Ecuador | Nummer 617 - November 2025

Ein Schwamm, der droht auszutrocknen

Quimsacocha im Süden Ecuadors wird vom Bergbau bedroht

Jahrelang tauchte Quimsacocha in technischen Dokumenten, politischen Foren und Umwelt­berichten auf. Mit der Zeit verbreitete sich der Name der Hochebene in der ecuadorianischen Provinz Azuay auch auf den Straßen, den Märkten und an den Familientischen. Was zuvor eine Diskussion unter Expert*innen war, wurde zu einem Gesprächsthema unter Nachbar*innen „Wird uns das Wasser ausgehen?“ oder „Wusstest du, dass sie genau dort Bergbau betreiben wollen, wo das Wasser entspringt?“ Es geht in Ecuador beim Kampf um Quimsacocha nicht nur um das Wasser von heute, sondern um die Möglichkeit, dass es ein Morgen gibt. Dieses Morgen begann sich am 16. September abzuzeichnen, als hunderttausend Menschen durch die Straßen von Cuenca marschierten. Wie die Proteste den Höhepunkt jahrzehntelanger Gemeinschaftsorganisation, stillen Widerstands, juristischer Kämpfe und kollektiver Erinnerung ausdrücken, zeigt dieser Bericht.

Mishelle Calle Sánchez (Übersetzung: Isadora Nunez Wieland)
Proteste in Quimsacocha Hunderttausende gehen für den Schutz der Hochebene auf die Straße. (Foto: Javier Morales)

Quimsacocha hat begonnen, Grenzen zu durchbrechen: Was ein Anliegen von Umweltschützer*innen, Führungskräften und Politiker*innen war, wurde zu einem gemeinsamen, zutiefst menschlichen Anliegen. Nachbarschaftskomitees nahmen Punkte in ihre Tagesordnungen auf, die zuvor nicht darin enthalten waren: „Über Auswirkungen auf das Wasser diskutieren“, „über den Bergbau im Hochland sprechen“. Und es war diese langsame, aber kraftvolle 30-jährige Gemeinschaftsarbeit, die am 16. September 2025 etwa hunderttausend Menschen anspornte, durch die Straßen von Cuenca zu marschieren, um für Wasser und Leben zu demonstrieren.


Quimsacocha, was in Quechua drei Seen bedeutet, sind tatsächlich mehr als 30 große Seen und dutzende kleine Feuchtgebiete, die sich im Süden der Provinz Azuay erstrecken. Hier entspringen die Flüsse Tarqui, Yanuncay und Rircay, die für das Leben und die Wasserversorgung von Cuenca und anderen Gebieten in Azuay und El Oro in Ecuador von grundlegender Bedeutung sind. Die Hochebene von Quimsacocha speichert Wasser auf eine einzigartige Weise. Ihr Boden besteht aus Pflanzengewebe, das wie ein Schwamm bis zum Vierfachen seines Gewichts an Wasser speichern kann. Dadurch reguliert das Gewebe den Wasserfluss in Trockenperioden und trägt zur Kohlenstoffbindung bei, was den Klimawandel abmildert. Aufgrund dieser Eigenschaft wurde Quimsacocha 2012 als nationales Erholungsgebiet anerkannt. Dennoch ist dessen Ökosystem gefährdet.


Nach Angaben der Ärztekammer von Azuay könnte der geplante Bergbau in diesem Gebiet die Wasserqualität beeinträchtigen und mehr als 800.000 Menschen Schadstoffen wie Schwermetallen und giftigen Substanzen aussetzen. Diese Bedrohung ist nicht abstrakt. Sie ist konkret, gesundheitsschädlich, sozial und sie hat einen Namen: Dundee Precious Metals. Das kanadische Unternehmen Dundee Precious Metals leitet derzeit das Bergbauprojekt Loma Larga. Dieses Projekt befindet sich ebenfalls in Azuay und umfasst die Gemeinden Victoria del Portete, San Gerardo, Chumblín und Girón. Es erstreckt sich über eine Fläche von etwa 8.000 Hektar und besteht aus drei Konzessionen: Cerro Casco, Cristal und Río Falso.


Zwischen 2001 und 2003 vergab der ecuadorianische Staat mehr als 11.000 Hektar an ein anderes kanadisches Unternehmen, IAMGOLD, um mit Explorationsaktivitäten zu beginnen. Die Ergebnisse der ersten Bohrungen zeigten ein hohes Potenzial an Gold-, Silber- und Kupfervorkommen. 2007 wurde dank einer Kommission aus Vertreter*innen des Bergbauministeriums und der Zivilgesellschaft die Vorgehensweise der Unter­suchung öffentlich bekannt. Die Kommission stellte fest, dass weder vorherige Konsultationen mit den Gemeinden noch Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden waren. Infolgedessen und mit der Verabschiedung des Bergbaugesetzes Nr. 6 im Jahr 2007 wurde die Konzession aufgehoben. Obwohl IAMGOLD das Projekt aufgab, war der Grundstein für den Bergbau gelegt.

