El Salvador | Nummer 419 - Mai 2009

„Es geht darum, die Gesellschaft gerechter zu gestalten“

Interview mit Héctor Silva, Berater des gewählten Präsidenten Mauricio Funes

Der Arzt Héctor Silva war sechs Jahre lang Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, bis er sich 2003 mit der linken Partei Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) überwarf. Er kam nach dem Wahlsieg von Mauricio Funes auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung nach Berlin. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über die Krise der Rechten, die Aufgaben der neuen FMLN-Regierung, seinen Streit mit der FMLN und den Umgang mit der Straffreiheit in El Salvador.

Michael Krämer

Herr Silva, der Wahlkampf zwischen der linken FMLN und der ultrarechten ARENA-Partei war extrem polarisiert. Wie ist das politische Klima in diesen Tagen und Wochen des Übergangs vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Mauricio Funes am 1. Juni?
Besser als dies nach diesem Wahlkampf mit all seinen Verleumdungen zu erwarten war. Der Wahlausgang war relativ knapp, aber immerhin hat der ARENA-Kandidat Rodrigo Ávila seine Niederlage noch am Wahlabend eingestanden.

Es wurde aber doch von ARENA ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, den einige Beobachter schon als „Staatsstreich neuen Typs“ bezeichnet haben: Die ARENA-Regierung stellt noch schnell tausende eigene Leute in den verschiedenen Ministerien ein. Doch falls die neue FMLN-Regierung diese später entließe, hätten sie ein Anrecht auf eine so hohe Abfindung, die gar nicht zu bezahlen wäre. Die neue Regierung wäre gelähmt. Wie beurteilen Sie diese Gefahr?
Ja, ARENA hat in der Tat so ein Gesetz vorbereitet. Aber es verbleiben ihr nur wenige Wochen im alten Parlament, um es verabschieden zu lassen. Und die Stimmung ist so deutlich gegen dieses Gesetz gerichtet, dass ARENA wohl keine Mehrheit dafür finden wird. Hier zeigt sich ARENAs Problem, dass die Partei in den zwanzig Jahren ihrer Regierung den Staat zu ihrem Eigentum gemacht hat. Tausende ARENA-Mitglieder und -Funktionäre hängen vom Gehalt der Regierung ab, und viele von ihnen werden ihren Job verlieren. Das gleiche gilt für die Aufträge an bestimmte Unternehmen, die ebenfalls enden werden. Die Partei wird daraus deutlich geschwächt hervorgehen.

Mauricio Funes und die FMLN haben die Wahlen mit einem Versprechen des cambios, des Wechsels gewonnen. Worin kann dieser Wechsel angesichts von rechter Parlamentsmehrheit und Wirtschaftskrise bestehen?
Der Wechsel besteht darin, die Gesellschaft gerechter zu gestalten. Mittelfristig ist es nicht allzu schwer, sich vorzustellen, wie dies aussehen könnte. Die große Herausforderung besteht jedoch in den kurzfristigen Änderungen.

Was bedeutet kurzfristig?
Innerhalb der nächsten drei Jahre, also bis zu den nächsten Parlamentswahlen. Mauricio Funes steht vor einer großen Herausforderung. Zum einen muss er das Vertrauen der UnternehmerInnen gewinnen, um eine neue wirtschaftliche Dynamik zu ermöglichen. Zum anderen muss er schnell konkrete Verbesserungen für die Menschen erreichen, also ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, um seine AnhängerInnen nicht zu enttäuschen. Aber er kann auch kurzfristig einiges erreichen, zum Beispiel durch ein Ende der Korruption oder durch einen besseren Zugang der Menschen zu günstigeren Medikamenten.

