. Ein anderer ist die Tatsache, dass sich die Musiker ausgiebig auf die Session vorbereitet hatten – viele schließlich gleich zweimal. So war klar, in welche Richtung es gehen würde. Und vielleicht wird AfroCubism daher auch den beiden Ländern, die ohne Zweifel zu den wichtigsten in der Weltmusikszene zählen, zur Ehre gereichen. Auf Stücken wie „Karamo“ dominieren die malischen Elemente, und beinahe schüchtern mischt sich Eliades Ochoa mit seinem unverkennbaren Spiel ein, während es bei „La Culebra“ umgedreht ist. Da unterstützt Djelimady Tounkara die Kubaner mit einigen prägnanten Riffen. Dass die Fusion funktioniert, zeigen Stücke wie „Nima Diyala“, einer groovenden Perle im Zeichen des Balafons, die mit kubanischem Swing aufwartet, oder „A La Luna Yo Me Voy“. Da sorgen die Saitenvirtuosen aus Mali für Klangkaskaden, die dem Spiel von Eliades Ochoa ganz neue Nuancen gibt. Das funktioniert, ohne dem kubanischen Stück die Essenz zu nehmen, und der gegenseitige Respekt der Musiker ist quasi hörbar.
Dabei ist es gar nicht nötig, noch einmal den alten Gassenhauer „Guantanamera“, quasi die inoffizielle Nationalhymne Kubas, neu einzuspielen und mit Kora, Ngoni, Balafon und Co. zu afrikanisieren. Weniger ist manchmal mehr, denn die Brücke zwischen Santiago und Bamako ist auch ohne den Rückgriff auf Altbewährtes recht stabil. Das zeigt allein schon die Tatsache, mit wie viel Begeisterung der Musiker bei der Sache sind. Bassekou Kouyaté ist ganz froh, dass es etwas länger gedauert hat, bis das Album eingespielt war. „Hätten wir es 1996 aufgenommen, wäre der kubanische Einfluss dominanter gewesen, denn wir wären schließlich nur zu zweit in Havanna gewesen“. In Madrid waren die Musiker aus Mali zu sechst, und so ist das Album sehr viel ausgewogener geworden. „Es ist kubanisch und afrikanisch“, urteilt der Mann mit dem afrikanischen Banjo – und ein zufriedenes Lächeln umspielt seine Lippen.

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