Widerstand aus Körper und Territorium

Seit 2008 erkennt die Verfassung Ecuadors die Natur als Rechtssubjekt an. Es ist das erste Land weltweit, das ihr diesen Rechtsstatus gewährt, was bedeutet, dass Ökosysteme wie Quimsacocha ein Recht auf Existenz, Fortbestand und Regeneration haben. Dieser biozentrische Ansatz – verankert in Artikel 71 der Verfassung – stellt einen Paradigmenwechsel dar: Es geht nicht mehr nur darum, die Umwelt wegen ihres Nutzens für den Menschen zu schützen, sondern ihr einen intrinsischen Wert zuzuschreiben. Wasser ist so auch Identität, Kultur und Existenz.

In manchen der vom Bergbau betroffenen Gemeinden, wird beanstandet, dass die vom Unternehmen geforderte sogenannte „vorherige, freie und informierte Konsultation“ nicht stattgefunden habe. Anstatt die Beteiligung zu gewährleisten, wurde sie als ein parteiischer Sozialisierungs­prozess erlebt, der nur auf drei Gemeinden beschränkt war. Im Einflussbereich des Tarqui-Flussbeckens gibt es aber mehr als achthundert Wassernutzungen. Hinzu kommt die Anwesenheit von Polizei und Militär bei der angeblichen Konsultation. Der Dialog wird dadurch nicht erleichtert, sondern verstärkt Ängste. Der gesetzlich vorgeschriebenen Bedingung der „freien“ Konsultation entspricht das nicht. Die Gemeinden beklagen außerdem ihre systematische Ausgrenzung als Rechtssubjekte, während sie in offiziellen und unternehmerischen Diskursen ignoriert oder delegitimiert werden. Dennoch waren sie bei Demonstrationen, Versammlungen und rechtlichen Schritten stets präsent. Die Ausübung des Menschenrechts auf Wasser in Azuay ist eine gemeinschaftliche und soziale Angelegenheit. Hier gibt es mehr als 300 kommunale Wasserverbände und autonome Strukturen, die oft aus der Not heraus entstanden sind – weil der Staat nicht da war, und die Verwaltung dieser Ressource stattdessen durch die Gemeinden geschah. Dieses Gemeinschaftsmodell ist weder neu noch improvisiert. Die Wasserverbände und -systeme sind das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe um einen gerechten Zugang zu Wasser, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo das Leben vom Páramo abhängt und der Páramo (kalte, andine Hochfläche, Anm.d.Red.) von der Pflege seiner Bewohnerinnen.


So kam es, dass im August 2011 die Versammlung der Nutzerinnen des kommunalen Wasserversorgungssystems von Tarqui und Victoria del Portete eine Art selbst einberufene Volksbefragung durchführte, um ihr Recht auf Selbstbestimmung und Entscheidung über ihre Gebiete auszuüben. Obwohl dies von der Provinzregierung von Azuay verurteilt wurde, stellt es einen Präzedenzfall für künftige Volksbefragungen dar. In Girón wurde am 24. März 2019 ein nationaler und internationaler Präzedenzfall geschaffen, als die Bürger*innen zum ersten Mal einen Mechanismus der direkten Demokratie nutzten, um über die Zukunft des Wassers in ihrem Gebiet zu entscheiden: die Volksbefragung. Das Ergebnis: 86,79 Prozent der Bevölkerung stimmten gegen den Bergbau. Anschließend wurde 2020 in Cuenca eine Volksbefragung durchgeführt, bei der 80 Prozent den Bergbau in Wassereinzugsgebieten ablehnten.

Ein ignoriertes, aber*nicht vergessenes Urteil


Im Jahr 2022 fällte das Provinzgericht von Azuay ein historisches Urteil, in dem es die Verletzung von Verfassungsrechten im Zusammenhang mit dem Bergbauprojekt Loma Larga in der Region Quimsacocha anerkannte. Als Wiedergutmachungsmaßnahme wurde das Umweltministerium angewiesen, technische Berichte über den Zustand des Nationalen Erholungsgebiets Quimsacocha und die Nachhaltigkeit seines Wasserökosystems vorzulegen. Darüber hinaus wurde eine vorherige, freie und informierte Konsultation in der Gemeinde Escaleras sowie eine Umweltkonsultation im gesamten Einflussbereich des Projekts gefordert. Diese Maßnahmen sollten von der Ombudsstelle überwacht werden, die verpflichtet ist, regelmäßig Berichte über deren Einhaltung vorzulegen.


Trotz der Eindeutigkeit des Urteils wurde bis heute nicht öffentlich bekannt gegeben, ob die Maßnahmen umgesetzt wurden. Andererseits hat Dundee Precious Metals Ecuador S.A. im Juni 2025 die Erteilung der Umweltgenehmigung für die Abbau- und Verarbeitungsphasen des Projekts Loma Larga erhalten, das sich in den Gemeinden Cuenca, Girón und San Fernando befindet. Die Regierung argumentiert, dass die Bergbaukonzessionen vor den Konsultationen erteilt wurden und daher weiterhin rechtsgültig sind.


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