Entwicklungsprobleme Costa Ricas
Der Beginn der 80er Jahre war in Costa Rica geprägt von einem dramatischen wirtschaftlichen Verfall, der den bis dahin verfolgten Entwicklungsweg des zentralamerikanischen “Musterländle” grundsätzlich infrage stellte. Seit 1982 wurde unter den (sozialdemokratischen) PLN-Regierungen Monge und Arias ein gezieltes Anpassungsprogramm in Gang gesetzt. Die 70er Jahre wurden kurzerhand zur “verlorenen Dekade”; statt importsubstituierender Industrialisierung und Zentralamerikanischem Markt wurde nun mit Macht ein “neues Entwicklungsmodell” auf Basis von “nicht-traditionellen Exporten” proklamiert: Damit werde Costa Rica das erste Land Lateinamerikas sein, das einen Ausweg aus der Krise findet, formuliert programmatisch und vollmundig der “Nationale Entwicklungsplan” 1986-90. Ein Sammelband, der die “Entwicklungsprobleme Costa Ricas” zum Titel hat, ist somit zu einem Gutteil die Auseinandersetzung mit den Umstrukturierungen der letzten 10 Jahre und mit dem verkündeten neuen Entwicklungsparadigma.
Nun ist die Forcierung der “non-traditional exports” ja eine von IWF und Weltbank fast allen Dritte-Welt-Ländern “empfohlene” Strategie. In Costa Rica jedoch ist die “Strukturanpassung” nicht nur wirtschaftlich effektiv umgesetzt worden, sie war auch wie in kaum einem anderen Land “sozial verträglich”; die Vorzeigedemokratie des Kontinents wurde auch zum Musterland für die Möglichkeit eines “adjustment with a human face”. Der “relative Erfolg” der Regierungen in San José, so allerdings die These des Beitrags von Edgar Fürst, beruht insbesondere darauf, bei ihrer tatsächlichen Politik in beträchtlichem Maße von den neo-liberalen Vorgaben der Weltbank-Orthodoxie gerade abgewichen zu sein. Zwei Beispiele: Nicht die Freigabe des Wechselkurses, sondern die Regulierung des lokalen Devisenmarktes und ein von der Zentralbank reguliertes System von kontinuierlichen Mini-Abwertungen halten die Inflation auf niedrigem Niveau; und nicht durch Massenentlassungen von Staatsangestellten und radikale Kürzungen der Sozialleistungen, sondern vor allem durch vermehrte staatliche Einnahmen konnte der defizitäre Haushalt saniert werden.
Aber auch eine der entscheidenden Fußangeln der costaricanischen “Erfolgsstory” benennt Fürst: Den Spielraum für solche “heterodoxen Abweichungen” verdankte Costa Rica nicht zuletzt den geopolitischen Interessen der Reagan-Regierung, die das Gastland der Contra-Südfront mit einem massiven Finanzzustrom belohnte. Allein die von der Agency for International Development (AID) ins Land gepumpten Dollars finanzierten dem “Frontstaat” Costa Rica in den Jahren 1982 bis ’85 durchschnittlich über 50% des Leistungsbilanzdefizits…
Auch wenn dramatische soziale Explosionen ausblieben, hat auch in Costa Rica die Umsetzung der “Anpassungs”politik politische Konflikte mit sich gebracht. Mit der dabei im Zentrum stehenden Auseinandersetzung um die Agrarpolitik befaßt sich der Beitrag von Jürgen Weller. Insbesondere der Abbau von Garantiepreisen und Subventionen für die landwirtschaftlichen Grundprodukte Mais, Reis und schwarze Bohnen stieß auf teils heftigen Widerstand der Campesino-Organisationen und der Landwirtschaftskammern. Auf Regierungsebene spiegelte sich dieser Konflikt in der Auseinandersetzung zwischen den sogenannten “Gradualisten”, die für eine schrittweise und behutsame Veränderung plädierten, und den “neoliberalen” Verfechtern eines “harten Kurses”, wie Weller anschaulich nachzeichnet. Die grundsätzliche Ausrichtung der “Strukturanpassung” stellte dabei jedoch niemand infrage; und mittlerweile setzen auch fast alle noch aktiven Campesino-Organisationen auf eine “Doppelstrategie”, neben den Forderungen an die Landwirtschaftspolitik auch den Aufbau von “produktiven Projekten” für ihre Mitglieder zu betreiben, nicht selten im Bereich der nicht-traditionellen Exporte und mit staatlicher Unterstützung.
Direkt mit der entwicklungstheoretischen Debatte um ein “neues Modell” befaßt sich der Aufsatz von Wolfgang Hein. Als Ausgangspunkt übernimmt er das Konzept der “autozentrierten Entwicklung trotz Weltmarktintegration” wie es von Menzel und Senghaas an den Beispielen Taiwan und Südkorea, aber auch der historischen Entwicklung kleiner europäischer Staaten oder der Siedlungskolonien Australien und Kanada formuliert worden ist. Zum einen entspricht die für Lateinamerika außergewöhnliche sozio-ökonomische Struktur Costa Ricas – eine relativ (!) egalitäre Landverteilung, hohes Bildungsniveau, Sozialsystem etc – in vielem den von Menzel und Senghaas genannten Voraussetzungen; entscheidend, so Hein, sind aber auch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen seit Beginn der 80er Jahre, die eine erfolgreiche Dynamisierung des landwirtschaftlich-agroindustriellen Bereichs bewirkt haben. Wenn sich jedoch in Zukunft die Politik auf eine reine Exportförderung nicht-traditioneller Agrarexporte beschränkt, reproduziert dies im Extremfall nur das verhängnisvolle Modell der Bananenenklaven. Stattdessen fordert der Autor eine rasche Umorientierung der Wirtschaftspolitik: Das Entstehen interner linkagesFehler: Referenz nicht gefundeneinbauern in die Exportproduktion oder auch der nationalen (agrarbezogenen) Technologie-Entwicklung, für die es einige vielversprechende Ansätze gibt. Erfolgt diese politische Weichenstellung nicht, so das Fazit von Hein, wird das – vorhandene – Potential für einen “autozentrierten agroindustriellen Entwicklungsprozeß” verspielt.