Aber die Medikamente sind doch ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht unbedingt darum gehen kann, das Vertrauen der UnternehmerInnen zu gewinnen. Änderungen werden hier nicht möglich sein, ohne sich mit denjenigen anzulegen, die den Arzneimittelmarkt in El Salvador kontrollieren. Freiwillig werden diese ihre Macht bestimmt nicht aufgeben.
Richtig, das wird ein harter Kampf. Untersuchungen belegen, dass El Salvador eines der Länder mit den höchsten Preisen für Medizin in ganz Lateinamerika ist. Ein besserer Zugang zu Arzneimitteln, die auch noch günstiger sind, ist möglich, wenn der politische Wille da ist, um dies durchzusetzen.

Also geht es doch nicht nur um das Vertrauen der UnternehmerInnen und Entscheidungen im Konsens. Es wird auch harte Auseinandersetzungen geben.
Ja, natürlich. Mauricio Funes muss ja auch bald konkrete Ergebnisse vorzeigen können. Da gibt es aber Bereiche, wo dies relativ schnell möglich sein wird.

Welche sind dies?
Neben der Bekämpfung der Korruption ist dies ein Ende der Straffreiheit. Das Interessante ist, dass es da schon jetzt erste Veränderungen gibt. Das gilt zum Beispiel für den Fall der Vergewaltigung und Ermordung der neunjährigen Katja Miranda im Jahr 1999. Die Hauptverdächtigen, der Vater und der Großvater, beide ehemals hochrangige Militärs, wurden von einem Gericht freigesprochen. Zehn Jahre ist nichts passiert, um den Fall zu lösen. Und nun hat der alleinige Umstand, dass Mauricio Funes die Wahlen gewonnen hat, dazu geführt, dass der Fall neu aufgenommen und der Großvater angeklagt wurde. Nach fast zehn Jahren der Straffreiheit haben die Richter nun die Angst verloren – und fürchten zugleich, dass sie eines Tages für ihr Nichtstun belangt werden könnten.
Kommen wir zur FMLN. Diese hat eine Führung mit klar linken Positionen, die sich zum Sozialismus bekennt. Zugleich gibt es mit Mauricio Funes einen gewählten Präsidenten, der für eher sozialdemokratische Positionen steht. Wie schwer wiegen diese Unterschiede in der neuen Regierung und wie sehr belasten sie die FMLN?
Die Partei und Mauricio Funes sind derzeit sehr geschlossen. Die FMLN akzeptiert, dass Funes derjenige ist, der über sein Kabinett und über den Kurs seiner Regierungspolitik bestimmt. Das gilt aber auch für das Gremium, das er schon wenige Tage nach den Wahlen bestimmt hat und das konkrete Vorschläge für die Regierungspolitik erarbeiten soll.

Sie selbst gehören diesem Gremium an …
Ja, und auch uns, die Mitglieder dieses Gremiums, hat er schon zurechtgewiesen, wenn wir unpassende öffentliche Erklärungen abgegeben haben. Natürlich wird die FMLN versuchen, möglichst viel von ihrer Programmatik in die Regierungspolitik einzubringen. Ich glaube aber nicht, dass es zu irgendeinem Bruch kommt. Heute geht es darum, Lösungen für die Probleme des Landes zu erarbeiten. Die neue Politik muss nun konkret werden. Es geht nicht mehr um allgemeine Programme, sondern um konkrete öffentliche Politiken, die Antworten auf die drängenden Probleme des Landes geben.

Um welche Politiken geht es hierbei?
Wie sieht zum Beispiel eine Finanz- und Steuerpolitik aus, die Investitionssicherheit bietet, uns zugleich aber die finanziellen Mittel für mehr soziale Gerechtigkeit gibt? Wie sieht eine Gesundheitspolitik aus, welche die Versorgung auf dem Land verbessert? Was ist zu tun, um die Sicherheitslage zu verbessern? El Salvador gehört zu den weltweit gewalttätigsten Ländern, doch die Politiken der „harten Hand“ und der „superharten Hand“ der ARENA-Regierung sind allesamt gescheitert. Wie schaffen wir es, dem Verbrechen gegenüber unnachgiebig zu sein, zugleich aber vor allem an die Jugendlichen Präventionsangebote zu machen, die ihnen zeigen, dass es für sie auch Alternativen zur Gewalt gibt? Durch die schnelle Einsetzung dieses Gremiums hat Funes jedenfalls den großen Vorteil, dass er bei seinem Amtsantritt am 1. Juni in den wichtigsten Politikbereichen bereits konkrete Vorschläge für das Regierungshandeln haben wird.
Viele Mitglieder dieses BeraterInnengremiums werden auch in der neuen Regierung wiederzufinden sein. Ist denn schon entschieden, wer der neue Gesundheitsminister sein wird? Sie sind ein häufig genannter Kandidat.
Für mich ist es eine große Ehre, in dieser Gruppe an der Politik der neuen Regierung mitzuarbeiten. Es war eben dieser Auftrag, mit dem uns Mauricio Funes zur Mitarbeit eingeladen hat. Sein Kabinett will er aber erst bis zur zweiten Maiwoche bekannt geben.

