Kolumbien | Nummer 492 - Juni 2015

„Es ist unser gutes Leben gegen das gute Leben von Tamaquito“

Interview mit Jens Schanze, Regisseur des Dokumentarfilms La Buena Vida – Das Gute Leben

Was hat unser Energieverbrauch in Deutschland mit einer Dorfgemeinschaft in Kolumbien zu tun? Diese Frage stellt sich der neue Film von Jens Schanze. Er erzählt die Geschichte der Dorfgemeinschaft Tamaquito im Norden Kolumbiens, die aufgrund des weltweit größten Steinkohletagebaus El Cerrejón umgesiedelt werden muss. Die LN sprachen mit dem Regisseur über die Hintergründe des Films und die aktuelle Lage der Betroffenen in Kolumbien.

Juana Corral, Steffi Wassermann

Wie entstand die Idee, einen Film über den Kohleabbau in Kolumbien zu machen?
Ich bin 2011 eher zufällig auf das Thema gestoßen. Es war für mich völlig überraschend, dass deutsche Energiekonzerne in großem Stil Steinkohle aus Kolumbien importieren. Das Thema Kohle beziehungsweise das Thema Umsiedlung beschäftigt mich schon sehr lange, ich habe bereits Filme über den Braunkohletagebau und Umsiedlungen in Deutschland gemacht.

Wie sind Sie auf das Dorf Tamaquito aufmerksam geworden?
Im Zuge einer Recherchereise mit Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland und aus der Schweiz haben wir verschiedene Dörfer besucht, eines davon war Tamaquito. Die Menschen in Tamaquito haben mich am meisten beeindruckt, weil sie eine starke Gemeinschaft und eine gute Selbst-organisation hatten, im Vergleich zu den anderen Dörfern, die wir besucht haben.

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Regisseur Jens Schanze – Möchte mit seinem Filma anregen über “unser” gutes Leben nachzudenken (Foto: Sebastian Engbrocks)

Der Film erzählt hauptsächlich die Geschichte der Protagonist*innen des Dorfes. Doch er bietet auch tiefe Einblicke in die Arbeit von El Cerrejón, dem kolumbianischen Bergbaukonzern. Wie schwierig war es, eine Drehgenehmigung zu bekommen?
Es war von Anfang an eine eher taktisch geprägte Kommunikation. Ich glaube, dass wir schließlich die Drehgenehmigung bekommen haben, weil wir unser Projekt sehr transparent gemacht haben. Sie haben von uns die Projektbeschreibung eingefordert, wollten wissen, wer es finanziert und wo es veröffentlicht werden soll. Sie wollten unsere Absichten herausfinden und letztendlich haben sie den Dreharbeiten zugestimmt. Ein Grund war sicherlich, dass wir aus Deutschland kommen, dem Land, wo viele ihrer großen Kunden sitzen. Im weiteren Verlauf des Filmprojekts hat sich dann gezeigt, dass wir uns in einer ähnlichen Lage wie die Gemeinschaft von Tamaquito befanden. Wir hatten zwar die Drehgenehmigungen des Konzerns, die Umsetzung wurde jedoch immer wieder verzögert und verschoben. Jedem Drehtermin gingen erneut lange Verhandlungen voraus, die Einhaltung der anfänglichen Zusagen des Konzerns mussten wir jedes Mal konkret einfordern.

Hat El Cerrejón versucht, die Inhalte des Films mitzubestimmen?
Nein, in keinem Moment. Sie haben von vornherein gesehen, dass wir absolut unabhängig sind, und zwar auf beiden Seiten. Natürlich erzählt der Film den Prozess aus der Perspektive von Tamaquito. Es ist ja wichtig, der Informationspolitik des Konzerns etwas entgegenzusetzen. Als sich aber abzeichnete, dass die Umsiedlung nicht so klappte, wie es mit der Dorfgemeinschaft vereinbart war, wurde auch das Verhältnis zwischen uns und dem Konzern schwieriger. Weil sie wohl gesehen haben, dass die Art der Öffentlichkeit, die durch diesen Film entsteht, möglicherweise nicht zu ihrem Vorteil sein wird – anders, als sie das anfangs vielleicht erwartet hatten.

