Film | Nummer 347 - Mai 2003

Ein Stich ins klerikale Wespennest

Der mexikanische Film „El crimen del padre Amaro“

Mit dem Film “El crimen del padre Amaro” erregt Carlos Carrera die religiösen Gemüter der mexikanischen Bevölkerung. Ein Priestermelodram um verbotene Liebschaften, eine verpfuschte Abtreibung und um heilige Allianzen zwischen Kirche und Drogenmafia, das an einigen Orten nur unter Polizeischutz gezeigt werden konnte. Ein höchst aktueller und dringend notwendiger Film.

Bettina Bremme

Ein junger Priester behängt den nackten Leib seiner Liebsten mit dem Mantel der Virgen de Guadalupe (Jungfrau von Guadalupe). Sein älterer Kollege und Chef lässt sich vom örtlichen Drogenboss zu Familienfesten auf dessen Luxusresidenz einladen. Im Gegenzug regnet es Almosen für den Bau eines Krankenhauses.
Szenen aus dem fiktiven mexikanischen Städtchen Los Reyes, Schauplatz des Films „El crimen del padre Amaro“ (Das Verbrechen des Padre Amaro). Schon lange hat kein Film mehr so den Zorn der mexikanischen Kirchenbosse erweckt wie das neueste Werk von Carlos Carrera. Als das Melodram um verbotene Liebschaften, eine verpfuschte Abtreibung und unheilige Allianzen zwischen Kirche und Mafia im vergangenen August in Mexiko startete, versuchte die katholische Kirche mit allen Mitteln eine Zensur des Films zu erreichen. Der mexikanische Präsident Vicente Fox wurde unter Druck gesetzt mit dem Argument, die Produktion sei auch mit öffentlichen Mitteln subventioniert worden. Kirchliche Vereinigungen versuchten, mit rechtlichen Mitteln gegen die Ausstrahlung des Films vorzugehen. Vor mehreren der 358 Kinos, die den Film zeigten, musste Polizeischutz aufgefahren werden, und an einigen Orten wurden Vorführungen unterbrochen.

Nur eine Liebesgeschichte?

Das Filmteam rund um den renommierten Regisseur Carlos Carrera zeigte sich angesichts so heftiger Reaktionen überrascht. Schließlich hatte man aus Rücksichtnahme auf katholische Empfindlichkeiten den Filmstart um einige Wochen verschoben, damit er nicht mit dem Papstbesuch zusammen fiele. „Dies wäre eine Provokation gewesen, und darum ging es nicht“, erklärte der Hauptdarsteller Gael García Bernal, international bekannt durch seine Rolle als desperater Kampfhundzüchter in ‘Amores Perros“, gegenüber der spanischen Zeitung „El País“. „Der Film ist nicht antiklerikal, er ist lediglich eine Liebesgeschichte. Genauso, wie “Amores Perros’ keine Geschichte über Hundekämpfe ist. In diesem Fall ist der Kontext die Kirche. Es ist ein Film, der niemanden verurteilt.“
In der Tat erzählt „El crimen del padre Amaro“ die inneren und äußeren Verstrickungen, Gewissenskonflikte und Doppelbödigkeiten seiner Protagonisten ohne Zeigefinger oder Moralkeule. Ähnlich wie das Kampfhundmilieu ist aber auch der Mikrokosmos einer Kirchengemeinde alles andere als ein „neutraler“ Hintergrund für eine Story.
Carrera und dem Drehbuchautor Vecente Leñero ist es ausgezeichnet gelungen, die Romanvorlage des portugiesischen Autoren Eça de Queiroz aus dem Jahre 1875 ins heutige Mexiko zu transponieren. Was die Kirchenvertreter angeht, so reicht die Palette vom schwergewichtigen Bischof, der die Interessen des Machtapparates vertritt, über den leutseligen Padre Benito, der nicht nur mit der Mafia kungelt, sondern auch ein kaum verhülltes Liebesverhältnis pflegt, bis hin zu Padre Natalio, der sich für die Ideen der Befreiungstheorie begeistert.

Mit bebenden Lippen vorm Beichtstuhl

Diesem klerikalen Panoptikum gesellen sich eine Reihe typisierter Nebenfiguren hinzu. Da gibt es Frauen, die mit bebenden Lippen im Beichtstuhl Dinge vorbringen, die beide Seiten zum Erröten bringen. Oder eine verrückte Alte, die Exorzismen betreibt und ihre Katze mit geraubten Oblaten füttert. Sie alle sind, wenn man so will, Teil der katholischen „cultura popular“. Diese hat für Außenstehende einen surrealen Unterhaltungswert, ist jedoch für diejenigen, die sich innerhalb ihres Universums bewegen, ziemlich beklemmend. Entsprechend gibt es auch für den Padre Amaro und seine heimliche Geliebte Amelia kaum Chancen auf ein glückliches Ende.
Mit seiner sorgfältig konstruierten Struktur, den ausgezeichneten DarstellerInnen und einer Bildsprache, die das Schöne genauso zeigt wie das Schäbige, gelingt es Carlos Carrera, ein Genre zu aktualisieren, das eigentlich schon ziemlich ausgelutscht zu sein schien: das Priestermelodram. Welten trennen „Padre Amaro“ nicht nur geografisch von einer sentimentalen Schmonzette wie „Die Dornenvögel“, die vor Jahren in zahlreichen Ländern mit großem Erfolg im Fernsehen gezeigt wurde.
Was die Realität angeht, so sind die Themen, die Carreras Film berührt, nach wie vor von trauriger Aktualität. Denn immer noch halten die greisen Patriarchen in Rom eisern am Zölibat fest und verbannen damit Abertausende von Paaren samt ihren Kindern in die Illegalität.
Nach wie vor setzt die katholische Kirche all ihren Einfluss ein, um Abtreibungen so weit wie möglich zu kriminalisieren. Erst kürzlich wurde in Nicaragua mit allen Mitteln versucht zu verhindern, dass ein neunjähriges Mädchen, das vergewaltigt worden war, die Schwangerschaft abbrechen durfte. Hält man sich dieses Panorama aus Doppelmoral, Selbstgerechtigkeit und Blindheit gegenüber menschlichem Leid vor Augen, scheint der Film „Das Verbrechen des Padre Amaro“ höchst aktuell und dringend notwendig. Die Reaktion der Amtskirche in Mexiko hat gezeigt, dass der Film in ein Wespennest gestochen hat.

„El crimen del padre Amaro“; Regie: Carlos Carrera; Mexiko/ Spanien 2002; Farbe, 121 Minuten. Der Film startet am 15. Mai im Kino.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren