ENTGEHEN MILITÄRS DER ANKLAGE?
Die guatemaltekische Staatsanwaltschaft startet Prozesse gegen ehemalige Militärs. Doch die sitzen zum Teil in der neuen Regierung
Für Édgar Ovalle Maldonando war der 28. Januar ein großer Tag. Da lehnte der Oberste Gerichtshof, die Corte Suprema de Justica (CSJ), den Antrag der Staatsanwaltschaft ab: Die Vorverhandlung gegen den ehemaligen ranghohen Militär Maldonando wird demnach nicht aufgenommen. Neben Maldonando wirft die Staatsanwaltschaft auch siebzehn weiteren ranghohen Militärs vor, für zahlreiche Morde und das systematische gewaltsame Verschwindenlassen von hunderten von Zivilist*innen verantwortlich zu sein. Die Verbrechen sollen insbesondere in der Zona 21 des Landes, die rund um die Stadt Cobán im Verwaltungsbezirk Alta Verapaz liegt, verübt worden sein. Der anklagenden Staatsanwaltschaft zufolge hätten die insgesamt achtzehn Militärs die ermordeten Menschen auf dem Gelände des Militärstützpunkts verscharrt. Unter den Initialen CREOMPAZ, was auf deutsch für „regionales Trainingskommando für friedensstiftende Operationen“ steht, läuft der Mammutfall bei der Staatsanwaltschaft in Guatemala. Menschen-rechtsanwält*innen zweifeln nicht daran, dass gegen die Richtigen ermittelt wird.
Doch Édgar Ovalle Maldonando ist den Ermittlungsbehörden vorerst von der Schippe gesprungen. Dabei ist unstrittig, dass er die Streitkräfte in der Ixil-Region zwischen September 1981 und September 1982 leitete. Das geht aus ehemals geheimen Dokumenten der US-Behörden hervor, die außerdem belegen, dass allein in diesem Zeitraum 77 Massaker mit mehr als 700 Opfern verübt worden sind. Auf diese, aber auch auf zahlreiche andere Quellen berufen sich die Ermittler*innen, die am 6. Januar mit dem Fall für internationale Aufmerksamkeit sorgten. In Guatemala war der Fall ein Paukenschlag. Warum? Weil neben den ergrauten Ex-Militärs und Ex-Minister*innen mit Ovalle Maldonando auch jemand in den Fokus der Ermittlungen geraten war, der wenige Tage später an der Seite von Präsident Jimmy Morales vereidigt werden sollte – als Minister. Das wurde gestrichen. Doch zumindest im Parlament hat Maldonando als rechte Hand vom Präsident Jimmy Morales, der am 14. Januar vereidigt wurde, noch sein Mandat. Mit der Entscheidung der Richter*innen, die Immunität des Parlamentariers Ovalle Maldonando nicht aufzuheben – aufgrund nicht ausreichender Beweise, wie es heißt – kann er nun auch weiterhin Politik machen. Ovalle Maldonando ist außerdem als designierter Fraktionschef der elfköpfigen Abgeordnetengruppe der Front nationaler Zusammenkunft (FCN) vorgesehen. Doch das ist er jetzt nur noch unter Vorbehalt, denn als sicher gilt, dass die Ermittlungsbehörden auch weiterhin nach hieb- und stichfesten Beweisen suchen werden, um den stämmigen Mann mit dem sorgfältig gestutzten, eisgrauen Schnauzer vor den Richter zu bringen.
CREOMPAZ ist dabei nur einer der spektakulären Fälle, die in den nächsten Wochen und Monaten anstehen. Es geht in diesem Fall um rund 558 Tote, darunter 90 Minderjährige und drei Senior*innen. Von den Toten konnten bisher 97 Menschen identifiziert werden. Darunter sind einige, die während der zahlreichen Massaker verschleppt wurden, die die Armee zu Beginn der 1980er Jahre in der Region verübte. Andere Opfer wurden von Guatemala Stadt nach Cobán geschafft. Das ist einer der Gründe, weshalb die Staatsanwaltschaft gegen die Militärs wegen des systematischen gewaltsamen Verschwindenlassens ermittelt. Dadurch könnte CREOMPAZ zu einem Meilenstein in der Justizgeschichte des Landes werden.
Gleiches gilt für den Korruptionsprozess gegen Ex-Präsident Otto Pérez Molina und Ex-Vizepräsidentin Roxana Baldetti und für den ersten Vergewaltigungsprozess gegen Militärs, der am 1. Februar beginnen wird.
Es sind allesamt Prozesse, die in Guatemala die politische Debatte bestimmen werden und die auch die Weichen für zukünftige Prozesse stellen könnten. Dass die Militärs mit den Zähnen knirschen und sich angesichts der Verhaftungswelle auch mal zu markigen Sprüchen hinreißen ließen und die Aufhebung von Verhaftungen und Urteilen verlangten, mag wenig überraschen. Weder Verteidigungsminister Williams Mansilla noch Oberkammandierender Jimmy Morales ließen sich hingegen auf ein Statement ein. Doch in der FCN von Staatschef Morales wird es genauso brodeln wie in den Parteien des rechten Lagers. Zu diesem gehört die Partei Líder („Anführer“) genauso wie die Patriotische Partei und zwei weitere kleinere Parteien.
Wie sich die Verhältnisse im neuen Parlament entwickeln, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen verlässlich zeigen. Denn in Guatemala fühlen sich die Abgeordneten nicht an ihr Mandat gebunden, sondern wechseln durchaus munter zu Beginn der Legislaturperiode, aber auch später: je nach Bedarf und nach den Machtkonstellationen. Und die sind noch nicht ganz klar, denn Jimmy Morales gilt im Parlament als schwach verankert – mit elf von 153 Abgeordneten hat er dort nur eine kleine Hausmacht. Hinzu kommt ein Fraktionschef auf Abruf, denn mit Ovalle Maldonando ist nicht fest zu rechnen und ein Armeechef, der wegen mehrerer Faux-Pas bereits den Hut nehmen musste. Ein glatter Start sieht anders aus. Und im Parlament ist die FCN des Präsidenten klar marginalisiert. Dort dominiert die sozialdemokratische UNE (Nationale Einheit der Hoffnung), die zwar die Präsidentschaftswahl verloren, aber viele Mandate gewonnen hat. Der Partei und dem Parlament als deren Präsident steht fortan Mario Taracena vor. Taracana kassierte gleich 54 dubiose Arbeitsverträge seines Vorgängers, die er als „Phantom-Verträge“ geißelte, mit denen Parteigänger belohnt würden. Er setzte somit gleich ein Signal, dass bei den Wähler*innen, die sich für ein Ende der Korruptionspraxis stark gemacht hatten, gut angekommen sein dürfte. Doch die Erwartungen bei der kreativen, kritischen Jugend sind begrenzt. Sie erwarten tiefgreifende Reformen in der Wahlgesetzgebung und bei der Parteienfinanzierung und vor allem mehr Transparenz im Alltag. Dafür aber ist Jimmy Morales für Viele nicht der Mann, weil er unter dem Pantoffel der Militärs steht. Ob sich daran durch die neuen Konstellationen im Parlament und den anstehenden Prozessen etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.