Aktuell | Editorial | Nummer 611 – Mai 2025

// Ein Kampf für uns alle

Der brutale Transfeminizid an Sara Millerey González hat in Lateinamerika und darüber hinaus Entsetzen ausgelöst. Wie kann es sein, dass eine trans Frau in ihrem Wohnviertel bei Medellín von einer Gruppe von Kriminellen überfallen, gefoltert, vergewaltigt und am helllichten Tag mit gebrochenen Armen und Beinen in einen Bach geworfen wird, ohne dass ihr jemand zur Hilfe kommt?

Von die Redaktion

Statt zu helfen, filmen Anwesende ihren Todeskampf im Wasser und laden die Bilder auf den sozialen Medien hoch. Viel zu spät, als die Täter schon lange weg sind, wird Sara gerettet und in ein Krankenhaus gebracht. Dort stirbt sie. Das ist nicht nur die Angst vor dem organisierten Verbrechen, hinter den Reaktionen wird eine tief verankerte Transfeindlichkeit und Misogynie sichtbar, die im Narcobusiness fruchtbaren Nährboden findet und eine ultra-patriarchale Ökonomie der Gewalt vorantreibt. Es ist der dritte Tod einer trans Frau in der Region Antioquia innerhalb eines Monats. Auch in den Medien, die zum großen Teil ihr Entsetzen über die Tat ausdrückten, wurde Sara gedeadnamed (unter ihrem falschen Namen genannt) und ihr Tod als Spektakel vermarktet. Nur wenige Berichte erwähnen den Zusammenhang zwischen Transfeindlichkeit und der Grausamkeit solcher Verbrechen, die erst durch eine gesamtgesellschaftliche soziale Entmenschlichung von trans Personen möglich werden. Auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft verleugnet die transmisogyne Dimension der Tat. Die kolumbianische LGBTQI+-Organisation Caribe Afirmativo bringt das mit bitterer Klarheit auf den Punkt:

„In Kolumbien sterben trans Menschen – und insbesondere trans Frauen – dreimal. Das erste Mal im Leben: durch Ablehnung in der Familie, Ausgrenzung in der Schule, Verweigerung von Arbeits-, Gesundheits- und Wohnrechten. Das zweite Mal physisch, durch Gewalt, die nicht nur tötet, sondern auch foltert, die grausam ist. Und drittens, institutionell: wenn der Staat nicht ermittelt, nicht schützt, keine Wiedergutmachung leistet und die Mehrzahl der Fälle ungestraft lässt.“

Diese dreifache Gewalt ist ein Kontinuum der Entmenschlichung. Sie beginnt im Alltag – in jedem feindseligen Blick, in jeder misgendernden Bemerkung, in jedem verunmöglichten Toilettenbesuch, in jedem diskriminierenden Gesetz. Sie durchzieht das soziale Miteinander, die Sprache, die politischen Debatten. Und sie kulminiert in Morden wie dem an Sara.

Die Normalisierung dieser Entmenschlichung findet sich somit nicht nur in der rechten Politik. Der Kern der transfeindlichen Gewalt ist tief in der Gesellschaft verankert. Sie lässt sich an vielen Stellen beobachten: In den USA, wo sich ein trans Junge das Leben nahm, nachdem er wochenlang Gewalt in der Schule erfahren hatte; in Großbritannien, wo am 16. April der Oberste Gerichtshof einstimmig entschied, den Begriff „Frau“ im Gleichstellungsgesetz nur auf das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht zu beziehen; in Deutschland, wo regressive Politik mit einer „Evaluierung“ auf Schwächung des eh von Misstrauen geprägten Selbstbestimmungsgesetzes abzielt. Was kann man tun, um dieser Gewalt und ihrer Normalisierung etwas entgegenzusetzen?

In Kolumbien hat Saras Tod eine Protestwelle ausgelöst. Auch in Deutschland wächst die Solidarität. Dieses Jahr reisen Unterstützer*innen wieder zu Christopher-Street-Days in Kleinstädte mit rechter Präsenz, um queere Communities zu stärken. Diese praktische Solidarität wird auch jetzt dringend gebraucht. Denn die Gewalt an trans Personen ist strukturell, alltäglich und betrifft uns alle. Wer zu ihr schweigt, macht sich mitschuldig. Wer sich ihr entgegenstellt, kämpft nicht nur für Transrechte, sondern für eine menschenwürdige Gesellschaft.


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