Ein Denkmal für Che
Der Film “Che Guevara, das bolivianische Tagebuch”
“Che, du bist einer der Toten, die niemals sterben”, ist an die Wand eines Waschhäuschens in der bolivianischen Kleinstadt Valle Grande gekritzelt, wo einst die sterbliche Hülle Ernesto Guevaras nach seiner Ermordung 1967 für wenige Stunden aufgebahrt war. Wenn sich heute der Schweizer Filmemacher Richard Dindo, nach eigenen Angaben “Überlebender der 68er-Generation”, daran macht, das verblichene Idol in einem Dokumentarfilm wiederzubeleben, riskiert er zwar nicht den Kopf. Aber nichtsdestotrotz geht es ihm an den Kragen. Als sein Film bei der Berlinale im “Internationalen Forum des Jungen Films” gezeigt wurde, löste seine bewußt distanzlose, von “brüderlicher Sympathie mit Che Guevara” geprägte Verfilmung des “Bolivianischen Tagebuches” heftige Reaktionen aus.
Während ein Vertreter des PDS-nahen Arbeitskreises “Cuba Sí” nach einer Vorführung artig nachfragte, ob seine Gruppe sich den Film wohl für ihre Öffentlichkeitsarbeit ausleihen dürfe, schäumte der Filmkritiker der “taz”, der Film sei “eitel und konterrevolutionär”. Andere Zuschauer glaubten eine verkappte Jesus-Symbolik zu entdecken: Che Guevara mit seinen Jüngern auf dem Kreuzweg in den sicheren Tod, der unbeirrte Glaube an seine historische Mission, der in den Tagebucheintragungen zum Ausdruck kommt. Die damalige Dorfschullehrerin, die dem Gefangenen zu Essen brachte und als letzte mit ihm sprach, bevor er von Soldaten ermordet wurde, erinnert an María Magdalena. “Was kann ich dafür, so ist es nun mal gewesen”, verteidigte sich Richard Dindo gegenüber diesen Anfechtungen.
Tatsächlich hat der Filmemacher, der sich in erster Linie als “Geschichtenerzähler und Erinnerungsarbeiter” versteht, darauf verzichtet, an sein Thema analytisch heranzugehen. Che Guevaras Vorgeschichte, seine Rolle in der kubanischen Revolution und seine politischen Beweggründe, die Karibikinsel zu verlassen und Ende 1966 mit ein paar Dutzend Guerilleros in den bolivianischen Dschungel zu gehen, werden zügig am Anfang abgehandelt. Der Text des Off-Kommentars ist sachlich, was allerdings durch die manierierte und weihevolle Stimme der Sprecherin konterkariert wird.
Der weitere Film vollzieht chronologisch die verschiedenen Etappen des Partisanenkampfes nach. Einblendungen und Zitate aus dem Originaltagebuch, das Dindo in einem Safe im 4.Untergeschoß der Bolivianischen Zentralbank ausgrub, wechseln sich ab mit Interviews von Augenzeugen: Zwei der wenigen überlebenden MitkämpferInnen von Che Guevara kommen zu Wort, ebenso ehemalige Soldaten, die damals als junge Männer in den Dschungel abkommandiert wurden, um gegen einen ominösen Feind zu kämpfen. Besonders beeindruckend sind die Campesinos und DorfbewohnerInnen in ihrer Mischung aus Respekt und Unverständnis, wenn sie sich an die Guerilleros erinnern. Die Militärs hätten sie vor den ausländischen Dieben und Räubern gewarnt, aber als Besagte für wenige Tage bei ihnen kampierten, hätten sie sämtliche Nahrungsmittel bezahlt, erzählt ein alter Campesino. Er führt das Filmteam an die Stelle, wo Che Guevara, der ursprünglich Arzt war, mit einer Notoperation vergeblich versucht hatte, einen Compañero zu retten, der von Armeekugeln verwundet war. Die Kamera schwenkt auf eine verwitterte Holzbank.
