Ein Bürgermeister läßt die Linke träumen
Ein Bürgermeister läßt die Linke träumen
Bis weit nach Mitternacht mußten die über 2.000 Delegierten in der Peñarol-Sporthalle ausharren, dann war klar: Die Frente Amplio geht mit Tabaré Vázquez, zur Zeit Bürgermeister der Metropole Montevideo, bei der Präsidentschaftswahl am 27. November ins Rennen. Basiskomitees und an die zwanzig Parteien und politische Organisationen haben sich im Bündnis zusammengeschlossen – genug Stoff für Auseinandersetzungen. Umstritten und heiß diskutiert war vor allem die Frage der politischen Allianzen mit PolitkerInnen der traditionellen Parteien. So zum Beispiel mit den ChristdemokratInnen und den DissidentInnen der derzeit regierenden Nationalen Partei (Blancos). Der Sozialist Tabaré Vázquez hatte angedroht, seine Kandidatur für das Präsidentenamt zurückzuziehen, falls der Kongreß kein grünes Licht für Verhandlungen über eine “Makro-Koalition” gebe. Außerdem forderte er, den Kanditaten für das Amt des Vizepräsidenten außhalb der Reihen der Frente Amplio zu suchen. Nach stundenlangen Debatten und zahlreichen gescheiterten Anträgen war es weit nach 23.00 Uhr so weit: Mit 1403 Stimmen war die Zweidrittel-Mehrheit knapp erreicht – der Weg für Verhandlungen über eine “große fortschrittliche Übereinkunft”, die Makro-Koalition, war frei. Tabaré Vázquez hat seinen Lieblingskandidaten für das Amt des Vizepräsidenten durchgebracht: Nin Novoa, Mitglied der regierenden Partido Nacional und gleichzeitig prominenter Kritiker von Präsident Lacalle wird aller Voraussicht nach an der Seite von Vázquez um die Sympathien der WählerInnen kämpfen. Da Vázquez sein Amt als Bürgermeister Montevideos aufgibt, nominierte der Kongreß auch gleich noch seinen möglichen Nachfolger: Mariano Arana, ein Architekt und Stadtplaner, wird sich bei der Bürgermeisterwahl, die ebenfalls am 27. November über die Bühne geht, den WählerInnen stellen.
Heftig stritten sich die Frente Amplistas auch über das Wie einer “großen fortschrittlichen Übereinkunft”, die von vielen RednerInnen als “die historische Chance für eine Veränderung” bezeichnet wurde. Vor allem der linke Flügel des Bündnisses, wie zum Beispiel die MLN-Tupamaros und die UNIR, wehrten sich mit Händen und Füßen gegen Verhandlungen mit anderen Parteien. Auch der Kontakt zu VertreterInnen von Flügelfraktionen innerhalb dieser Parteien schien ihnen – wenn überhaupt – nur dann sinnvoll, wenn die Frente zuvor klare politische Eckdaten formulieren würde. Harte Kritik gab es auch dafür, daß nur ein erlauchter Kreis von 12 Persönlichkeiten die Verhandlungen über ein Wahlbündnis führen soll. “Wir lehnen eine Politik der Allianzen nicht ab”, sagte Pepe Mijica, legendäre Führungspersönlichkeit der Tupamaros, “aber wir glauben nicht an eine Bündnispolitik, die nur irgendwelche Aufgaben verteilt. Wir glauben vielmehr an politische Bündnisse, in denen man sich engagieren muß, ohne Gruppenegoismus, aber aus einem linken Selbstverständnis heraus”. In seiner Abschlußrede stellte Vázquez dann Themen wie den Kampf gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik, die Demokratisierung der Gesellschaft und das Prinzip Solidarität und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Eindringlich verlangte er Geschlossenheit und erinnerte an die Geschichte dieser Organisation, die stets eng mit ihren Persönlichkeiten verbunden gewesen sei – wie zum Beispiel dem Gründer der MLN-Tupamaros Raul Sendic. “Das ist die Frente von Sendic”, rief Vázquez unter großem Beifall den Delegierten zu. Einige der anwesenden Tupamaros hatten da allerdings so ihre Zweifel.
Programmatischer Schliff
in der Wirtschaftspolitik
In einer fast 24stündigen Sitzung errichtete die Frente in mehreren Arbeitsgruppen die Eckpfeiler ihres sozialpolitischen Programms: Einkommen, Bildungswesen, die Situation der Frauen, Gesundheit, Renten und vieles mehr – eine lange Liste. Zum Komplex internationale Politik, Verteidigung und Menschenrechte beschloß die Frente, mit dem Foro de Saô Paulo, einem Zusammmenschluß linker lateinamerikanischer Parteien und politischer Organisationen, zusammenzuarbeiten. Auslandseinsätze uruguayischer Soldaten sollen verboten werden. In Fragen der Menschenrechte drängt die Frente darauf, das Schicksal der während der Militärdikatatur Verschwundenen zu klären.
Beim Thema Wirtschaftspolitik waren vor allem die Auslandsschulden und der Mercosur, der gemeinsame südamerikanische Markt, heiß umstritten. Da keine Position eine Zweidrittel-Mehrheit der Delegiertenstimmen auf sich vereinen konnte, blieb es bei den Beschlüssen, die die Frente auf ihrem Kongreß 1991 gefaßt hatte: Scharfe Kritik an der Politik des Internationalen Währungsfonds und anderer internationaler Finanzorganisationen sowie die Einstellung des Schuldendienstes und ein machtvoller Zusammenschluß aller Schuldnerländer.
Mercosur als Wahlkampfthema
Zum Mercosur hat die Frente weiterhin ein ambivalentes Verhältnis, daß innerhalb der Frente gerne mit “kritischer Unterstützung” umschrieben wird. “Ich träume von einem Mercosur mit Lula in Brasilien, der Frente Grande in Argentinien und Tabaré Vazquez in Uruguay”, sagte Danilo Astori, Ökonom und möglicher Wirtschaftsminister, sollte die Frente die Regierung stellen. Alpträume löste der Mercosur dagegen bei zahlreichen Delegierten aus dem Norden Uruguays aus. Dort werden schon jetzt – eineinhalb Jahre vor dem Inkrafttreten der Vereinbarungen zum Mercosur – Arbeitsplätze durch den Billigimport von Zucker aus Brasilien vernichtet.
Der Präsidentschaftskandidat der Coloradopartei, Julio María Sanguinetti, fährt einen noch härteren Kurs gegen den Mercosur als weite Teile der Frente. Der Ex-Präsident hat – im Duett mit seinem Vizepräsidentschaftskandidaten Hugo Batalla, einem Sozialisten und Ex-Frente Amplista – im Augenblick in Umfragen noch die Nase vorn. Die Frente wird in der Hauptstadt Montevideo, in der etwa die Hälfte der Wahlberechtigten lebt, wohl einen satten Sieg einfahren. Auf dem Land sieht es jedoch anders aus. Dort werden die Wahlen wahrscheinlich entschieden, dort muß die Frente noch Überzeugungsarbeit leisten – bis zum 27. November.