Nachdem Sie zuvor noch als möglicher Kandidat eines linken Bündnisses für die Präsidentschaftswahlen 2004 gehandelt wurden, kam es während des großen Streiks im Gesundheitswesen 2003 zum Zerwürfnis mit der FMLN. Das ging so weit, dass Sie damals sogar dazu aufgerufen haben, die FMLN in einem möglichen zweiten Wahlgang nicht zu wählen. Wie ist heute Ihr Verhältnis zur Parteiführung?
Ich rechne es der FMLN hoch an, dass sie auch in meinem speziellen Fall keinen Einwand gegen eine Mitarbeit in diesem Gremium erhoben hat. Im Gegenteil hat sie erklärt, dass sie auch mit mir harmonisch zusammenarbeiten will. Es geht zum einen darum, persönliche Vorbehalte zu überwinden. Ich glaube, dass wir da schon viel erreicht haben. Wir haben uns wieder angenähert und arbeiten jetzt zusammen. Zum anderen geht es aber auch um Inhalte, nicht nur in meinem Fall. Mauricio Funes hat deutlich gemacht, dass die Entscheidung darüber in letzter Instanz bei ihm liegt, und nicht bei der Partei. Die FMLN hat dies klar anerkannt, wird ihn natürlich immer wieder daran erinnern, dass die Regierungspolitik auf mehr soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sein muss und dass er gerade in diesem Bereich konkrete Ergebnisse erreichen muss. Es wird also darum gehen, Kompromisse zu finden. Viele in der Linken wollen drastische Lösungen sehen. Zugleich wird die Rechte mit ihrer Parlamentsmehrheit dafür arbeiten, dass es gar keine Veränderungen gibt. Dies gilt auch für den Gesundheitssektor, die Veränderungen müssen schrittweise erfolgen, es ist unmöglich, das ganze Gesundheitssystem zu verändern. Klar ist aber, dass sich der Staat mit den ökonomisch Mächtigen anlegen muss.

Sie haben das Problem der Straffreiheit bereits angesprochen. Die Menschenrechtsorganisationen des Landes waren sehr enttäuscht, als Mauricio Funes im letzten Herbst erklärte, er wolle das Amnestiegesetz von 1993 akzeptieren, das sämtliche Menschenrechtsverbrechen während des Krieges umfasst. Er hat dies damals erklärt, um die Militärs zu beruhigen. Wird er diese Position beibehalten?
Es würde mich sehr wundern, wenn er diese Position noch einmal verändern würde. Mauricio Funes wird als Präsident der Stabilität Vorrang geben. Er wird gegen die Straffreiheit vorgehen, jedoch auf die Gegenwart und Zukunft bezogen, nicht auf die Vergangenheit.

Dies bedeutet aber, dass tausende Menschenrechtsverbrechen aus Kriegszeiten straffrei bleiben werden. Was halten Sie von dieser Position?
Ich weiß, dass diese Haltung von vielen Linken kritisiert wird. Das Land muss aber vorankommen. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass es viel wichtiger ist, dass wir es schaffen, dass die Menschen morgen ausreichend zu essen haben. Und dies ist auch die Position, die der neue Präsident hat.

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