Die Beiträge des Bandes fügen sich gut ineinander. Während Wolfgang Hein, um überhaupt wirtschaftliche Perspektiven formulieren zu können, die Frage der Auslandsverschuldung praktisch ausklammern muß (“Costa Rica kann seine Schulden so oder so nicht bezahlen”), ist dies das Thema des Beitrags von Mechthild Minkner – die ihre LeserInnen jedoch mit dem mehr als mageren Verweis auf den Brady-Plan als “eine Chance, Wachstum und Strukturanpassung zu verbinden” entläßt.
Überzeugender dagegen Elke Demtschüks Plädoyer für eine Reaktivierung der regionalen Integrationsbestrebungen. Denn trotz ihrer bisherigen Dynamik ist die gegenwärtige, weltmarktfixierte Entwicklungsstrategie nicht zuletzt deshalb überaus problematisch, weil von IWF und Weltbank ganzen Ländergruppen die gleiche Strategie und die Forcierung der gleichen Exportprodukte vorgeschlagen werden – mit dem vorhersehbaren Verdrängungswettbewerb und Preisverfall. Statt einer totalen Weltmarktorientierung könnte hier die Wiederbelebung des Zentralamerikanischen Markts eine “gemischte Strategie” einer “selektiven Einbindung in den Weltmarkt mit einer in und durch die Region gestärkten Ausgangspostition” ermöglichen. Die nobelpreisgewürdigte Friedensinitiative von Oscar Arias käme so auch zu ökonomischen Ehren. (Und mit der Wahlniederlage der Sandinisten im Februar mag auch der Widerstand der USA gegen derartige Pläne geringer sein, als es die Autorin noch annimmt.)
Wie sehr Costa Rica in den vergangenen zehn Jahren von den großräumigen geopolitischen Interessen der USA durchdrungen wurde, legt in beeindruckender Weise der Artikel von Gerhard Sandner dar. Er stellt unter anderem das spektakuläre Beispiel des großangelegten (und natürlich mit Geldern der AID finanzierten) “Integralen Entwicklungsprojekt der Zona Norte” (PIDZN) von 1983 dar, bei dem eben nicht “Entwicklung”, sondern das “geopolitische Erfordernis der Steigerung von Bevölkerungsdichte im Grenzgebiet zu Nicaragua” im Vordergrund stand (von der Verbesserung der Versorgungswege für die Contra ganz abgesehen).
Die Grenzen der Autonomie der jüngst so hoch auf das internationale Parkett gestiegenen costaricanischen Außenpolitik erörtert Wolfgang Lutterbach, der während der Monge-Regierung Vertreter der Ebert-Stiftung in San José war. International kaum bekannt hingegen ist die Asyl- und Flüchtlingspolitik Costa Ricas, die Klaus Barthel analysiert. Die traditionelle “Open-Door-Policy” für Exilianten wurde 1982 verschärft, nachdem eben nicht mehr nur verfolgte Intellektuelle aus den Ländern Südamerikas Asyl begehrten, sondern die Kämpfe in Nicaragua und EL Salvador einen massiven Zustrom von zumeist armen und ungebildeten Flüchtlingen ins Land brachten, die als (auch) ökonomische Bedrohung gesehen wurden.
Der von zwei GeographInnen herausgegebene Band – Produkt einer an der Technischen Universität Berlin im vergangenen Januar organisierten Tagung – versammelt auch eine Reihe von Beiträgen aus natur- und ingenieurswissenschaftlichen Disziplinen. So werden Probleme des Straßenbaus oder die Frage einer zunehmenden Gefährdung Zentralamerikas durch Hurrikans diskutiert. Zum Teil sind diese Artikel jedoch mehr Beleg für die Schwierigkeit der so oft im Munde (und beim vorliegenden Buch auf der Umschlagrückseite) geführten Interdisziplinarität, als daß sie einen fruchtbaren Dialog zwischen den Disziplinen darstellen. Der Beitrag “Starkregenereignisse, Intensitäten und Frequenzen” ist für Nicht-Fachleute praktisch unlesbar.
Sehr gut gelungen hingegen ist Heinz Schlüters kritischer Blick auf die rechtlichen Aspekte der dramatischen Urwaldzerstörung und auf die Anstrengungen und Möglichkeiten, diese aufzuhalten. Auch das neue Waldgesetz mit seinen fortschrittlichen Elementen bleibt solange unzureichend, wie die extenisve Weidewirtschaft für den Reindfleischexport als Devisenbringer weiter forciert wird. Die Froderung nach effektivem Umweltschutz – was in Costa Rica ja in erster Linie Um-Wald-Schutz bedeutet! – steht so im wahrsten Sinne des Wortes einem “Entwicklungsproblem” gegenüber: Einem durch die bisherige “Entwicklung” erzeugten Problem.
Anneliese Bergemann / Ludwig Ellenberg: Entwicklungsprobleme Costa Ricas. ASA-Studien 18, Verlag breitenbach Publishers, Saarbrücken / Fort Lauderdale 1990; 338 S.