El Salvador | Nummer 199 - Januar 1991

Ermittlungen abgeschlossen Verantwortliche atmen auf

In San Salvador wurde am 8. Dezember das Hauptverfahren gegen den ehemaligen Leiter der Militärakademie, Oberst Benavides, sowie gegen drei Oberstleutnants und fünf Soldaten der Elite-Einheit Atlacatl eröffnet. Ihnen wird zur Last gelegt, in der Nacht vom 15. auf den 16. November vergangenen Jahres in der Zentralamerika-Universität José Simeón Cañas (UCA) sechs jesuitische Hochschullehrer sowie ihre Haushälterin und deren Tochter kaltblütig ermordet zu haben. Mit der Aufnahme des Verfahrens sind die Ermittlungen formal abgeschlossen, die Hintermänner des Verbrechens können aufatmen; denn in El Slavador mag niemand so recht daran glauben, daß Oberst Benavides auf eigene Faust handelte.

Jens Holst

Der vermeintliche Erfolg der eigens eingesetzten Untersuchungskommission kann und darf nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Aufklärung des Massakers von Anfang an von den Streitkräften torpediert wurde und nur sehr schleppend voranging. Trotz gegen­teiliger Behauptungen von Verteidigungsminister René Emilio Ponce – er war übrigens zum Mordzeitpunkt Chef des Generalstabes – hat die Armeeführung nicht nennenswert zur Erhellung des Sachverhalts beigetragen und die Ermittlungen eher behindert. Solange sich führende Militärs gegenseitig widersprechen und nicht zur Aufklärung dieser Widersprüche beitragen, sagt dazu der Jesuitenprovinzial für Mittelamerika, José María Tojeira, müßten sie sich nicht wundern, wenn sie im In- und Ausland verdächtigt werden, die Auftraggeber zu diesem Verbrechen gewesen zu sein.
Was die Aufkläung des Massakers vom 16. November 1989 anbelangt, so gehen die Einschätzungen weit auseinander. Justizminister Oscar Alfredo Santamaría, dem die Untersuchungskommission formal unterstellt ist, äußert sich zufrieden mit den Abschluß der Ermittlungen, wobei er immer wieder auf die Unabhängigkeit der Justiz pocht. Sein uni­formierter Ministerkollege Emilio Ponce geht noch weiter. Schon auf ei­ner kurzfristig anberaum­ten Pressekonferenz am 14.11.90 kündigte er an, die Aufklärung dieses Fallles sei seines Wissens nach bald abgeschlossen. Vertei­digungsminister Ponce, der kurzfristig für seinen undiplomatischen und kantigen Vize Zepeda eingesprungen war, erweist sich als ge­schickter Redner, der bereitwillig alle Fragen beantwortet. Die Armeeführung in El Salvador ist ganz offenbar um Transparenz und Imagepflege bemüht, und es wirkt überzeugend, wenn Emilio Ponce zum Mord an den Jesuiten erklärt: “Als erstes möchte ich sagen, daß uns ein solches Ereignis, in das die salvadorianische Armee verwickelt ist, zutiefst beschämt.” Man ist geneigt, ihm zu glau­ben, wären da nicht die vielen Spuren und Zeugenaussagen sogar von Militärs, die auf eine direkte Verantwortung des Generalstabes hinweisen…
Die salvadorianische Kirche zieht aus dem bisherigen Verlauf der Ermittlungen ihre eigenen Schlüsse: “Das Verbrechen kann nicht al­leine vom Hauptangeklagten, Oberst Benavides, begangen worden sein”, meint Weihbischof Gregorio Rosa Chávez aus San Salvador. “Es muß in irgendeiner Form eine Beteiligung höherer Offiziere ge­geben haben, vermutlich auf der Ebene des Generalstabes. Zweitens müssen wir feststellen, daß die Armee als Ganzes nicht dazu bei­trägt, die Umstände des Verbrechens aufzuklären. Und drittens scheint uns der gesamte Fall von beispielhafter Bedeutung zu sein.” Erzbischof Arturo Rivera y Damas äußert sich skeptisch zu der Aufklärung des Massakers: “Im Fall der Jesuitenmorde wird wohl nie die ganze Wahrheit an das Licht kommen!”
Er scheint recht zu behalten, denn das Ermittlungsverfahren wurde beendet, ohne daß zentrale Figuren aus der Militärführung oder der Regierung überhaupt verhört wurden. Warum z.B. gab Präsident Cristiani erst ein neun Monate nach dem Massaker zu, daß er die Durchsuchung der Wohnräume der Jesuiten durch eine Sondereinheit des Atlacatl-Bataillons zwei Tage vor der Tat genehmigt hatte? Die Durchsuchung diente offensichtlich nicht – wie behauptet – dem Auffinden von von angeblichen Waffenarsenalen, sondern dazu, die Wohn- und Schlafräume der Ermordeten auszuspähen. Dies ist auch nicht besonders verwunderlich, schließlich hatte der Präsident in der ersten Phase der letztjährigen FMLN-Offensive, in die das Massaker an den Jesuiten fiel, einen großen Teil der Zeit im Generalstab zugebracht und an dessen Sitzungen teilgenommen.
Und es überzeugt auch nicht, wenn der damalige Generalsatbschef und heutige Verteidigungsminister auf den beschluß dr Armeeführung hinweist, daß alle Standortkommandeure ausdrücklich autorisiert und aufgefordert waren, alle erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Guerilla zu ergreifen. Gerade in der Hauptstadt San Salvador war der Kontakt innerhalb der Generalität so eng, daß diese Autonomie der einzelnen Befehlshaber keine Bedeutung hatte. Zumal Oberst Benavides behauptet, der Mordbefehl müsse an ihm vorbeigelaufen sein, da die Atlacatl-Soldaten – die übrigens kurz vorher von einem Lehrgang mit us-amerikanischen Ausbildern abgezogen worden waren – bereits Vorbereitungen für das Massaker getroffen hattten, bevor er über den Einsatz informiert war. Breite Übereinstimmung herrscht in El Salvador dar­über, daß die Jesuitenmorde, die eine ganze geistige Strömung aus­schalten sollten, einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung des Landes darstellen. Offenbar hat die Ermordung der sechs prominenten Jesuiten, die im In- und Ausland anerkannt und ge­schätzt waren, mehr ausgelöst als unzählige Morde an einfachen Landarbeitern, Gewerkschaftern und engagierten Menschen.Damit sich dies im alltäglichen Leben in dem mittelamerikanischen Land auswirken kann, dazu bedarf es auch der Hilfe und des Druckes aus dem Ausland. Dieser internationale Druck, der vor allem aus Spanien – der Hei­mat von fünf der sechs ermordeten Jesuiten – und den USA auf El Salvador ausgeübt wird, könnte dazu beitragen, daß die Armee in Zukunft nicht mehr derart selbstherrlich und unbeobachtet agieren kann wie in den vergangenen Jahren

