Ein Universum gegen das Vergessen
Patricio Guzmán beschreibt in seinem neuen Dokumentarfilm “Nostalgia de la Luz” die Atacama-Wüste als einen metaphorischen Ort
Der Film beginnt mit einer Hommage an die chilenische Astronomie, die in der Atacama-Wüste ideale Bedingungen zur Beobachtung des Weltalls gefunden hat. Guzmán genießt es, in langen Einstellungen die Ästhetik und Größe des Universums über den menschlichen Versuch der Beobachtung desselben zu legen. Zwischen die Bilder von Sternen und den mechanischen Bewegungen der Gerätschaften ihrer Beobachtung sind immer wieder Gespräche gewoben. Diese einfühlsam geführten Gespräche, welche Guzmán wie schon in früheren Filmen auf besondere Weise gelingen, weisen auf das zweite, eigentliche Thema von Nostalgia de la Luz hin: Chiles Erinnern, Chiles Vergessen.
Schon in seinem zwischen 1975 und 1979 veröffentlichten Monumentalwerk La Batalla de Chile und in vielen seiner weiteren Filme, beispielsweise La Memoria Obstinada (1996), El Caso Pinochet (2001) oder Salvador Allende (2004), widmete sich Patricio Guzmán Chiles trauriger Geschichte und ihrer heutigen Bedeutung.
In Nostalgia de la Luz sprechen einige wenige Menschen, vor allem Angehörige der desaparecidos. Sie drücken die Spaltung der chilenischen Gesellschaft aus. Für diese Spaltung findet Guzmán im Film die Metapher eines alten Ehepaars, paradox zusammen und zur selben Zeit getrennt lebend. Er, bezeichnend für die Erinnerung, noch heute in der Lage, erdrückend präzise Pinochets Lager der Atacama-Wüste aufzuzeichnen, sie hingegen spiegelt, aufgrund ihrer Erkrankung an Alzheimer, das Vergessen wider.
Nostalgia de la Luz wurde in diesem Jahr mit dem Europäischen Filmpreis als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet und das zu Recht. Guzmáns neuer Film ist eine große Metapher, zusammengesetzt aus vielen kleinen. Drängten sich noch zu Beginn des Films ungnädige Worte darüber auf, dass enervierenden Aufnahmen von Sternenkonstellationen ein zu großer Raum eingeräumt würde, sind es in Guzmáns gewohnt feinsinniger Erzählweise seine Metaphern und das große Thema – die chilenische Gesellschaft und die in ihr bis heute fortdauernde menschliche Katastrophe – , welche diese Worte schnell unzutreffend machen.
Guzmán verfolgt weiterhin seine Auseinandersetzung mit der veränderten, verletzten chilenischen Gesellschaft. Er nähert sich der Vergangenheit, dem Vergessen und dem Erinnern immer wieder neu. Darin verborgen liegt sein Traum einer lebendigen Zukunft. Dieser Traum wird mit Nostalgia de la Luz zu einem Appell an die Begegnung von Menschen.