Film | Nummer 249 - März 1995

Ein Denkmal für Che

Der Film “Che Guevara, das bolivianische Tagebuch”

Bettina Bremme

“Che, du bist einer der Toten, die nie­mals sterben”, ist an die Wand eines Waschhäuschens in der bolivianischen Kleinstadt Valle Grande gekritzelt, wo einst die sterbliche Hülle Ernesto Gueva­ras nach seiner Ermordung 1967 für we­nige Stunden aufgebahrt war. Wenn sich heute der Schweizer Filmemacher Richard Dindo, nach eigenen Angaben “Über­le­ben­der der 68er-Generation”, daran macht, das verblichene Idol in ei­nem Doku­men­tar­film wiederzubeleben, riskiert er zwar nicht den Kopf. Aber nichtsdestotrotz geht es ihm an den Kra­gen. Als sein Film bei der Berlinale im “Internationalen Forum des Jungen Films” gezeigt wurde, löste seine bewußt di­stanzlose, von “brüder­licher Sympathie mit Che Guevara” ge­präg­te Verfilmung des “Bolivianischen Tage­buches” heftige Reaktionen aus.
Während ein Vertreter des PDS-nahen Arbeitskreises “Cuba Sí” nach einer Vor­führung artig nachfragte, ob seine Gruppe sich den Film wohl für ihre Öffentlich­keitsarbeit ausleihen dürfe, schäumte der Filmkritiker der “taz”, der Film sei “eitel und konterrevolutionär”. Andere Zu­schau­er glaubten eine verkappte Jesus-Symbo­lik zu entdecken: Che Guevara mit seinen Jün­gern auf dem Kreuzweg in den sicheren Tod, der unbeirrte Glaube an seine historische Mission, der in den Ta­ge­bucheintragungen zum Ausdruck kommt. Die damalige Dorfschullehrerin, die dem Gefangenen zu Essen brachte und als letzte mit ihm sprach, bevor er von Soldaten ermordet wurde, erinnert an Ma­ría Magdalena. “Was kann ich dafür, so ist es nun mal gewesen”, verteidigte sich Richard Dindo gegenüber diesen Anfech­tungen.
Tatsächlich hat der Filmemacher, der sich in erster Linie als “Geschich­tenerzähler und Erinnerungsar­beiter” ver­steht, darauf verzichtet, an sein Thema ana­lytisch heranzugehen. Che Guevaras Vorgeschichte, seine Rolle in der kubanischen Revolution und seine po­litischen Beweggründe, die Karibikinsel zu verlassen und Ende 1966 mit ein paar Dutzend Guerilleros in den bolivianischen Dschungel zu gehen, werden zügig am Anfang abgehandelt. Der Text des Off-Kommentars ist sachlich, was allerdings durch die manierierte und weihevolle Stimme der Sprecherin konterkariert wird.
Der weitere Film vollzieht chronolo­gisch die verschiedenen Etappen des Par­ti­sanenkampfes nach. Einblendungen und Zitate aus dem Originaltagebuch, das Dindo in einem Safe im 4.Untergeschoß der Bolivianischen Zentralbank ausgrub, wechseln sich ab mit Interviews von Au­genzeugen: Zwei der wenigen überleben­den MitkämpferInnen von Che Guevara kommen zu Wort, ebenso ehemalige Sol­daten, die damals als junge Männer in den Dschungel abkommandiert wurden, um gegen einen ominösen Feind zu kämpfen. Besonders beeindruckend sind die Cam­pe­si­nos und DorfbewohnerInnen in ihrer Mischung aus Respekt und Unver­ständnis, wenn sie sich an die Guerilleros erinnern. Die Militärs hätten sie vor den aus­län­dischen Dieben und Räubern ge­warnt, aber als Besagte für wenige Tage bei ihnen kampierten, hätten sie sämtliche Nahrungsmittel bezahlt, erzählt ein alter Campesino. Er führt das Filmteam an die Stelle, wo Che Guevara, der ursprünglich Arzt war, mit einer Notoperation vergeb­lich versucht hatte, einen Compañero zu retten, der von Armeekugeln verwundet war. Die Kamera schwenkt auf eine ver­witterte Holzbank.
Die Bildsprache besteht zu einem großen Teil aus Landschaftsaufnahmen von den Stationen des Guerillakampfes. Grobrastrige Videoaufnahmen, später auf Filmformat aufgeblasen, bilden einen la­konischen Kontrast zu den Zitaten aus Che Guevaras Tagebuch. Aus der histori­schen Distanz heraus wirken seine Auf­zeichnungen, die die schrittweise Dezi­mierung seiner Gruppe, ihre Einkreisung durch die bolivianische Armee und die Enttäuschung angesichts der Indifferenz der Landbevölkerung dokumentieren wie die Chronik eines angekündigten Todes.
Die dichteste Szene des Films stellt eine Versammlung in einer Dorfschule nach: Die Guerilleros hatten die Bewoh­nerInnen dorthin bestellt, um ihnen zu er­läutern, daß sie für ihre Rechte und ihre Befreiung kämpfen. Die Kamera nähert sich den Gesichtern, dokumentiert ihr Un­verständnis, ihre Skepsis. Ähnlich wie 1994 die DorfbewohnerInnen den Anwei­sungen des Filmteams zögernd Folge lei­steten, haben ihre Eltern vielleicht 1967 Che Guevara und seinen Genossen gegen­übergesessen.