Die Bildsprache besteht zu einem großen Teil aus Landschaftsaufnahmen von den Stationen des Guerillakampfes. Grobrastrige Videoaufnahmen, später auf Filmformat aufgeblasen, bilden einen lakonischen Kontrast zu den Zitaten aus Che Guevaras Tagebuch. Aus der historischen Distanz heraus wirken seine Aufzeichnungen, die die schrittweise Dezimierung seiner Gruppe, ihre Einkreisung durch die bolivianische Armee und die Enttäuschung angesichts der Indifferenz der Landbevölkerung dokumentieren wie die Chronik eines angekündigten Todes.
Die dichteste Szene des Films stellt eine Versammlung in einer Dorfschule nach: Die Guerilleros hatten die BewohnerInnen dorthin bestellt, um ihnen zu erläutern, daß sie für ihre Rechte und ihre Befreiung kämpfen. Die Kamera nähert sich den Gesichtern, dokumentiert ihr Unverständnis, ihre Skepsis. Ähnlich wie 1994 die DorfbewohnerInnen den Anweisungen des Filmteams zögernd Folge leisteten, haben ihre Eltern vielleicht 1967 Che Guevara und seinen Genossen gegenübergesessen.
– Schnitt und zurück in die Gegenwart: Was für Che Guevara die Campesinos waren, ist für FilmemacherInnen mit aufklärerischem Impetus das Publikum. Ist es ausreichend, Bilder und Originaltöne eines Films für sich sprechen zu lassen, oder ermöglichen erst detaillierte Hintergrundinformationen das Verständnis eines Themas? Sind komplexe Analysen oder persönlich gefärbte Erfahrungsberichte der erfolgversprechende Code, führt der Weg in die Herzen (post)linker Wohlstandsmenschen über den Kopf oder über den Bauch? – Oder vielleicht einfach über beides?
Die Diskussion um den Subjektivismus in Richard Dindos Film steht nicht allein im Raum: Auch der Filmemacher Timon Koulmasis, Jahrgang 1961, der auf der Berlinale einen Dokumentarfilm über eine alte Freundin seiner Eltern namens Ulrike Meinhof vorstellte, war wegen seiner sehr persönlichen Sichtweise harter Kritik ausgesetzt. Nach dem Motto: “Wieso hast du denn soundso nicht reden lassen, dafür aber so ein reaktionäres Schwein wie Klaus Rainer Röhl (Ex-Ehemann von Ulrike Meinhof, Anm. d. V.) zu Wort kommen lassen…”
Biographien wie die von Ulrike Meinhof oder Che Guevara sind so untrennbar mit Auseinandersetzung innerhalb der Linken verwoben, daß jede/r, der oder die sich an die Verfilmung wagt, es automatisch mit einer ganzen Gemeinde von Fans und Feinden zu tun bekommt, wobei Che Guevara in Deutschland sicherlich weitaus weniger umstritten ist als seine hiesige “Genossin”.
Ist von einem Vertreter der linken Meinungselite – und zu der gehören FilmemacherInnen auch – zu erwarten, einen allgemeingültigeren, quasi objektiveren Standpunkt zu haben? Richard Dindo beharrt – siehe auch das Interview – auf seiner Rolle als subjektiver Geschichtenerzähler. Sein Film könnte auch ironisch “Mein Che” oder “Mein Bruder, der Che” heißen – analog zu dem Dokumentarfilm “Mein Sohn, der Che”, den Fernando Birri einst über den Vater von Che Guevara drehte. Solche Filme leisten Erinnerungsarbeit, errichten Denkmäler oder sägen an ihnen. Um zu Diskussionen über die historische Rolle Che Guevaras oder seine Bedeutung heute anzuregen, müssen andere Leute die Kamera in die Hand nehmen.
“Ernesto Che Guevara – Das bolivianische Tagebuch”
Schweiz/ Frankreich 1994, 94 Min.
Regie: Richard Dindo