Guatemala | Nummer 387/388 - Sept./Okt. 2006

„Es gibt keinen politischen Willen, die Menschenrechtsverbrechen zu verfolgen“

Interview mit Francisco Soto vom guatemaltekischen Menschenrechtszentrum CALDH

Am 7. Juli 2006 sprach der spanische Richter Santiago Pedraz einen internationalen Haftbefehl gegen den guatemaltekischen Ex-Präsidenten Efraín Ríos Mont und sieben weitere hohe Ex-Funktionäre und Militärs aus. Sie sollen wegen Völkermord, Staatsterrorismus, Folter und illegalen Festnahmen während des bewaffneten Konfliktes in Guatemala verurteilt werden.
Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Francisco Soto, Koordinator der Rechtsabteilung von CALDH, über die juristische Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen in Guatemala.

Susanne Schmitz

Herr Soto, Anfang Juli hat ein spanischer Richter internationalen Haftbefehl gegen den guatemaltekischen Ex-Präsidenten Efraín Ríos Montt und sieben hohe Ex-Funktionäre und Militärs ausgesprochen. Warum ergreift ein spanischer Richter diese Maßnahme?

Der internationale Haftbefehl hat eine Vorgeschichte: Bereits im Dezember 1999 hatte die Stiftung Rigoberta Menchú gemeinsam mit anderen Organisationen in Spanien eine Klage wegen Völkermords im bewaffneten Konflikt eingereicht. Der spanische Verfassungsgerichtshof hat diese Klage erst im September 2005 angenommen und entschieden, dass er hierfür Zuständigkeit besitzt. Völkermord gehört zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und kann deshalb international strafrechtlich verfolgt werden.
Im Juni dieses Jahres hat der nationale spanische Gerichtshof dann die Untersuchungskommission nach Guatemala entsandt, um eine erste Erklärung der acht Angeklagten aufzunehmen. In den zwei Wochen vor deren Ankunft haben Ríos Montt und die anderen Angeklagten 15 verschiedene Gründe eingereicht, um nicht vorsprechen zu müssen. Da diese Petitionen noch anhängig waren, als die spanische Kommission in Guatemala eintraf, konnte sie die acht Personen nicht vorladen und musste unverrichteter Dinge wieder abreisen. Daraufhin hat der spanische Richter Santiago Pedraz den internationalen Such- und Haftbefehl gegen Ríos Montt erlassen, damit sie gefasst werden und vor spanischen Gerichten aussagen müssen.

Wie wird der Prozess der Auslieferung in Guatemala und auf internationaler Ebene weiterlaufen?

Interpol muss den internationalen Haftbefehl nun weiterleiten, was aber bis heute noch nicht geschehen ist. Wir hoffen, dass der Haftbefehl dann wie vorgesehen von der guatemaltekischen Polizei ausgeführt wird und sie die betreffenden Personen festnimmt, damit sie vor den Obersten Gerichtshof gestellt werden können. Dieser setzt dann ein Tribunal für die Auslieferung ein. Gleichzeitig werden die spanische Botschaft und die spanische Justiz informiert. Und wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, beginnen die Formalitäten der Auslieferung. Letztendlich entscheidet darüber der Präsident von Guatemala. Das Tribunal überwacht zwar, ob die Rechte der Angeklagten eingehalten werden, aber die Entscheidung über die Auslieferung trifft am Ende der Präsident.

Und wenn der Präsident nun Nein sagt…?

Er könnte Nein sagen, wenn die Prozesse hier in Guatemala gleichzeitig voranschreiten. Er könnte auch einfach so Nein sagen und mit der herrschenden Straflosigkeit fortfahren. Aber die politischen Kosten wären hoch. Er würde damit akzeptieren, dass diese Personen straffrei bleiben.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es zu einem ordentlichen Prozess in Guatemala kommen kann?