Kasten:

Offensive und Concertación

Ana Guadalupe Martínez, Mitglied der Verhandlungskom­mission der FMLN, zum Verhältnis von politischen und militärischen Aspekten ihres Kampfes:

Es liegt auf der Hand, daß es uns im Augenblick sehr gut gelingt, alle Faktoren, die die Situation für eine Verhandlungslösung bestimmen, zu kombinieren. Trotz der Militärkampagne blieben die politischen Spiel­räume erhalten. Die Parteien hatten sich versammelt, um die Situation zu analysieren, die Volksbewegung hat im Fernsehen ihre Ansichten ver­treten. Niemand ist geflohen, um sich zu ver­stecken, alle konnten wei­terarbeiten: Zur gleichen Zeit gab es die Militärkampa­gne und die kon­zertierte Aktion aller sozialen und politischen Kräfte.
Wir wissen z.B., daß sich am vergangenen Freitag die “Interpartidaria” versam­melt hat, also die Gruppe der neun legal eingeschriebenen Parteien. Bei diesem Treffen verlangte ARENA eine Verurteilung der militärischen Ak­tionen der FMLN. Die übrigen acht Parteien sagten, gut, wenn es eine Verurteilung durch dieses Gremium geben soll, dann müßte sie sich ge­gen beide Seiten richten, da beide militärische Aktionen durchführten.
Verschiedene Ansätze stehen heute zur Debatte. Dies hat es im November letzten Jahres (während der bisher größten FMLN-Offensive, d.Red.) nicht gegeben. Es hat damals keine vermittelnden Stimmen gegeben, nur die offiziellen Radio- und Fernsehsender der Regierung und Radio Vencere­mos. Ja, es gibt heute ein ausge­glicherenes Verhältnis der militäri­schen und der politischen Aspekte.

Frage: Hat die FMLN nicht die Befürchtung, daß die USA die jüngste Mi­litärkampagne zum Vorwand nimmt, um die auf 50% gekürzte Militärhilfe wieder zu 100% auszuzahlen?

Wir haben sehr viel darüber nachgedacht. Wir haben die Operationen als eine begrenzte Kampagne definiert, die im Zusammenhang mit dem Fort­schreiten am Verhandlungstisch zu sehen ist. Von daher haben wir nicht den Eindruck, daß unsere Aktivitäten im Widerspruch zu den vom US-Kon­greß diktierten Bedin­gungen zur Suspendierung der Hilfe stehen. (Für den Fall, daß die Regierung durch eine Offensive der FMLN gefährdet ist – so der Kongreß – soll die Hilfe wieder zu 100% ausgezahlt wer­den; d.Red.). Wenn die USA und die salvadoria­nische Regierung aber die Situation dazu benutzen sollten, die Hilfe wieder komplett auszuzah­len, würden sie die Lage auf den Stand von 1981 zurückver­setzen. Dies­mal aber unter wesentlich schwierigeren Bedingungen, was die Mo­ral und den politischen Stand der Armee, aber auch der US-Administration selbst angeht. Wir glauben, daß die USA einen großen Fehler begehen würde. Es würde dann für weitere zehn Jahre Krieg geben.

Frage: Kann man sagen, daß jener Teil des US-Kongres­ses, der sich um eine Veränderung der US-Politik hin­sichtlich El Salvador bemüht und den Verhandlungsprozeß stärken will, nun den Eindruck haben kann, die FMLN stehe ihren Zielen entgegen?

Wir sehen das nicht so. Es ist vielmehr so, daß auch wir die Verhand­lungen be­schleunigen wollen. Es ist die Argumentation der salvadoria­nischen Armee, die uns in der Öffentlichkeit mangelnden Verhandlungs­willen unterstellt.

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