Guatemala | Nummer 467 - Mai 2013

Ein Schritt vor – zehn zurück?

Die guatemaltekische Justiz stellt sich im Prozess gegen Ríos Montt (fast) selbst ein Bein

Im April sah es für einige Tage danach aus, als müsse der gesamte Prozess gegen Ex-General Ríos Montt ab seinem Stand vom November 2011 wieder neu aufgerollt werden. Doch nach zwei Wochen Unterbrechung wurde das Verfahren am 30. April von der Vorsitzenden Richterin Jazmín Barrios wieder eröffnet. Ob es jemals ein angemessenes Urteil geben wird, ist jedoch fraglich. Die politische Rechte sammelt sich in dem Versuch, den Prozess vollends zum Erliegen zu bringen.

Markus Zander

So vergnügt und entspannt wie in den letzten Aprilwochen hatte man Ríos Montt und seine Verteidigung schon lange nicht mehr gesehen: Der Prozess gegen den guatemaltekischen Ex-General und Diktator und seinen ehemaligen Geheimdienstchef Mauricio Rodríguez Sánchez war nach einem hoffnungsvollen Beginn heftig ins Stocken geraten. Montt und Sánchez sind wegen der Ermordung von 1.771 Angehörigen der Maya-Ethnie der Ixiles während Ríos Montts Regierungszeit angeklagt.
Am 18. April 2013 urteilte die Richterin Carol Patricia Flores, der bisherige Prozess müsse rückwirkend bis zum 23. November 2011 annulliert werden. Sie hatte dem Verfahren bis zu diesem Datum als Kontrollierende Richterin vorgesessen und war auf Antrag der Verteidigung des – mittlerweile aus Krankheitsgründen ausgeschiedenen – Ex-Generals López Fuentes durch den Richter Miguél Angel Gálvez ersetzt worden. Die Menschenrechtsorganisation Centro de Acción Legal de Derechos Humanos (CALDH) hatte damals gegen diese Ersetzung geklagt, die vor allem das Verfahren verlangsamen sollte. Gálvez hatte den Prozess jedoch mit großem Mut bis zur Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung weiter vorangetrieben. Als Flores am 23. März vom Verfassungsgerichthof (CC) als Kontrollierende Richterin bestätigt wurde, entschied sie, dass alle zwischenzeitlich von Gálvez getroffenen Entscheidungen unwirksam seien und das Verfahren ab dem Zeitpunkt ihrer Absetzung wiederholt werden müsse.
Staatsanwaltschaft und die zivilgesellschaftlichen Nebenkläger_innen legten sofort Rechtsmittel vor dem CC gegen diese Entscheidung von Flores ein, die kurz vor Prozessende zu einem äußerst sensiblen Zeitpunkt erfolgte. Die Annullierung des Verfahrens hätte nicht nur den Prozess um Längen zurückgeworfen, sondern auch die gesamte Beweisaufnahme mit den bis zu ihrer Aussage vor Gericht sorgfältig geschützten Zeug_innen der Anklage aufs Äußerste gefährdet, da diese noch einmal hätte wiederholt werden müssen. Bislang hat der CC nicht explizit über die Annullierung des Verfahrens entschieden, jedoch bereits festgestellt, dass eine Rücksetzung auf einen früheren Stand nicht zulässig wäre – was eine grundsätzliche Zustimmung zu dessen Fortsetzung bedeutet.
Die Verteidigung von Ríos Montt und Rodríguez Sánchez versucht seit Beginn des Prozesses, diesen platzen zu lassen oder zumindest seinen Fortgang aufzuhalten und die beteiligten Richter_innen zu delegitimieren und ablösen zu lassen. Bisher wurden schon mehr als 100 verschiedene Rechtsmittel mit diesen Zielen eingelegt. Entlastende Beweise hat sie dagegen bisher kaum vorlegen können. Am Tag des Beginns der Hauptverhandlung, dem 19. März, wechselte Ríos Montt seine bisherigen Anwälte César Calderon und Moises Galindo gegen Francisco García Gudiel aus. Dieser forderte zunächst Zeit für Aktenstudien und lehnte dann zwei der drei Richter_innen mit der Begründung ab, sie hegten eine persönliche Feindschaft gegen ihn als Anwalt und seien deswegen nicht für ihre Aufgabe in dem Prozess geeignet. Die vorsitzende