Eine COP und viele Perspektiven
Belém bekommt globale Aufmerksamkeit

Als Luiz Inácio Lula da Silva 2022 die Präsidentschaftswahl gewann, kehrte Brasilien nach den Bolsonaro-Jahren wieder auf die Bühne der internationalen Politik zurück – und die Ausrichtung der COP30 war und ist dabei ein zentrales Instrument. Lula und die brasilianische Regierung wollten ihrem Bekenntnis zum Multilateralismus (Internationale Zusammenarbeit zwischen mehreren Staaten, Anm. d. Red.) ein global sichtbares Zeichen geben. Aber es ging auch darum, Brasiliens negatives Image zu revidieren: Immer wieder sorgte der brennende Amazonaswald für dramatische Bilder und Schlagzeilen. Und für Brasilien und Amazonien ist der Bezug zur Klimapolitik fundamental: Nach wie vor ist Entwaldung der wichtigste Faktor der CO2-Emissionen des Landes. Brasilianische Klimapolitik kann ohne die Reduzierung von Entwaldung kein Erfolg sein.
Die öffentlichen Äußerungen Lulas zeigen, dass zumindest für ihn Amazonien als Ort der COP den entscheidenden Unterschied macht. Er will damit auch der für viele Brasilianer*innen irritierenden Fixierung der internationalen Öffentlichkeit auf den Wald entgegentreten: „Es ist eine Sache, über Amazonien in Ägypten zu diskutieren; es ist eine andere Sache, über Amazonien in Berlin zu diskutieren; es ist eine andere Sache, über Amazonien in Paris zu diskutieren. Das ist jetzt anders. Jetzt werden wir über die Bedeutung des Amazonas innerhalb Amazoniens diskutieren. Wir werden über die Indigene Frage diskutieren, über die Indigene Bevölkerung. Wenn wir über Umweltfragen sprechen, müssen wir auch über die Menschen sprechen, die in diesen Regionen leben und ein Leben in Würde führen sollen. Denn wenn wir über Naturschutz sprechen, müssen wir auch die 50 Millionen Menschen schützen, die im Amazonasgebiet Südamerikas leben. All das müssen wir schützen, denn nur so können wir die Umwelt schützen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Schutz der Umwelt damit beginnt, dass wir uns um die armen Menschen kümmern, die in diesen Regionen leben.“ Belém soll also ein Ort sein, der Umwelt- und Klimapolitik mit dem Kampf gegen Armut verbindet – und dabei auch die vorbildliche Bilanz der Regierung zeigt. Und tatsächlich hat die Regierung Lula nach fast drei Jahren Amtszeit einiges vorzuweisen: die Entwaldung im Amazonasgebiet ist deutlich zurückgegangen, ebenso wie extreme Armut und Mangelernährung. Die Einrichtung eines Ministeriums für Indigene Fragen und die Ernennung der Indigenen Aktivistin Sonia Guajajara zur Ministerin hat einen klaren Schwenk in der Politik für die Indigenen Völker signalisiert. Aber bald tauchten auch Probleme auf, die dem Image der Regierung Schaden zufügen können.
Nicht alles läuft gut
Bald beherrschten negative Schlagzeilen die internationale Presse und säten Zweifel, ob Belém tatsächlich ein geeigneter Austragungsort sei. Die Kritik an der prekären Infrastruktur in Belém (Straßen voller Löcher, offene Abwasserkanäle, Abfall auf den Straßen…) ließ sich noch relativ leicht als Arroganz westlicher Länder abwehren oder sogar als positives Merkmal umdeuten: willkommen in der realen Welt des Globalen Südens. Aber eine COP ist keine soziale Erkundung, sondern eine komplexe Konferenz, an der fast alle Staaten der Welt teilnehmen. Die Delegationen waren bald mit fehlenden Hotelbetten und horrenden Preisen konfrontiert. Die Krise der Unterkünfte dominierte daher bald nicht nur die Berichterstattung über die COP, sondern führte auch zu einem Aufschrei auf der Vorbereitungskonferenz in Bonn im Juni dieses Jahres. Und es waren nicht primär die Staaten des Globalen Nordens, sondern Länder aus Afrika oder Inselstaaten des Pazifiks, die erklärten, dass die exorbitanten Preise ihre Teilnahme unmöglich zu machen drohten und sogar eine Verlegung der COP ins Spiel brachten. Die wird es nun nicht mehr geben, aber auch bis Mitte Oktober war die Frage der Unterbringung trotz aller Beschwichtigungsversuche der brasilianischen Regierung und der Anmietung von Kreuzfahrtchiffen nicht wirklich gelöst. Die Kritik gerade der ärmeren Staaten droht zu einem erheblichen Imageschaden für die brasilianische Regierung zu werden.
