Einen Schritt weiter in die falsche Richtung
Zum 1. Januar ist die letzte Stufe des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens in Kraft getreten
Von allen internationalen Freihandelsverträgen ist das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) am radikalsten – zumindest hinsichtlich der Bestimmungen für Agrarprodukte. Das Abkommen, 1994 von Mexiko, den USA und Kanada unterzeichnet, schreibt vor, den gesamten Agrar- und Lebensmittelhandel innerhalb von 14 Jahren vollständig zu liberalisieren. Diese 14 Jahre waren am 1. Januar 2008 um. Die Übergangsfristen, die für sensible Produkte wie Mais und Bohnen bisher noch galten, liefen Ende 2007 aus.
Von Anfang an verband NAFTA ungleiche Partner: zwei Industrieländer mit einem Entwicklungsland. In der Landwirtschaft ist die Asymmetrie zwischen den drei Wirtschaftspartnern besonders ausgeprägt: So ernten die mexikanischen Bäuerinnen und Bauern im Schnitt 0,6 Tonnen Bohnen und 2,5 Tonnen Mais pro Hektar, in der hochindustrialisierten US-Landwirtschaft liegen die Erträge bei 1,8 Tonnen Bohnen und 8,4 Tonnen Mais, also drei bis vier Mal höher. In diesen Zahlen ist das Ungleichgewicht innerhalb Mexikos noch nicht berücksichtigt: Denn während AgrarunternehmerInnen im Norden Mexikos auf großen Feldern mit Einsatz von Bewässerung und viel Technologie teils hohe Erträge erwirtschaften, kämpfen die Kleinbauern und -bäuerinnen im ärmeren Süden auf winzigen, meist steilen und wenig ertragreichen Feldern ums Überleben.
Während der ersten 14 Jahre, die NAFTA inzwischen in Kraft ist, haben sich die Asymmetrien zwischen den zwei nördlichen Ländern und Mexiko noch vergrößert. Wie Max Correa, Sprecher der Campesin@organisation CCC erklärt, sind die Einkommen im mexikanischen Agrarsektor in den letzten 14 Jahren um 60 Prozent gesunken. Über fünf Millionen Arbeitsplätze auf dem Land seien verloren gegangen, so Correa. Über 70 Prozent der Landbevölkerung leben in Armut, 20 Prozent davon in extremer. Während die USA die Subventionen für ihre Landwirtschaft entgegen ihrer Ankündigung nicht reduziert hat, kommt den mexikanischen Kleinbäuerinnen und -bauern kaum Unterstützung von Seiten ihrer Regierung zu.
Doch trotz all dieser Zahlen versichert die mexikanische Regierung, ihr Agrarsektor sei erfolgreich und wettbewerbsfähig. So versichert Rocío Ruiz Chávez, Staatssekretärin des Industrie- und Handelsministeriums: „Der Mais ist das kleinere Problem, er ist nicht unsere Hauptbefürchtung. Die Versorgung für dieses Jahr ist gesichert.“ Bezüglich der Bohnen, eines der anderen sensiblen Produkte, die ab diesem Jahr keinerlei Zollschutz mehr genießen, meint sie: „Bohnen gibt es reichlich. Außerdem haben wir Mexikaner aufgehört, sie zu essen, da niemand mehr die zwei Stunden Zeit hat, um einen Topf Bohnen zu kochen und wir deswegen jetzt Pasta, Reis oder irgendetwas weniger zeitaufwändiges bevorzugen.“ Der mexikanische Präsident Felipe Calderón selbst lehnt es rundweg ab, den Vertrag neu zu verhandeln. Er bekräftigte hingegen seine Einschätzung, das Freihandelsvertrag sei seit seinem Inkrafttreten 1994 ein großer Erfolg.
Das sehen hunderte Organisationen von Kleinbäuerinnen und -bauern anders. Sie befürchten, dass in Folge der Zollbefreiungen und der Veränderungen auf dem Weltmarkt rund 200.000 KleinproduzentInnen ihre Arbeit aufgeben werden. NAFTA, so die einstimmige Meinung der KritikerInnen, habe die Probleme auf dem Land verschärft: Landflucht und Landkonzentration, Zunahme der Migration vom Land in die Städte und in die USA, wachsende Armut sowie Anstieg der ländlichen wie städtischen Marginalisierung.
