Ecuador | Nummer 365 - November 2004

Entwicklung durch Zusammenarbeit

Bürgerbeteiligung im Norden Ecuadors

Ein Bürgerparlament ist die innovative Antwort der ecuadorianischen Gemeinde Cotacachi auf die in der Agenda 21 geforderte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Lokalentwicklung. Auch der kommunale Haushalt wird hier von den BewohnerInnen gemeinsam geplant.

Daniela Heblik

Gemeindesaal Cotacachi: Die VertreterInnen der Stadtviertel und das „Comité de seguimiento“, eine Art zivile Kontrollinstanz, haben sich versammelt, um über den Nachtragshaushalt zu diskutieren. Die HaushaltsexpertInnen der Stadtverwaltung stellen zusammen mit einer Entwicklungshelferin des DED vor, welche Maßnahmen mit Hilfe der Transferzahlung der Zentralregierung durchgeführt werden sollen. Die Stimmung ist entspannt. Carmen Alta, eine junge Frau in der typischen Tracht der Indígenas meldet sich zu Wort: „Mein Eindruck ist, dass die andine Zone im kommunalen Haushalt stets weniger berücksichtigt wird als andere Zonen.“ Sie weist auf einen offensichtlichen Widerspruch hin. Der Nachtragshaushalt Cotacachi´s sieht Ausgaben in Höhe von rund 220.000 US-Dollar für das Stadtgebiet vor. Für die andine Zone sind knapp 30.000 US-Dollar eingeplant. Davon sollen Stromversorgung, Straßenbeleuchtungen und der Bau von Wasserreservoirs durchgeführt werden.
Der Bürgermeister erinnert daraufhin an das Solidaritätsprinzip. Das bedeutet, dass die subtropische Zone, die im letzten Haushalt zu Gunsten anderer Zonen ihre Forderungen zurückgestellt hat, diesmal stärker berücksichtigt wird. Was die Aufwendungen für das Stadtgebiet betrifft, so diene ein Großteil der Maßnahmen dem Wohl des gesamten Kantons. So sollen zum Beispiel 30.000 US-Dollar in das öffentliche Gesundheitsprogramm fließen, 22.000 US-Dollar sind für die Vernetzung der Stadtverwaltung und 20.000 US-Dollar für die Sanierung von Theater und Markthallen eingeplant. Letztere würden vor allem von der Landbevölkerung genutzt werden. Die Sanierung des Trinkwassernetzes sei notwendig geworden, weil das Wasser der Stadt zu stark mit Asbest belastet ist. Der Bürgermeister beendet seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass es sich bei dem präsentierten Haushalt selbstverständlich nur um einen Vorschlag handele.

