Argentinien | Nummer 247 - Januar 1995

Ein neues Kapitel der Vergangen­heitsbewältigung

Menem bedankt sich für den “Schmutzigen Krieg”

Ein weiterer Schritt im Prozeß der von Staatspräsident Menem angestrebten “Stabilisierung” des Verhältnisses von Staat und Militär ist vollzogen: Vor Heeresoffizieren hat der Präsident sich für den “Schmutzigen Krieg” gegen die Guerilla und die “Subversion” während der letzten Militärdiktatur bedankt. Menschenrechtsorganisationen und Angehörige der Opfer protestieren gegen die “Rechtfertigung der Menschenrechtsverletzungen und der Folter”.

Silke Steinhilber

Wenige Wochen zuvor hatte Präsident Menem den Senat bereits dafür kritisiert, daß er die Beförderung zweier Marineof­fiziere abgelehnt hatte. Die beiden hatten sowohl ihre persönliche Beteiligung, als auch die der gesamten Marine an syste­matischen Folterungen in den siebziger Jahren, sowie an der Ermordung zweier französischer Nonnen zugegeben. Vor mehreren hundert Offizieren des Heeres wurde der Staatspräsident Anfang No­vember aber noch deutlicher: “Dank der Anwesenheit der Armee und der Polizei konnten wir den “Schmutzigen Krieg” gewinnen, der unsere Gesellschaft an den Rand der Auflösung getrieben hatte.”
Aufschrei der Empörung
Als Reaktion auf seine Äußerungen schloß die Menschenrechtsorganisation ADPH (Asamblea Permanente por los Derechos Humanos) Menem aus, mit der Begründung, er habe den Staatsterroris­mus gerechtfertigt. Prominente Mitglieder der ADPH sind unter anderem Ex-Präsi­dent Raúl Alfonsín und der Schriftsteller Ernesto Sábato, der die staatliche Unter­suchung der Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur als Präsident der Untersuchungskommission CONADEP geleitet hatte. “Die Tatsache daß diese Rechtfertigung der Diktatur von derjeni­gen Person ausgesprochen wurde, die das höchste Amt im Staat innehat, ist unüber­sehbar schwerwiegend” unterstreicht die Stellungnahme der ADPH. “Der Präsident hat so Entführungen, Folter, Attentate, Exil, Kindesraub und Verkauf derselben als Kriegsbeute und andere irrsinnige Vorkommnisse gerechtfertigt. Alle waren Teil der Machtaneignung durch Waffen­gewalt, die die Diktatur als System eta­blierte und aufrechterhielt sowie zuließ, daß der Staatsterrorismus das Land re­gierte.”
Auch die Familienangehörigen der über 20.000 Verschwundenen und ihre politi­schen und juristischen VertreterInnen protestierten gegen die Äußerungen Men­ems. “Damit hat er uns ins Gesicht ge­spuckt. Das ist wirklich sehr schwerwie­gend”, äußerte sich Julio César Strassera, Bundesstaatsanwalt bei den Prozessen ge­gen die Verantwortlichen der Menschen­rechtsverletzungen.
“Illegale Praktiken”
Menem warf der Menschenrechtsorgani­sation Böswilligkeit und bewußte Falsch­interpretation seiner Worte vor. “Die mich heute ausschließen, das sind dieselben, die damals die Subversion und die Guerilla unterstützten.” Er habe nicht die Folter ge­rechtfertigt, aber auf beiden Seiten des Krieges seien “illegale Prakti­ken” ange­wendet worden. Fünfzehn Jahre lang habe Argentinien Anschläge überall im Land erleben müssen, die sehr viele Tote, Ver­schwundene und Verletzte ver­ursacht hätten, “aber glücklicherweise kam es zur totalen Konfrontation gegen die Subver­sion aufgrund des Entschlusses der Präsi­dentin Perón”.
Er betonte, daß er sich als damaliger Gou­verneur der Provinz La Rioja hinter die Entscheidung der Regierung Isabel Perón gestellt habe, der Armee die “Vernichtung” der Guerilla zu befehlen.
Meinungswechsel half nicht
Der heutige Militärfreund Menem hatte zu Beginn der siebziger Jahre noch zu den VerteidigerInnen der peronistischen Gue­rilleros/as, speziell der Montoneros ge­hört, sogar noch nach seiner Wahl zum Gouverneur 1973. Als deutlich wurde, daß die Aktionen des rechtsperonistischen Flügels nicht nur im “Schmutzigen Krieg” gegen die Guerillaorganisationen bestan­den, der mittels Terrororganisationen wie der Triple A (Antikommunistische Allianz Argentiniens) geführt wurde, änderte Menem schnell seine Meinung Denn auch Gouverneure, die als Symphatisanten der peronistischen Guerilla und ihrer linken Jugendorganisationen galten, sollten aus dem Amt gejagt werden. Trotz seines Meinungswechsels wurde Menem weiter­hin als “Subversiver” be­zeichnet, so daß er schließlich verhaftet wurde und selbst fünf Jahre im Gefängnis verbrachte.
Ein Projekt der Zukunft
Carlos Menem hat schon bald nach sei­nem Amtsantritt 1989 versucht, das Ver­hältnis zwischen Staat und Militär durch immer weiterreichende Zugeständnisse an das Militär zu verbessern. Das wichtigste dieser Zugeständnisse war die Amnestie­rung der wenigen Militärs, die für ihre Menschenrechtsverletzungen im Gefäng­nis saßen.
Der jüngste Konflikt über Solderhöhungen konnte jedoch nicht zur Zufriedenheit der Militärs gelöst werden, da Wirtschaftsmi­nister Cavallo sich dem hartnäckig wider­setzte. Umso wichtiger ist es deshalb für die “Wiederbelebung des Paktes zwischen Staat und Militär”, welche Menem sich wünscht, die Militärs wenigstens in ihrem Selbstverständnis zu bestätigen. Dafür muß natürlich mit der Vergangenheit aufge­räumt werden. Für Menem gilt jetzt nur der Blick in die Zukunft. Um das zu illustrieren war ihm auch die Bibel nicht zu schade: Schließlich sei Ruth deshalb zur Salzsäule erstarrt, weil sie zurück ge­schaut habe.

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