Entrüstung über Aufrüstung
„Haben Sie schon ihr 72-Stunden-Notfallpaket? Wie wird Ihrer Meinung nach der 3. Weltkrieg beginnen?“ – Die Sorge um Krieg und Sicherheitsthemen dominieren derzeit die politischen und medialen Debatten. Oft steht dabei vor allem eine These im Vordergrund: „Ohne Aufrüstung sind wir die nächsten Opfer.“ Dabei werden die Wahl Donald Trumps und der Angriffskrieg Russlands – auch über eine Unterstützung der angegriffenen Ukraine hinaus – als Argument für eine drastische allgemeine Erhöhung der Militärausgaben angeführt. Was hierbei untergeht, sind die Stärkung der Rüstungsindustrie auf Kosten der Zivilbevölkerung und Europas Verantwortung für globale Konflikte.
Denn während in den offiziellen Reden auch Angst davor geschürt wird, dass der Krieg hierher kommt, bringt Deutschland schon jetzt überall Krieg hin. Welche Körper sind also wichtig in diesem Diskurs?
In Deutschland und der EU produzierte Waffen finden ihren Weg in viele Regionen der Welt, unter anderem nach Lateinamerika, wo sie Gewalt, Verschwindenlassen und Unterdrückung schüren. Trotz offizieller Exportbeschränkungen umgehen deutsche Unternehmen wie Sig Sauer und Heckler & Koch systematisch die gesetzlichen Vorgaben, etwa über Tochterfirmen in den USA. Die gelieferten Waffen finden ihren Weg in autoritäre Sicherheitsapparate in Mexiko, Kolumbien und Brasilien.
Heckler & Koch lieferte beispielsweise G36-Sturmgewehre an mexikanische Polizeieinheiten, die sie 2014 beim Verschwindenlassen der 43 Studenten von Ayotzinapa einsetzten. Ob auch in dem aufgedeckten Trainings- und Vernichtungslager Rancho Eyzaguirre in Jalisco, Mexiko (Seite 6) deutsche Waffen zum Einsatz kamen, ist unklar, überraschend wäre es jedoch nicht. Auch in Brasilien profitierten Rüstungsunternehmen: 2023 wurde bekannt, dass die für das Massaker in der Favela Jacarezinho verantwortliche Zivilpolizei von Rio de Janeiro 500 neue Sig-Sauer-Gewehre erhalten hatte, finanziert von einem Fonds, den Bolsonaros Sohn aufgesetzt hatte. Von der 600-prozentigen Zunahme der Waffenlizenzen während Bolsonaros Präsidentschaft hat so ganz besonders Sig Sauer profitiert. Die Komplizenschaft zwischen der Rüstungsindustrie und Sicherheitsapparaten, die systematisch Menschenrechte mit Füßen treten, hat direkte und tragische Folgen: Mehr Waffen im Umlauf bedeuten mehr Gewalt, mehr unschuldige Opfer und mehr Instabilität in ohnehin schon fragilen Regionen.
Fragil sind dabei auch die Kontrollen gegenüber deutscher (Un-)Sicherheitsbehörden von Polizei bis Bundeswehr, in denen rechtsextremes Gedankengut weit verbreitet ist und immer wieder Unmengen an Munition und Waffen verschwinden, die später in den Kellern gewaltbereiter Nazitruppen gefunden werden. Während also europäische Regierungen mit großem Pathos vor einer äußeren Bedrohung warnen, existiert diese in anderer Form schon lange auch innerhalb der Landesgrenzen. Das Leid wird derweil vom fünftgrößten Waffenexporteur der Welt, Deutschland, exportiert, die Profite bleiben hier.
Gleichzeitig wird der gesellschaftliche Preis für die Ausweitung von Investitionen in Aufrüstung in Europa selbst sichtbar: Früher musste wegen der Schuldenbremse gespart werden, jetzt aufgrund ihrer Lockerung für Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben. Die Chance, die Schuldenbremse dauerhaft und sozial gerecht abzuschaffen, wurde vertan. Die Rechnung zahlen nun die Bürger*innen – möglicherweise durch gestrichene Feiertage, gekürzte Sozialetats und ein höheres Rentenalter. Während Rüstungskonzerne wie Rheinmetall im Jahr 2024 satte Gewinne einfuhren (Aktienkurs plus 20 %, Gewinnwachstum um 61 %), wächst der Frust in der Bevölkerung. Eine gefährliche Entwicklung, die vor allem denjenigen in die Hände spielt, die von Spaltung profitieren: rechtsextreme Parteien wie die AfD.