Bald kamen aber auch Zweifel an der Idee einer Wald- und Amazonien-COP auf. Wie steht es denn eigentlich um die Verhandlungsagenda? Da steht die Reduzierung von Entwaldung nicht auf der Tagesordnung. Wenn die COP nicht zu einem symbolischen Spektakel verkommen soll, dann darf sie die zentrale Frage der globalen Klimapolitik nicht ignorieren: das unvermeidliche Ende des fossilen Zeitalters. Diese Debatte kommt der brasilianischen Regierung höchst ungelegen. Denn im vergangenen Jahr wurde Erdöl zum wichtigsten Exportprodukt Brasiliens. Und ausgerechnet im Bereich der Amazonasmündung sollen neue Ölfelder erschlossen werden. Treiberin ist die halbstaatliche Ölgesellschaft Petrobras, deren Präsidentin sich als brasilianische „Drill, baby, Drill“-Verkünderin profilierte. Präsident Lula unterstützte dies ausdrücklich und kritisierte die brasilianische Umweltbehörde für ihre zögerliche Bewilligung der erforderlichen Genehmigungen.
Aber damit nicht genug: Ein Gesetz, das die Regulierungen für Umweltgenehmigungen in Brasilien dramatisch aufweicht, ist vom Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet worden. Die brasilianische Umweltministerin Marina Silva hat das Gesetz als den „Sargnagel für Umweltlizensierung“ bezeichnet, die Nichtregierungsorganisation Observatório do Clima („Klimabeobachtungsstelle“) erachtet den Entwurf als den „entscheidensten Rückschritt in der brasilianischen Umweltpolitik in den letzten Jahrzehnten“. Aber anders als bei der Frage der Erdölförderung, handelt es sich hier um eine Politik gegen die Regierung. Die Lula-Regierung verfügt über keine stabile Mehrheit im Parlament und in Brasilien hat der Wahlkampf begonnen. In der nationalen politischen Agenda spielt die COP kaum eine Rolle. Es geht um den Gerichtsprozess gegen Bolsonaro und eine Amnestie für die Straftaten im Kontext der Parlamentsstürmung am 8. Januar 2023. Kurzfristig zumindest profitiert Lula in den Umfragen von den Sanktionen der US-Regierung. Er kann sich nun als Vorkämpfer der nationalen Souveränität Brasiliens profilieren. Die Agenda der COP tritt dabei in den Hintergrund.
Im Oktober 2026 wird in Brasilien gewählt, der Wahlkampf hat mit aller Heftigkeit bereits begonnen und damit verringert sich die Macht der Regierung und ihre Fähigkeit, im Kongress Kompromisse zu verhandeln. In verschiedenen Fragen hat die Regierung in den letzten Wochen Abstimmungen klar verloren. Von dem mehrheitlich als rechts zu verortenden Kongress ist keine Rücksicht auf die COP30 oder auf Klimapolitik zu erwarten – im Gegenteil. Dies ist auch ein Vorgeschmack davon, was droht, wenn die rechte bis rechtsradikale Opposition die nächsten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2026 gewinnen sollte. Und eines ist jetzt schon klar: Diese politische Lage wird die Umwelt- und Klimapolitik in Brasilien stärker beeinflussen als die COP30. Für das internationale Ansehen von Präsident Lula ist die COP wichtig – für den Ausgang der Wahl eher nicht.
Verhandlungsprozess ohne Agenda?
Während die internationale Presse breit über die Krise der Unterkünfte oder auch über einige problematische Baumaßnahmen der COP berichtet, bleibt der eigentliche Verhandlungsprozess im Hintergrund. Das liegt nicht nur daran, dass dies zu einer Frage von Spezialist*innen geworden ist, sondern hängt auch damit zusammen, dass keine wichtigen Entscheidungen zu fällen sind.
