„Es gibt in El Salvador kein vergleichbares Archiv“
Interview mit dem Menschenrechtsverteidiger Saúl Baños über die Schließung des Menschenrechtsbüros Tutela Legal
Tutela Legal war das Archiv, in dem Menschenrechtsverletzungen aus dem Bürgerkrieg und darüber hinaus gesammelt wurden. Mit welcher Begründung hat Erzbischof Escobar Alas es geschlossen?
Der Bischof hat unterschiedliche, sich teils widersprechende Begründungen abgegeben. Unter anderem hat er behauptet, es habe bei Tutela Legal administrative Unzulänglichkeiten gegeben. Sogar die angebliche Veruntreuung von Geldern hat er erwähnt. Er hat aber nichts unternommen, um diese Vorwürfe untersuchen zu lassen. Später hat er dann plötzlich gesagt, er wolle Tutela Legal in veränderter Form wiedereröffnen, aber ohne die bisherigen Mitarbeiter, die er von einem Tag auf den anderen ausgesperrt und entlassen hat.
Was, glauben Sie, steckt tatsächlich hinter der Schließung?
Am 20. September hat die Verfassungskammer des Obersten Gerichtes eine Klage zugelassen, mit der die Verfassungsmäßigkeit des Amnestiegesetzes von 1993 überprüft werden soll. Wir denken, dass daraufhin Druck auf den Erzbischof ausgeübt wurde. Und zwar von Leuten, die verhindern wollen, dass wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird, beziehungsweise von konservativen Kräften im Land.
In El Salvador hat ein Erzbischof eine starke Stellung. Wie kann es sein, das er sich einem solchen Druck beugt?
Die Kirche und konservative Akteure stehen sich politisch nahe. Der Erzbischof Escobar Alas gehört zum Opus Dei, das seit Jahren die Kirchenhierarchie in El Salvador kontrolliert. Der Erzbischof gibt jeden Sonntag nach der Messe eine Pressekonferenz, auf der er immer auch politische und gesellschaftliche Themen anspricht. Seine Positionen stimmen stets mit denen konservativer Politiker überein. Es würde uns daher nicht wundern, wenn das auch bei der Schließung von Tutela Legal der Fall ist.
Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Das Archiv von Tutela Legal enthält mehr als 50.000 Zeugenaussagen und andere Dokumente, vor allem aus der Zeit des Krieges. Sollte das Amnestiegesetz für verfassungswidrig erklärt werden, könnten Prozesse gegen die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen eröffnet werden. Wenn die Informationen von Tutela Legal nicht zugänglich sind oder zerstört werden, fehlen dafür wichtige Beweise. Denn in El Salvador gibt es kein vergleichbares Archiv.
Glauben Sie denn, dass das Amnestiegesetz wirklich aufgehoben wird?
Das ist völlig offen. Im Land wird derzeit eine riesige Angst davor geschürt, dass dann gegen alle ermittelt würde. Dabei geht es vor allem um moralische Wiedergutmachung gegenüber den Opfern. Die Konservativen behaupten, es würden Wunden aufgerissen, die nicht verheilt sind. Aber die Opfer und deren Angehörige haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Nur dann können sie auch vergeben und eine wirkliche Versöhnung wird möglich.
Das Militär fürchtet eine Aufhebung des Amnestiegesetzes wahrscheinlich zu Recht.
Auf jeden Fall. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hat den salvadorianischen Staat zum Beispiel für das Massaker von El Mozote verurteilt, bei dem 1981 an die 1.000 Menschen ermordet wurden. Das ist nicht zuletzt der Arbeit von Tutela Legal zu verdanken. Ohne Amnestiegesetz könnten auch die konkreten Täter belangt werden, nicht nur ganz allgemein der Staat.
Am 2. Februar wird in El Salvador ein neuer Präsident gewählt. Es gibt Gerüchte, dass eine Aufhebung des Amnestiegesetzes auch dazu genutzt werden könnte, dem ehemaligen Guerilla-Kommandanten und aktuellen Präsidentschaftskandidaten der linken Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), Salvador Sánchez Cerén, zu schaden. Was ist da dran?
Verschiedene ehemalige Mitarbeiter von Tutela Legal haben erklärt, dass Salvador Sánchez Cerén in den Archiven gar nicht erwähnt wird. Durch die Schließung besteht allerdings die Gefahr, dass die darin enthaltenen Informationen manipuliert werden, um den Kandidaten zu belasten und ihm politisch zu schaden.
Ein Teil der entlassenen Mitarbeiter_innen möchte ein neues Tutela Legal gründen, das in der Tradition der 2007 verstorbenen, langjährigen Direktorin María Julia Hernández stehen und ihren Namen tragen soll. Was könnten sie dadurch erreichen, wenn sie keinen Zugriff mehr auf die Dokumente haben?
Das Oberste Gericht hat entschieden, dass das Archiv Eigentum des Erzbistums ist. Damit sind wir aber nicht einverstanden, denn es gehört den Opfern und ihren Angehörigen. Sie müssen Zugang zu den Dokumenten haben, und wenn es nicht die Originale sind, dann eben Kopien. Und genau damit könnte das neue Tutela Legal „Dr. María Julia Hernández“ arbeiten. Viele der Mitarbeiter waren Jahre oder Jahrzehnte bei Tutela Legal und kennen die Fälle sehr genau. Ob die Fälle juristisch weiterverfolgt werden sollen oder nicht, entscheiden die Opfer. Dafür brauchen sie aber Vertrauen, das sie zu den Ex-Mitarbeitern von Tutela Legal haben. Denn diese haben durch ihre Arbeit gezeigt, dass sie sich für die Menschenrechte und nicht für persönliche Interessen einsetzen.
Mitte November wurde ein Brandanschlag auf die Menschenrechtsorganisation Pro-Búsqueda verübt, die das Schicksal von während des Krieges verschwundenen Kindern aufzuklären versucht. Wie ist dieser Anschlag zu bewerten?
Es ist gut möglich, dass auch dieser Anschlag mit der Klage gegen das Amnestiegesetz zu tun hat. Auch Pro-Búsqueda hat wichtige Beweismittel, die nun teilweise zerstört wurden. So einen Anschlag gab es seit den Zeiten des Krieges nicht mehr. Es besteht die Gefahr, dass rechte Kreise vor den Wahlen im Februar noch mehr Anschläge verüben, um Angst zu schüren und die Menschen zu verunsichern.
Spendenaufruf: Im Namen der El-Salvador-Solidaritätsgruppen sammelt das INKOTA-netzwerk Spenden, um Gruppen zu unterstützen, die sich für den Erhalt der Archive von Tutela Legal und Pro-Busqueda einsetzen. Ihre Spende ist steuerlich absetzbar. Kto-Inh.: INKOTA-netzwerk | Konto 155 500 0010 | KD-Bank | BLZ 350 601 90 |
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