Freihandel | Lateinamerika | Nummer 526 - April 2018 | USA

EIN GLOBALES RECHTSSYSTEM FÜR DEN FREIHANDEL

Interview mit dem US-amerikanischen Historiker Erik Loomis

Erik Loomis forscht zu Arbeitsrecht, Umwelt und globalem Kapitalismus. Die LN trafen ihn in einem Straßencafé in Mexiko-Stadt zu einem Gespräch über Trumps Handelspolitik, die Versäumnisse der US-amerikanischen Linken und darüber, wie ein globales Handelsregime aussehen sollte. Erst Anfang April hatte Donald Trump Mexiko mit dem Ende des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) gedroht.

Interview: Andreas Knobloch

Die Linke hat immer gegen Freihandelsabkommen wie die Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP) oder NAFTA argumentiert, vor allem wegen Lohndumpings und des Herabsetzens von Umweltstandards. Hat sie in US-Präsident Donald Trump einen unverhofften Verbündeten gefunden?
Nein! Aber seit November 2016 (Trumps Wahlsieg, Anm. d. Red.) stelle ich bei der Linken ein Schweigen zu Freihandel fest. In den Jahren 2015 und 2016 gab es eine starke und wirkungsvolle linke Kritik an TPP. Ich habe das Gefühl, dass die Leute verwirrt sind, weil jetzt Trump ankommt und von den Dingen redet, von denen die Linke geredet hat, auch wenn er nicht dasselbe sagt. Er will Handelsabkommen auch zurückfahren, aller­­dings nicht aus demselben Grund wie die Linke. Wenn man auf die 1990er Jahre schaut, mit den Protesten gegen NAFTA, den Gipfel der Welthandelsorganisation 1999 in Seattle bis hin zu der Anti-Sweatshop-Bewegung an den Uni­versitäten, war Handelspolitik ein großer Teil der Agenda der US-amerikanischen Linken. Aber mit dem 11. September 2001 verschwindet das vollständig. Dann kommt Obama, und Handelspolitik wird wieder ein Thema – Stichwort TPP. Und dann bringt Trump wieder alles durcheinander. Sogar die Neuverhandlung von NAFTA ändert daran nichts. Die substantielle Kritik von vor zwei Jahren ist weg. Ersetzt wurde sie durch eine sanfte Verteidigung von Freihandel als Verteidigung der Globalisierung, die oberflächlich ist.

Ging es bei Freihandelsabkommen wie NAFTA nicht auch immer um die Fähigkeit des Kapitals, sich zu bewegen? Und jetzt kommt Trump und kündigt Zölle auf Stahl, Aluminium, vielleicht auch Autos an.
Richtig. Ich denke, dass Trump das tun wird, weil er wütend auf die Welt ist. Und das ist seine Reaktion. Aber Teil des Problems ist: Wie können wir Antworten auf Themen finden, die über Zölle und Protektionismus der alten Schule hinausgehen? Auf Strategien, die nicht funktionieren und außerdem eine Ablehnung der Globalisierung darstellen, sei es, weil sie mexikanische Einwanderer dämonisieren oder Stahlwerke in China. Es kann nicht so schwer sein, Kritik am Freihandel mit einer Verteidigung der Globalisierung zu verbinden. Aber niemand scheint das zu tun. Und so führt Trump Zölle ein und die Linke spricht nicht groß darüber, weil sie nicht wirklich ernsthaft darüber nachgedacht hat: Wie sieht es eigentlich an der Basis aus? Was sind unsere Strategien? Es gibt ein globales Handelsregime und das wird sich nicht ändern. Aber es gibt Teile, die nicht fair sind. Und ich denke, das muss Teil der Lösung sein. Die Linke weltweit muss über „Kapitalismus ist Scheiße” oder „Freihandel ist schlecht” hinausdenken.

Trump beschuldigt Mexiko, US-amerikanische Jobs zu stehlen, aber er erwähnt nie, dass US-Konzerne billige Arbeitskräfte ausbeuten. Arbeitnehmer*innenrechte scheinen kein echtes Thema zu sein.
Von Trump kann man nichts erwarten. Er nutzt den Ärger und die Verbitterung, besonders unter den weißen Arbeitern, deren Jobs weg sind. Ich höre oft von Leuten, dass sie denken, die USA werden durch NAFTA übervorteilt. Aber einige dieser Trump-Bundesstaaten sind riesige Agrarstaaten, die ihre landwirtschaftlichen Produkte auf den mexikanischen Markt werfen. Das führt dazu, dass die mexikanischen Bauern immer weniger verdienen. So verarmen zum Beispiel Bauern in Oaxaca immer weiter und sind gezwungen wegzugehen. Und wohin gehen sie? Einige von ihnen kommen nach Mexiko-Stadt, andere finden entlang der Grenze zu den USA Arbeit und wieder andere gehen in die USA. Nur denken die US-Amerikaner nicht so weit: Wie hat unsere Politik erst das Problem geschaffen, über das wir heute verärgert sind?