Wir hoffen, dass parallel zum Prozess in Spanien die guatemaltekische Justiz zeigt, dass auch sie in der Lage ist, diese Fälle vor Gericht zu bringen. Es geht hier vor allem um zwei Straftaten, den Völkermord und den Brandanschlag auf die spanischen Botschaft 1980. Darüber hinaus geht es auch um das Verschwindenlassen spanischer Priester.
Im Mai 2000 hat die AJR, die Vereinigung für Justiz und Versöhnung, mit Hilfe der Rechtsberatung von CALDH eine Klage gegen Lucas García und seine oberste Militärführung eingereicht und im Juni 2001 gegen Ríos Montt. Diese Prozesse liegen bei der hiesigen Staatsanwaltschaft quasi auf Eis. Wir hoffen aber sehr darauf, dass der internationale Druck Spaniens auf das guatemaltekische Justizsystem dazu führt, dass die Fälle reaktiviert und hier in Guatemala verhandelt werden. Ein wenig so, wie es in Chile und Argentinien geschehen ist.
Es ist extrem wichtig, die guatemaltekische Justiz mit diesen Fällen dazu zu bringen, ihre Verpflichtung, Recht zu sprechen, auch zu erfüllen. Es geht nicht nur darum, Gerechtigkeit für die Opfer zu schaffen, sondern auch, den guatemaltekischen Rechtsstaat zu stärken. Damit schließlich unsere eigenen Gerichte in diesen Fällen ein Urteil sprechen und der herrschenden Straflosigkeit ein Ende bereiten. Aber falls das guatemaltekische Justizsystem nicht in der Lage ist, diese Personen zu verurteilen, sollte Guatemala sie ausliefern.

Und was ist die Rolle des CALDH in diesen Fällen?

Unsere Rolle ist vor allem Rechtsbeistand und Rechtsberatung für die AJR. Außerdem haben wir eine Aufstellung der Beweise für den Völkermord in Guatemala erarbeitet. Wir versuchen zudem, uns mit der Staatsanwaltschaft zu koordinieren, damit diese Fälle auch innerhalb des guatemaltekischen Rechtssystems weiter verfolgt werden.

Wie sehen Sie die Bedeutung der internationalen Haftbefehle für den Friedensprozess?

Es ist unmöglich, Versöhnung zu erreichen, wenn es keine Gerechtigkeit gibt. Wenn sich die geistigen Urheber all dieser Völkermordverbrechen der Straflosigkeit erfreuen, und die Gerichte nicht in der Lage oder willens sind, diesen Personen den Prozess zu machen, ist ein Friedensprozess schwierig. Die Idee von Gerechtigkeit ist nicht Rache, wie einige Militärs es nennen. Nur wenn es Gerechtigkeit für die Verbrechen gibt, können wir gemeinsam in die Zukunft schreiten, mit einem für alle Bürger und Bürgerinnen funktionierenden Rechtssystem.

Wie ist Ihre Einschätzung: Werden die MenschenrechtsverbrecherInnen eines Tages vor guatemaltekischen Gerichten verurteilt, oder ist es wahrscheinlicher, dass der internationale Haftbefehl greift und sie nach Spanien ausgeliefert werden?

Wir haben die Hoffnung, dass das guatemaltekische Justizsystem funktionieren wird, denn wir wollen ja wie gesagt den guatemaltekischen Rechtsstaat stärken. Wenn das nicht möglich ist, wenn die Straflosigkeit weiter besteht wie bisher, dann hoffen wir, dass sie an Spanien ausgeliefert werden und ihnen dort der Prozess gemacht wird. Das hängt aber vom politischen Willen des guatemaltekischen Staates ab.

Und wie schätzen Sie diesen ein?

Es ist kein politischer Wille da, die Menschenrechtsverbrechen zu verfolgen. Die Fälle wurden vor sechs Jahren in Guatemala eingereicht, und seitdem sind kaum Ermittlungen unternommen worden. Die Staatsanwaltschaft will diese Fälle nicht vorantreiben, sie liegen auf Eis. Wir haben mehr als hundert Zeugen präsentiert, aber die Staatsanwaltschaft hat sie nicht anhören wollen. Hoffen wir, dass sie jetzt, wo es die internationalen Haftbefehle gibt, endlich ordentliche Ermittlungen anstellt.

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