Richterin Jazmín Barrios wies den Antrag zurück, verwies Gudiel des Saals und setzte die vorherigen Verteidiger wieder ein. Diese traten, nachdem sie vergeblich gegen ihre Benennung protestiert hatten, am 18. April in einen von ihnen so bezeichneten „friedlichen Widerstand“ und verließen die Verhandlung. Ríos Montt blieb darauf für den Rest des Tages ohne Verteidigung, weswegen seine Anwälte den Richter_innen die Verletzung seiner Rechte als Angeklagter vorwarfen. Am 19. April teilte ihm Jazmín Barrios einen Pflichtverteidiger zu. Anschließend ordnete der CC die Wiederzulassung von Gudiel als Verteidiger Ríos Montts und die Annullierung der vier Stunden des Prozesses am 18. April an, an denen dieser (wegen des „friedlichen Protests“ seiner Anwälte) keine Verteidigung hatte.
Nachdem das CC entschieden hatte, die Prozessakten an das Tribunal A zurückzugeben, eröffnete Jazmín Barrios das Verfahren gegen Ríos Montt und Rodríguez Sánchez von Neuem am 30. April. Sie brach die Verhandlung jedoch nach drei Stunden ab, um dem neu bestellten Pflichtverteidiger von Sánchez, der angegeben hatte, einen eigenen Anwalt nicht mehr zahlen zu können, Zeit zum Aktenstudium zu geben. Außerdem sollte den Entlastungszeugen der Verteidigung eine erneute Gelegenheit zur Aussage gegeben werden, die an diesem Tag nicht erschienen waren. Am 2. Mai, dem nächsten anberaumten Verhandlungstag, war die Vorführung der Zeugen durch die Polizei geplant, sie waren jedoch nicht auffindbar. Somit setzte Barrios eine letzte Frist bis zum 7. Mai, innerhalb derer ihre Aussage noch möglich ist.
Währenddessen versucht die Verteidigung Ríos Montts, über andere Gerichte und Institutionen Jazmín Barrios als vorsitzende Richterin absetzen zu lassen und sie einzuschüchtern. Gegen Barrios sind mindestens drei Anzeigen Gudiels bei verschiedenen Institutionen anhängig und eine Zivilklage über umgerechnet rund 575.000 Euro wegen der angeblichen Verweigerung der Rechte des Angeklagten auf angemessene Verteidigung; daneben liegen dem CC und dem Obersten Gerichtshof (CSJ) weitere Anträge der Angeklagten auf die Aussetzung des Prozesses und die Ablösung der Richter_innen vor. Obwohl das Verfahren gegen Ríos Montt und Rodríguez Sánchez fast abgeschlossen ist und zur Urteilsfindung lediglich die Aussagen von drei Entlastungszeugen der Angeklagten und die Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung fehlen, ist es im Augenblick sehr schwer abzusehen, wie sich die juristischen Auseinandersetzungen um den Prozess weiter entwickeln und ob dieser tatsächlich in einem Urteil enden wird, das den Opfern des guatemaltekischen Bürgerkriegs gerecht wird.
Gleichzeitig wächst außerhalb der Gerichte der Druck auf das Verfahren und seine Beteiligten, und vor allem die politische Rechte zeigt sich in bisher selten gesehener Einigkeit und Stärke. Die Stiftung gegen den Terrorismus startete vor einigen Woche eine Kampagne unter dem Titel „Die Farce des Genozids in Guatemala – Marxistische Konspiration von Seiten der katholischen Kirche“. Darin wird die Schuld am Bürgerkrieg einzig der Linken zugeschrieben, das Militär als Retter des Vaterlands und Opfer stilisiert und die juristische Aufarbeitung der guatemaltekischen Bürgerkriegsvergangenheit als eine vom Ausland finanzierte Verschwörung dargestellt. Die Stiftung wird geleitet von Ricardo Méndez Ruiz, der unter anderem versucht, Vertreter_innen der guatemaltekischen Linken wegen Menschenrechtsvergehen während des Bürgerkriegs anzuklagen. Diese Stiftung ließ in den Tagen nach dem 19. April in Bussen 800 Ixiles aus dem Departamento Quiché unter dem Vorwand in die Hauptstadt karren, dass sie „Projekte“ für ihre Dörfer erhalten würden. Dort mussten sie hinter Plakaten und Spruchbändern marschieren, auf denen in ihrem Namen das Ende des Prozesses gegen Ríos Montt gefordert wurde. Währenddessen sprach Méndez Ruiz offene Todesdrohungen gegen die am Prozess beteiligten Richter_innen und Vertreter_innen der Anklage für den Fall einer Verurteilung Ríos Montts aus.