– Schnitt und zurück in die Gegenwart: Was für Che Guevara die Campesinos wa­ren, ist für FilmemacherInnen mit aufklä­rerischem Impetus das Publikum. Ist es ausreichend, Bilder und Originaltöne ei­nes Films für sich sprechen zu lassen, oder ermöglichen erst detaillierte Hinter­grundinformationen das Verständnis eines Themas? Sind komplexe Analysen oder per­sönlich gefärbte Erfahrungsberichte der erfolgversprechende Code, führt der Weg in die Herzen (post)linker Wohlstands­menschen über den Kopf oder über den Bauch? – Oder vielleicht einfach über beides?
Die Diskussion um den Subjektivismus in Richard Dindos Film steht nicht allein im Raum: Auch der Filmemacher Timon Koulmasis, Jahrgang 1961, der auf der Berlinale einen Dokumentarfilm über eine alte Freundin seiner Eltern namens Ulrike Meinhof vorstellte, war wegen seiner sehr persönlichen Sichtweise harter Kritik ausgesetzt. Nach dem Motto: “Wieso hast du denn soundso nicht reden lassen, dafür aber so ein reaktionäres Schwein wie Klaus Rainer Röhl (Ex-Ehemann von Ul­rike Meinhof, Anm. d. V.) zu Wort kom­men lassen…”
Biographien wie die von Ulrike Mein­hof oder Che Guevara sind so untrennbar mit Auseinandersetzung innerhalb der Linken verwoben, daß jede/r, der oder die sich an die Verfilmung wagt, es automa­tisch mit einer ganzen Gemeinde von Fans und Feinden zu tun bekommt, wobei Che Guevara in Deutschland sicherlich weitaus weniger umstritten ist als seine hiesige “Genossin”.
Ist von einem Vertreter der linken Mei­nungselite – und zu der gehören Filmema­cherInnen auch – zu erwarten, einen all­gemeingültigeren, quasi objektiveren Standpunkt zu haben? Richard Dindo be­harrt – siehe auch das Interview – auf sei­ner Rolle als subjektiver Geschichtener­zähler. Sein Film könnte auch ironisch “Mein Che” oder “Mein Bruder, der Che” heißen – analog zu dem Dokumentarfilm “Mein Sohn, der Che”, den Fernando Birri einst über den Vater von Che Guevara drehte. Solche Filme leisten Erinnerungs­arbeit, errichten Denkmäler oder sägen an ihnen. Um zu Diskussionen über die histo­rische Rolle Che Guevaras oder seine Be­deutung heute anzuregen, müssen andere Leute die Kamera in die Hand nehmen.

“Ernesto Che Guevara – Das boliviani­sche Tagebuch”
Schweiz/ Frankreich 1994, 94 Min.
Regie: Richard Dindo

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