Honduras | Mexiko | Nummer 523 - Januar 2018 | Umwelt & Klima | Wirtschaft

EIN ANDERES KONZEPT DES LEBENS

Interview mit dem Umweltaktivisten Gustavo Castro Soto

Wenn Gemeinden von Großprojekten erfahren, ist es meist schon zu spät. Lokaler Widerstand zieht Repression und schlimmstenfalls Morde nach sich, wie im Fall des Staudammprojekts Agua Zarca in Honduras. Gustavo Castro erläutert, welche Alternativen zurzeit in Mexiko und Honduras diskutiert werden: Um Interessendruck auf Territorien indigener und kleinbäuerlicher Gemeinden abzuwehren, sind vorbeugende Konzepte notwendig.

Interview: Jutta Blume und Ute Löhning

Kurz nach dem Mord an Berta Cáceres verteidigte der Weltbankpräsident Jim Yong Kim in Bezug auf Staudammprojekte das Recht auf Energie und Arbeit gegenüber dem Recht auf Land. Was würden Sie dieser Idee von „Entwicklung“ entgegensetzen?

Dieser Entwicklungsdiskurs basiert auf der Ausbeutung der Umwelt und hat schreckliche soziale Folgen. Den derzeitigen Funktionären der Weltbank ist vielleicht unbekannt, dass die Weltbank im Jahr 2000 den Bericht der Weltkommission für Staudämme finanziert hat. Das Resultat war für sie so schrecklich, dass sie den Bericht lieber verheimlichten. Durch die 45.000 großen Staudämme, die bis zum Jahr 2000 gebaut wurden, mussten 40 bis 80 Millionen Menschen umziehen. Außerdem sind tausende Hektar Wald und Mangroven verschwunden und die Bevölkerung ist nicht reicher, sondern ärmer geworden. Die Wasserkraftwerke haben 30 Prozent weniger Energie produziert als vorhergesagt, sodass sich die afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten mit den Staudammbauten verschuldet haben. So lässt sich der wachsende Widerstand erklären, der sich nicht nur in Lateinamerika, sondern in vielen Ländern des Südens, gegen das uns verkaufte Entwicklungsmodell richtet. Sie wollen uns weismachen, dass mit den Staudämmen Arbeitsplätze geschaffen werden, aber das stimmt nicht. Sie sagen, die Gemeinden würden elektrischen Strom erhalten, aber es gibt Gemeinden, die vor 40 Jahren umgesiedelt wurden und immer noch keinen Strom und kein Wasser haben, geschweige denn entschädigt wurden. Vor allem wird die Energie für weitere Megaprojekte gebraucht. Die Bergbauprojekte, die in Lateinamerika angeschoben werden, verbrauchen gigantische Mengen an Strom und Wasser, das dient als Rechtfertigung für die Staudämme.

Sind Ihnen Beispiele aus Honduras bekannt, bei denen die Energie aus einem Megaprojekt für den Bergbau oder eine andere Industrie genutzt wird?

In Honduras haben viele Menschen kein Trinkwasser und keinen Strom. Im Zuge des Staatsstreichs 2009 wurden viele Konzessionen für den Bau von Staudämmen und Minen vergeben. Dieser Prozess beinhaltet die Erkundung des Gebietes, bevor eine Mine oder ein Staudamm dann wirklich gebaut werden. In dieser Zeit müssen die Unternehmen ihre Finanzierung und den Grundbesitz sicherstellen. Das ist es, was die Leute derzeit in Honduras erleben: Gemeinden werden für den Bau von Wasserkraftwerken vertrieben. Der öffentliche Diskurs bleibt jedoch, dass ein Projekt wie Agua Zarca Elektrizität in die indigenen Gemeinden bringe. Und warum ist das bislang nicht geschehen?

Es gibt Gemeinden, die sich als frei von Bergbau erklärt haben. Haben diese Gemeinden bereits ihr eigenes Modell des „Guten Lebens”, des „Buen Vivir“?