Die renommierte brasilianische Umweltjounalistin Daniela Chiaretti diagnostiziert, die Agenda der COP30 sei „wenig sexy“; es fehle das große Thema. Hinzu kommt eine gewisse Ermüdung im Konferenzmarathon. Die COP von Baku sollte eine COP der Finanzierung sein, nur erzeugt der Beschluss von Baku großen Frust im Globalen Süden.
Die brasilianische Präsidentschaft will auf keinen Fall das Ergebnis von Baku wieder zur Debatte stellen, sondern soll einen Fahrplan vorlegen, wie die als zu unzureichend beklagte Summe von 300 Milliarden US-Dollar überhaupt bis 2035 aufgebracht werden sollen. Angesichts anderer Prioritäten (Rüstung!) und einer kriselnden Wirtschaft in Europa ist hier der Frust vorprogrammiert.
Aber Paris hat auch den Schwerpunkt der globalen Klimapolitik verändert: Sie basiert nun nicht auf den globalen Vereinbarungen, sondern auf den nationalen Klimazielen, den NDCs, die von den Ländern selbst festgelegt werden und nicht Teil der Verhandlungen sind. Die brasilianische Präsidentschaft hat nun die COP30 zu einer Konferenz der „Implementierung und der Aktion“ erklärt. Aber ob das gelingt, muss abgewartet werden.
Wahrscheinlich ist, dass Vorschläge, die gar nicht zur Klimakonvention gehören, der eigentlichen COP-Agenda die Show stehlen werden. Das ist insbesondere der Vorschlag für einen neuen globalen Waldfonds, den TFFF. Und auch der Gouverneur des Bundesstaates Pará, Helder Barbalho, wird die COP nutzen, um seinen Bemühungen, den CO2-Markt für waldbasierte Kredite zu beleben, Aufmerksamkeit und Unterstützung zu verschaffen. Das Thema ist auch in Brasilien hoch umstritten und wird einer der Schwerpunkte der Proteste bei der COP sein.
Aber eines steht fest: Die COP30 mobilisiert die Zivilgesellschaft insbesondere in Brasilien und Lateinamerika. Brasilien ist ein demokratisches Land und nach den COPs der Diktaturen, wird es endlich wieder Demonstrationen, Proteste, Debatten und ein Parallelforum (Cúpula dos Povos) geben. Die COP in Belém ist auch eine Chance, den Akteur*innen Sichtbarkeit zu geben, die im offiziellen Prozess marginalisiert sind. Und daher ist der Ort der COP30 tatsächlich wichtig: Für Bruna Balbi von der Menschenrechtsorganisation Terra de Direitos („Land der Rechte“) ist die Kritik an Belém auch Ausdruck eines Vorurteils „gegen Amazonien als legitimer Ort der politischen Organisation“. Dies zeigt, dass die Zentren der Macht von der Autonomie Amazoniens beunruhigt sind. „Die Frage ist nicht nur, wo das Event stattfindet, sondern wer das Recht hat, zu sprechen, zu entscheiden und zu existieren.“ Viel Kritik wird auch als eine Arroganz des Zentrums gegenüber einer marginalisierten Region, die ihre Rebellion zeigen will, wahrgenommen.
Belém wird ein Ort dieses Disputes sein. Dazu mobilisieren die sozialen Bewegungen Brasiliens. Es gibt keine Kampagne gegen die Austragung der COP in Belém, bei aller Kritik an einzelnen Baumaßnahmen. Die Perspektive der COP30 als Ort demokratischer Debatten, massiver Proteste, von Kämpfen um Sichtbarkeit und Anerkennung, aber auch der Lebenszeichen des arg gebeutelten Multilateralismus, sollte wohlfeile Kritik an Hotelpreisen in Grenzen halten und etwas Hoffnung zulassen.
Thomas Fatheuer ist als freier Autor und Mitarbeiter des FDCL tätig. Zudem ist er Vorstandsmitglied bei der Kooperation Brasilien (KoBra e.V.).