Eine weitere Anzeigenkampagne unter dem Titel „Den Frieden verraten und Guatemala spalten“ in der ersten Aprilhälfte offenbarte eine sonderbare Allianz zwischen Personen, die der traditionellen Linken und Ex-Guerrilla auf der einen und der politischen Rechten auf der anderen Seite zugeordnet werden. In den Anzeigen wird davor gewarnt, mit der Anklage des Genozids tiefere Gräben in der Gesellschaft aufzureißen, anstatt einen Versöhnungsprozess zu fördern.
Ein Mitunterzeichner dieser Kampagne ist der guatemaltekische Soziologe Gustavo Porras, der während des Bürgerkriegs der Guerrillaorganisation Ejército Guerrillero de los Pobres (EGP) angehörte und für dieses an den Friedensverhandlungen beteiligt war. In einem Interview des Internet-Magazins Plaza Pública verneint er, dass in Guatemala ein Genozid im Sinne einer beabsichtigten Vernichtung bestimmter Ethnien stattgefunden habe. Für ihn waren die Massaker des Militärs während des Bürgerkriegs politisch und nicht ethnisch motiviert und trafen je nach Region nicht nur die indigene, sondern auch die mestizische Bevölkerung, während gleichzeitig Soldaten indigener Abstammung an den Massakern als Täter beteiligt waren. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob eine Anklage wegen Genozids juristisch haltbar sein wird oder ob eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschheit nicht erfolgversprechender wäre.
Währenddessen gerät auch der ehemalige General und jetzige Präsident Guatemalas Otto Pérez Molina ins Blickfeld des Prozesses. Er selbst hatte in einem Interview im Jahr 2002 davon gesprochen, dass er in den Jahren 1982 und 1983 Kommandeur der Truppen im Ixil-Dreieck gewesen sei. Schon in einem Dokumentarfilm aus dem Jahr 1982 sprachen Regierungssoldaten in dieser Region davon, wie sie Folter, Exekutionen von Zivilisten und die Vernichtung ganzer Dörfer als Mittel der Kriegsführung nutzten. Ein ehemaliger Militärangehöriger und geschützter Zeuge der Anklage sagte nun im Prozess gegen Ríos Montt aus, dass Pérez Molina in dieser Zeit solche Aktionen befohlen habe. Pérez Molina bezeichnete die Aussage sofort als Lüge und versuchte, damit auch den gesamten Prozess zu disqualifizieren; gleichzeitig behauptete er nun, nicht wirklich Kommandant im gesamten Ixil-Dreieck, sondern nur in Nebaj gewesen zu sein. Dennoch mehren sich Anzeichen für eine stärkere Verstrickung des jetzigen Präsidenten in Menschenrechtsverbrechen während des Bürgerkrieges, als es diesem lieb sein kann.

Infokasten:

Morde an Umweltaktivisten im Petén: Urgent Action

Am 22. April wurden im Munizip Las Cruzes, Petén, fünf Mitglieder der Kleinbauernkooperative Cooperativa Centro Campesino Yaxchilán ermordet und ihre Leichen zum Teil verstümmelt und enthauptet. Die Kooperative nutzt organische Anbaumethoden und versucht gleichzeitig, die Tier- und Pflanzenwelt des umliegenden Waldes zu schützen. Es wird angenommen, dass die Morde mit Anzeigen der Kooperative gegen illegale Bergbau- und Abholzungsaktivitäten in der Gegend in Zusammenhang stehen. Die Menschenrechtsorganisation Frontline Defenders ruft zu einer Urgent Action auf, um die Sicherheit der weiteren Kooperativenmitglieder und die Strafverfolgung der Täter zu gewährleisten.
http://www.frontlinedefenders.org/node/22568/action

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