Genau darüber hatte ich mit Berta angesichts der Welle von Konzessionen, die ja alle nach Grundbesitz verlangen, gesprochen. In Mexiko wurden 45.000 Bergbaukonzessionen vergeben, was 25 Millionen Hektar und damit der halben Landesfläche entspricht. In Guatemala sind es 30 Prozent, in Honduras ist man noch in der Konzessionsvergabe. Wir haben darüber gesprochen, dass wir immer erst reagieren, wenn wir bereits die Auswirkungen spüren. Aber wir bemerken nicht, dass das Projekt schon fünf Jahre früher begonnen hat. Das bedeutet, dass es auf Unternehmensseite bereits starke Interessen gibt und Millionen von Dollar oder Euro investiert worden sind: in die Erkundung, in Bestechungsgelder, in Verträge mit Transportunternehmen. Das Unternehmen wird das Projekt nicht mehr einfach so aufgeben. Statt direkten Widerstand zu leisten, sollten wir vorbeugen, indem wir von bergbaufreie und staudammenfreie Territorien schaffen. Wenn die Gemeinden reflektieren und analysieren, welche Ressourcen bei ihnen vorhanden sind, merken sie, dass diese früher oder später konzessioniert werden. Und wenn die Unternehmen einmal da sind, wird es sehr schwer, sie wieder loszuwerden. Das impliziert Mobilisierung, Repression, Tote, Gefängnis, all das, was wir tausendfach erlebt haben. Schützen wir unser Territorium also vorher!

Was heißt das konkret?

Bei den Treffen mit dem Lateinamerikanischen Netzwerk gegen Staudämme oder der Mesoamerikanischen Bewegung gegen Extraktivismus und Bergbau tauschen wir Erfahrungen aus und begeben uns an die Orte konkreter Bergbauprojekte. Wir sprechen mit den Betroffenen. So beginnen wir, Bewusstsein für Widerstand und Prävention zu schaffen. Aber das Problem bleibt immer: Was ist die Alternative, die wir uns wünschen, wenn wir nicht auf diese Weise Wasser und Energie haben wollen? Wir denken zumeist, dass das Problem technischer Natur ist, dass wir also nur die Energiequelle wechseln müssen. Die Bergbauunternehmen versichern daher, dass sie grünen Bergbau betreiben. In jedem Fall roden sie tausende Hektar Wald, weil sie immer noch Tagebau betreiben. Sie benutzen trotzdem eine Million Liter Wasser pro Stunde und 15 Tonnen Zyanid am Tag. Wenn die Leute an Krebs sterben, was ist grün an der Sache? Nun, die Maschinen werden nicht mit Benzin oder Diesel betrieben, sondern mit Biotreibstoffen.
Es geht daher nicht darum, die Energiequelle zu wechseln, um das Gleiche zu tun wie vorher. Das Problem ist politischer Art. Beispielsweise ist nicht die Windkraft problematisch, sondern die Verteilung. Baut man einen riesigen, zentralisierten Windpark oder gewinnen wir die Energie auf unseren eigenen Dächern? Dezentrale Lösungen werden vielfach bestraft. In Spanien gibt es eine Steuer auf Solarenergie. In Arizona ist es verboten, Regenwasser aufzufangen und zu nutzen, das Wasser muss bei den Wasserbetrieben gekauft werden. Das Problem ist auch, wie man mit den verschiedenen Ressourcen Energie erzeugt, ob man beispielsweise einen riesigen Stausee baut, und damit tausende Hektar Land überflutet und die Bevölkerung vertreibt. Nur weil Wasser „natürlich“ ist, wird diese Energie als grün und sauber angesehen. Das Schmutzige daran ist aber, wie die Dinge vonstattengehen.
Wenn wir nach Alternativen suchen, wollen wir immer, dass uns die Gemeinden die Lösung präsentieren. Es gibt keine globale Lösung. Jede Region muss zunächst herausfinden, was ihr politisches Problem ist, und nicht, was ihr technisches Problem ist. Wir müssen uns fragen, welche Art von Projekt wir aufbauen wollen, und dann erst, welche Art von Energie wir dafür brauchen. Und das nicht nur bei der Erzeugung von Strom, sondern auch bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln.