Verteilung nach dem Solidaritätsprinzip

Cotacachi ist ein kleiner Landkreis im Norden Ecuadors. Hier leben rund 37.000 Menschen aus drei verschiedenen ethnischen Gruppen: die Indígenas des Andenhochlands, eine vorwiegend mestizische Bevölkerung im Stadtgebiet sowie eine afro-ecuatorianische Minderheit in der subtropischen Zone. Vor allem die ländlichen Gebiete sind überdurchschnittlich stark von Armut betroffen, über 90 Prozent der Bevölkerung haben ein Jahreseinkommen von weniger als 550 US-Dollar. Seit dem Jahr 2001 wird der gesamte Haushalt Cotacachi´s mit allen BürgerInnen gemeinsam geplant. Dieser Beteiligungshaushalt (Presupuesto Participativo) ist über die Landesgrenzen hinaus ein Vorbild.
Die beispielhafte Bürgerbeteiligung verdankt der Kanton seinem indigenen Bürgermeister Auki Tituaña, der 1996 zum ersten Mal gewählt wurde. 1997 hatten nur 50 Prozent der Bevölkerung Cotacachi´s Zugang zu Trinkwasser, 40 Prozent verfügten über Strom, knapp 20 Prozent waren an die Müllentsorgung angeschlossen. Heute haben rund 70 Prozent der Menschen in Cotacachi Zugang zu Trinkwasser, die Stromversorgungsrate ist auf 98 Prozent gestiegen.
Ziel des Bürgermeisters ist es, den gesamten Kanton mit den Basisleistungen zu versorgen. „Die Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Mittel und die Bürgerbeteiligung an lokalen Entscheidungen sprechen für die Politik der vergangenen Jahre. Die BürgerInnen selbst waren Protagonisten beim Aufbau eines neuen Cotacachi, die Zivilgesellschaft hat ein hohes Organisationsniveau erreicht.“
Die lokalen Entwicklungspläne werden in der „Asamblea de Unidad Cantonal“, dem Bürgerparlament, erstellt. Denn die neue Demokratie in Cotacachi baut auf der Partizipation der Zivilgesellschaft auf. Das Bürgerparlament gliedert sich in verschiedene Ausschüsse, die die Pläne und Projekte des jeweiligen Sektors für die Kantonalversammlung vorbereiten. Einmal pro Jahr treffen sich zwischen 700 und 800 VertreterInnen der verschiedensten Organisationen in einer dreitägigen Versammlung. Dort werden verschiedene Vorschläge diskutiert und Resolutionen formuliert, die von der Stadtverwaltung umgesetzt werden müssen. „In den letzten acht Jahre haben Gemeinde und Bürgerparlament die Bürgerbeteiligung gemeinsam entwickelt und verankert, die Gemeinde hat nur den Anstoß gegeben. Heute ist das Bürgerparlament eine starke Institution, die ihren gewonnenen Raum behaupten kann”, erläutert Tituaña.

Einigung im Gemeindesaal

Jetzt hat der Kanton Mittel von der Zentralregierung bekommen. Im Rahmen des Dezentralisierungsprozesses werden in Ecuador bestimmte staatliche Aufgaben von der Zentralregierung an die Gemeinden übertragen. Danach werden 15 Prozent der Staatseinnahmen nach einem bestimmten Schlüssel verteilt.
Diese Transferleistungen spielen eine große Rolle, da die städtischen Einnahmen meist sehr begrenzt sind. Jede Zone präsentiert ihre Projekte für den aktuellen Haushalt. Die Stadtverwaltung kalkuliert die Kosten und erstellt auf Basis der Vorschläge einen Haushaltsentwurf, der mit der Bürgerschaft diskutiert wird, bevor der abgestimmte Haushalt in den Stadtrat kommt. Zu jedem Schritt werden Workshops mit den VertreterInnen der Basisorganisationen durchgeführt. Bis zu 150 Menschen nehmen manchmal an so einer Versammlung teil.
Die Entscheidungen werden nicht per Abstimmung getroffen, sondern es wird so lange verhandelt, bis ein Konsens erzielt wird. Der gesamte Prozess dauert fast ein Jahr. Die „Comités de seguimiento“ treffen sich alle vier Wochen, um die Umsetzung zu kontrollieren und Vorschläge auszuarbeiten.
Das Ergebnis dieser Politik kann sich sehen lassen: Für beste Regierungspraktiken erhielt der Kanton im Jahr 2000 den Dubai-Preis. 2002 verliehen die Vereinten Nationen Cotacachi den Preis „Städte für den Frieden“. Und bei den in Kürze anstehenden Wahlen spricht alles für eine erneute Amtszeit des Bürgermeisters.
Im Gemeindesaal haben sich die VertreterInnen der Zivilgesellschaft schließlich geeinigt. Die Aufwendungen für den Kanton werden reduziert, indem Verpflichtungen gegenüber internationalen Kreditgebern um ein Jahr zurückgestellt werden. Die zusätzlichen Mittel sollen in Projekte der andinen Zone fließen. Nun muss der Nachtragshaushalt in den Versammlungen der andinen Zone und der subtropische Zone diskutiert werden, bevor er vom Stadtrat verabschiedet werden kann.

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