In einem Ihrer Artikel beschreiben Sie, wie US- Unternehmen Freihandelsabkommen zur Senkung von Löhnen, zur Zerstörung von Gewerkschaftsorganisationen, zum Abbau von Umwelt­­­standards nutzen.
Die Globalisierung der Moderne ist ein gewinnorientierter Prozess, in dem Unternehmen versuchen, Arbeiterrechten, Gewerkschaften, Mindes­­tlöhnen und Umweltstandards zu entkommen. Es ist eine Situation geschaffen worden, in der Konzerne weltweit agieren und ein globales Rechtssystem um diese Investor-Staat-Schiedsgerichte (ISDS) herum besteht. Sie stehen nur Konzernen und Regierungen offen, einzelne Bürger haben keinen Zugang. Wenn wir davon ausgehen, dass die Globalisierung weitergehen wird, dann muss man überlegen: Was sind unsere Alternativen? Eine Antwort lautet: eine Revolution. Das hört sich gut an, aber bis es dazu kommt, gibt es noch viele andere Dinge, die wir tun können. Ich denke nicht, dass man dafür das Rad neu erfinden muss. Die praktischste Antwort ist, über die Regulierungsregime, die im 20. Jahrhundert geschaffen wurden, nachzudenken und sie auf internationaler Ebene anzuwenden. Das heißt, die ISDS müssen demo­kra­tisiert werden. Solange diese Art von Gerichten nur Unternehmen zur Verfügung steht, um ihren Willen auf Kosten der Bevölkerung durchzusetzen, ist es eine Katastrophe. Aber wenn diese Gerichte genutzt werden können, um ein System globaler Rechte zu schaffen, in dem die Bürger diese Unternehmen verklagen können zum Beispiel Mindestlöhne zu zahlen, dann sollte das diskutiert werden.

Sie wollen Unternehmen rechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Das ist die Idee. Es muss wahrscheinlich auf nationaler Ebene beginnen. Dafür müssen Sie mit linksgerichteten Abgeordneten im Repräsentantenhaus und im Senat zusammenarbeiten, um Gesetze zur Rechenschaftspflicht voranzutreiben. Wir müssen die Details ausarbeiten, um zum Beispiel US-Konzerne für ihre globalen Versorgungsketten in die Pflicht zu nehmen. Die weltweiten Lieferketten existieren, um große Konzerne vor Verantwortung zu schützen, beispielsweise für Kinderarbeit in Kobaltminen in der Demokratischen Republik Kongo. Das würde einen globalen Prozess starten über weltweit gültige Standards für Arbeitsbedingungen, Löhne und Umweltrichtlinien. Denn wenn Sie keine rechtliche Verantwortung haben – all diese Gespräche über freiwillige Vereinbarungen und Überwachung sind Unsinn – dann ergibt es keinen Sinn. Globale Standards und ein Rechtssystem, das Unternehmen in die Verantwortung nimmt, das ist ein minimaler Ansatzpunkt und nützlicher als zu sagen: Wir werden NAFTA verlassen, weil wir von Mexiko übervorteilt wurden.

Geht es in gewisser Weise auch um globale Allianzen? Der ganze Trump-Diskurs ist national, über US-amerikanische gegen mexi­kanische Arbeiter*innen. Aber sie stehen doch auf derselben Seite, oder nicht?
Lassen Sie es mich so sagen: Arbeiter können nicht auf der gleichen Seite stehen, wenn es in der Diskussion darum geht, jeden Job zu schützen. Wenn wir über den Schutz US-amerikanischer Arbeitsplätze sprechen – sind sie nicht auf derselben Seite. Wenn es darum geht, mexikanische Jobs zu schützen – sind sie es nicht. Ich denke, dass es eine globale Lösung geben muss. Es ist ein globales Problem. Nationale Lösungen funktionieren nicht. Konzerne agieren global, also müssen sie auch global zur Verantwortung gezogen werden können. Der Weg zur Schaffung eines globalen Arbeiterbündnisses besteht darin, dass die westliche Arbeiterklasse Politiker unter Druck setzt, mit dem Ziel, die nationalen Gerichte zu öffnen, damit die Arbeiter aus anderen Ländern dort für sich kämpfen können. Das ist für mich die Definition von Solidarität. Sie nutzen den größtmöglichen Einfluss, den sie in Ihrem eigenen Land haben, um den Arbeitern aus anderen Ländern einen Weg zu eröffnen. Das ist für mich der konkreteste Weg, bei dem ich eine breitere globale Allianz sehe.

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