Dabei ist das Problem nicht, dass kein Geld in die mexikanische Landwirtschaft fließen würde. Doch das, was die Regierung gibt, verteilt sie äußerst ungleich. So erhalten ProduzentInnen mit mehr als 100 Hektar doppelt so viele Finanzmittel pro Hektar aus dem Nationalen Hilfsprogramm für das Land (PROCAMPO) wie Kleinbauern und -bäuerinnen, die weniger als einen Hektar besitzen. Seit den 1980er Jahren hat die mexikanische Regierung – im Einklang mit neoliberaler Ideologie und unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds – die Unterstützung für die Landwirtschaft umstrukturiert und stark reduziert. Statt die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu unterstützen und damit die eigene Ernährungssouveranität zu sichern, setzte sie schon damals auf wenige GroßproduzentInnen und billige Importe aus dem Ausland.
Bis in die 1990er Jahre war der Maispreis noch staatlich reguliert, im Rahmen der Verhandlungen um NAFTA wurden die ehemals staatlichen Betriebe für den Handel mit Saatgut, Agrargütern und Tortillas privatisiert, der Maispreis dem Marktregime unterworfen. Wenige Großkonzerne wie z.B. Maseca teilen sich heute den mexikanischen Maismarkt auf und machen den Kaufpreis für die KonsumentInnen abhängig von Spekulation und Weltmarktpreisen, was zu drastischen Verteuerung der Preise für Grundnahrungsmittel wie Tortillas geführt hat.
Seit den 1990ern importiert Mexiko jährlich zwischen 30 und 40 Prozent seines Bedarfs an Mais, allerdings bisher nur gelben Mais, der als Tierfutter dient oder in die Industrie geht, und auch von diesem nur bestimmte Kontingente. Mit weißem Mais, aus dem die Tortillas und andere Lebensmittel hergestellt werden, kann sich Mexiko selbst versorgen – noch. Denn nun sind die Grenzen auch für den hochwertigeren weißen Mais geöffnet, womit auch die Versorgung im Inland gefährdet ist. Zum Einen, weil Importe zu Dumpingpreisen die mexikanischen ProduzentInnen möglicherweise in den Ruin treiben. Zum anderen, weil es sich für die einheimischen GroßproduzentInnen bei hohen Weltmarktpreisen eher lohnt, ihren weißen Mais ins Ausland zu verkaufen als auf dem mexikanischen Markt.
Dies war mit ein Grund, warum es im Januar und Februar 2007 zur “Tortilla-Krise“ kam: Die Regierung des damaligen Präsidenten Fox hatte den HändlerInnen aus Nordmexiko im Herbst 2006 erlaubt, tausende Tonnen weißen Mais mit hohen Gewinnen auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Wenige Monate später trug diese Verknappung dazu bei, dass die Preise für Tortilla in kurzer Zeit um 80 bis 120 Prozent stiegen. Für den Verkauf war damals noch die Erlaubnis der konservativen Regierung nötig, die mit den großen mexikanischen Agrarkonzernen eng verbunden ist. Seit dem 1. Januar benötigen die Konzerne jedoch nicht einmal mehr das.
Am Neujahrstag demonstrierten hunderte Menschen in Mahnwachen und Menschenketten entlang der Grenzübergänge und vor Regierungsgebäuden. Doch die Behörden und die mexikanische Regierung stellen sich taub – allerdings mit Ausnahmen: Der Präsident der Sonderkommission des Abgeordnetenhauses für das Agrarkapitel des NAFTA, Rutilio Escandón, gab offen zu, er schätze, der verzerrte Wettbewerb zwischen den drei Ländern werde die acht Millionen mexikanische Campesin@s hart treffen. Auch ein Bericht des Abgeordnetenhauses geht davon aus, dass 2008 die Zahl der illegalen MigrantInnen in die USA aus diesem Grunde um zehn Prozent steigen wird.
Simón David Ávila Pacheco von der National-Universität UNAM zufolge könnte der verschärfte Wettwerb auf dem Land sogar zu ganz neuen Problemen führen. Wenn es den bisherigen ProduzentInnen von Grundnahrungsmitteln unmöglich wird, auf dem Markt zu bestehen, könnten sie auf den Anbau von Schlafmohn und Marihuana zurückgreifen, so Ávila Pacheco. Schließlich habe sich in vielen anderen Ländern gezeigt, dass der Anbau verbotener Pflanzen nicht dazu dient reich zu werden – sondern schlichtweg zu überleben.