Nummer 402 - Dezember 2007 | Sachbuch

Ein vielschichtiges Bild

„Revolution als Prozess“ bietet aufschlussreiche Einblicke in Venezuelas „bolivarianische Revolution“

Nora Müller

Sowohl die mediale Berichterstattung als auch die sonstigen Debatten über Venezuela sind nicht nur vielfach einseitig, sondern kreisen meist um die polarisierende Persönlichkeit des Staatspräsidenten Chávez. Doch Venezuela und der dortige politisch-soziale Prozess sind weitaus vielschichtiger. Diesem trägt das von Andrej Holm herausgegebene Buch „Revolution als Prozess“ der zehnköpfigen Forschungsgruppe MovimentoR Rechnung. Es bringt in Form von acht Aufsätzen ein wenig Licht in die unübersichtlich bis unverständlich wirkende Realität des heutigen Venezuela.
Anhand der Darstellung und Diskussion verschiedener gesellschaftlicher Bereiche wird die Vielseitigkeit des „Prozesses“ deutlich. Im Zentrum steht die Rolle der Sozialen Bewegungen und der unterschiedlichen AkteurInnen bei der Suche und Umsetzung neuer gesellschaftlicher Lösungen jenseits des Neoliberalismus.
In ihrem Beitrag „Protagonismus der Ausgeschlossenen“ verdeutlichen A. Holm und M. Bernt beispielsweise anhand der Kommunalen Räte (consejos comunales) und der städtischen Bodenreform, welche Rolle Stadtteilbewegungen und Nachbarschaftsorganisationen der barrios heute bei partizipativer Stadtentwicklung und der Entstehung einer protagonistischen und partizipativen Demokratie spielen.
Interessante Aspekte finden sich auch in den Aufsätzen zu den bekannteren Beispielen, wie der venezolanisch-kubanischen Kooperation misión barrio adentro zum Ausbau einer kostenlosen Gesundheitsversorgung oder den verschiedenen Initiativen im Bildungswesen. Den Herausforderungen und Schwierigkeiten beim Aufbau alternativer, solidarischer Wirtschaftsformen widmet sich der Artikel von Dario Azzellini.
Ein wichtiger und aufschlussreicher Beitrag, gerade vor dem Hintergrund der in diesem Frühjahr großteils polemisch geführten Debatte über die vermeintlich so eingeschränkte Medienlandschaft Venezuelas, ist der Aufsatz von Malte Danijuk. Neben der Rolle der privaten Medien im politischen Machtkampf, wird insbesondere die Bedeutung alternativer und basisdemokratischer Nachbarschaftsmedien für die Demokratisierung der Medienlandschaft beleuchtet. Mit Medienkonzeptionen, wie man sie hierzulande zumeist vergeblich sucht, wird in Venezuela angestrebt, den Unterschied zwischen Sender und Empfänger aufzuheben und so die wichtige Frage nach gesellschaftlicher Meinungs- und Definitionsmacht neu zu stellen.
Abgerundet wird das Buch durch Artikel zur Rolle der venezolanischen Linken, des Bolívar-Kults, sowie die Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung und Entwicklung Venezuelas.
„Revolution als Prozess“ ist ein gelungener, gut zu lesender Überblick zu wichtigen aber häufig vernachlässigten Aspekten des heutigen Venezuelas, der trotz Komprimiertheit nicht oberflächlich oder flach, sondern differenziert und mit kritischer Sympathie die Veränderungen in Venezuela betrachtet. LeserInnen, die sich bislang noch nicht näher mit Venezuela beschäftigt haben, vermitteln gut zusammengefasste Einführungen den jeweils notwendigen Hintergrund.
Ein Buch, das nicht nur für Venezuela- oder Lateinamerikainteressierte äußerst lesens- und bedenkenswert ist.

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