Stehen beispielsweise Kaffeekooperativen für die Vision einer anderen ökonomischen Basis? Dabei geht es ja darum, im solidarischen Handel einen gerechten Preis zu erzielen.

Wir tauschen nur die Feldfrucht aus, aber die Logik bleibt gleich. In einigen Gemeinden wird bereits diskutiert, ob das Problem mit dem Palmöls ist, dass sie dir viel oder wenig zahlen, oder ob es das System an sich ist. Genauso beim Kaffee oder beim Mais oder jeder anderen Monokultur. Eine andere Logik wäre es zu sagen: Lasst uns nicht nach außen denken! Es gibt schon fantastische Erfahrungen, wie in Kolumbien, und in Chiapas versuchen wir nun, Ähnliches umzusetzen. Wir werden für uns, für den Eigenbedarf produzieren. Als erstes müssen wir den Anbau diversifizieren und die Biodiversität erhöhen. Dann beginnt man Kriterien zu entwickeln, wie man ein agrarökologisches Projekt aufzieht, in dem keine Chemikalien eingesetzt werden und eine Vielzahl von Nahrungsmitteln erzeugt werden, die wiederum auf einem lokalen Markt verteilt werden. Das ist eine andere Herangehensweise als die, an die wir gewöhnt sind, nämlich die der Spezialisierung, der Monokulturen und des Exports. Dazu gehört auch der Kaffee. Wenn wir in Chiapas einen guten Preis erzielen, liegt es vielleicht daran, dass die Indigenen in Vietnam, in Brasilien oder in Guatemala von einem Hurrikan betroffen waren. Wir freuen uns, weil wir bessere Preise erzielen, aber auf wessen Kosten?

Sie wollen auf ein anderes Konzept von Entwicklung hinaus …

Ein anderes Konzept des Lebens, weil der Begriff Entwicklung aus dem Diskurs der Unternehmen und der Staaten stammt. Diese unendliche Entwicklung ist nicht nachhaltig, wir können damit nicht weitermachen. Das Bild ist zwar abgedroschen, aber wenn wir die gleiche Entwicklung für alle wollen, brauchen wir fünf Planeten. Deswegen hat man das Konzept des “Buen Vivir”, des “Guten Lebens”, entwickelt. Aber wie erhält es einen politischen Inhalt? Ich habe keine Ahnung, was das Gute Leben ist. Das Konzept muss erst entwickelt werden. In den indigenen Gemeinden von Chiapas gibt es das Lekil Kuxlejal, ein Konzept, unter dem die Indigenen eine gesunde Umwelt verstehen, die sich im Gleichgewicht befindet: Leben, Wasser, ausreichend Nahrungsmittel und dass es allen gut geht. Andere, in Oaxaca, sprechen von Kommunalität „comunalidad“, andere davon, eine gemeinsame Einheit, die „comun unidad“ aufzubauen. In jeder Region beginnen Menschen neue Konzepte zu entwickeln oder wiederzuentdecken, die nicht diesem Begriff der linearen, kapitalistischen Entwicklung entsprechen. Grundlegend erscheint mir dabei die Tatsache, dass es nicht um ein Konzept geht, das global angewendet wird. In jeder Region folgt es den eigenen Erfahrungen und Bräuchen. Und ich glaube, es gibt viele Arten glücklich zu sein. Es gibt viele Formen, das gute Leben aufzubauen.

 

 


Gustavo Castro Soto
ist Gründungsmitglied der Organisation Andere Welten Chiapas (Otros Mundos Chiapas), eine lokale Vertretung von Friends of the Earth in Mexiko. Der mexikanische Umweltaktivist engagiert sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für den Schutz indigener Territorien und ihrer Wasserressourcen gegen die Ausbeutung durch multinationale Bergbau-Konzerne. Zusammen mit Berta Cáceres, Koordinatorin des Zivilen Rates für Indigene und Basisbewegungen Honduras (COPINH), bereitete er in Honduras ein Treffen mit internationalen Akteuren in der Region der Lenka vor, als Cáceres ermordet wurde.


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