Immer wieder wird die Militärpräsenz in der Region deutlich. Unangekündigt tauchen Soldaten in Tamaquito auf. Auch sind im Hintergrund immer wieder Radioberichte zu Überfällen der FARC zu hören. Hatten die Menschen Ihrer Beobachtung nach Angst?
Die Menschen in Tamaquito handeln angstfrei. Aber natürlich erzeugt die Präsenz des Militärs einen subtilen Druck. Es gibt eine Vereinbarung mit Gesetzescharakter, dass die Armee nicht ohne Erlaubnis näher als einen Kilometer an indigene Siedlungen herankommen darf. Wie man im Film sehen kann, wird das nicht respektiert. Ein, zwei Jahre bevor wir dort waren, hatte die Armee direkt vor Tamaquito ihr Lager aufgeschlagen und regelmäßig sind Soldaten an den Wasserstellen aufgetaucht – zu den Zeiten, zu denen sich die Frauen gewaschen haben. Das sind Druckmittel, genauso, wie die Soldaten selbstverständlich und unangekündigt unter irgendeinem Vorwand ins Dorf marschieren. Während unserer Dreharbeiten wollten sie zum Beispiel eine Volkszählung durchführen. Das waren ganz klare Signale. Die Menschen in Tamaquito haben sich aber, soweit ich das einschätzen kann, dadurch nie einschüchtern lassen, was auch eine bemerkenswerte Eigenschaft dieser Gemeinschaft ist. Immerhin ist das Nachbardorf von Tamaquito im Jahr 2001 von Cerrejón-Bulldozern, der Armee und einer Polizeieinheit gewaltsam geräumt worden. Der Fall von Tabaco – so heißt das Nachbardorf – war ein starkes Alarmsignal für die Menschen in Tamaquito.

Sie waren nach Ende der Dreharbeiten noch einmal in der nun umgesiedelten Gemeinde in Neu-Tamaquito. Was hat sich verändert in Bezug auf die problematische Lage, die im Film gezeigt wird?
An der Situation des Dorfes hat sich bis heute faktisch nichts geändert. Die Wasserversorgung ist auf demselben Stand wie vor zwei Jahren. Es gibt kein Wasser für Landwirtschaft und Tiere. Allerdings sind die an der Kohlemine beteiligten Konzerne etwas unruhig geworden. Hochrangige Konzernvertreter aus der Schweiz, Deutschland und aus Australien sind in der Zwischenzeit in Tamaquito gewesen und haben dort neue Versprechungen gemacht. Der Dorfführer von Tamaquito, Jairo Fuentes, und vier andere Dorfführer von Gemeinschaften, die in den letzten Jahren ebenfalls in dieselbe Gegend umgesiedelt wurden, haben sich jetzt zusammengetan, weil sie alle zu wenig und zu schlechtes Wasser haben. Fuentes hatte schon vor dem Umsiedlungsprozess vor, eine Koalition mit den umliegenden Dörfern zu schmieden, um eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber dem Konzern zu erlangen. Jetzt scheint das zu gelingen. Als Ergebnis zeichnet sich ab, dass die schon damals eingeforderte Wasserleitung in die Umsiedlungsgebiete vom Fluss Rancheria in nächster Zeit gebaut wird. Diese Wasserleitung wurde damals vom Konzern als zu teuer abgelehnt.

Wurde der Film während Ihres Aufenthalts in der Gemeinde gezeigt?
Wir hatten im Vorfeld verschiedene Vereinbarungen mit Tamaquito getroffen. Unter anderem hatten sie sich gewünscht, dass sie den Film zuerst sehen dürften. Der Dorfführer Jairo hat auch ins Spiel gebracht, dass wir dem Dorf das Rohmaterial des Films für interne Zwecke zur Verfügung stellen. Beides haben wir realisiert. Als wir Mitte März 2015 in Tamaquito waren, haben wir dort den Film vorgeführt. Das war eine sehr bewegende Welturaufführung. Für manche war es sehr schwierig, weil der Film deutlich sichtbar macht, was sie verloren haben. Das Dorf lebt jetzt an diesem neuen Ort, der von den Lebensbedingungen her kein Vergleich ist zu dem, was ihnen vorher zur Verfügung stand. Es ist aber klar, dass sie nicht zurückkönnen. Viel wurde nicht gesprochen nach der Vorführung. Der für uns wichtigste Kommentar kam von Ingris Ureche, der weiblichen Hauptperson des Films. Sie sagte nur: „Genauso war es.“

Sie haben bereits Filme über Umsiedlungen vom Bergbau betroffener Gemeinden gemacht. Was ist der Unterschied zwischen Umsiedlungen in Deutschland und Kolumbien?
Etwas vereinfacht gesagt: In Deutschland ist weitgehend gesichert, dass die Menschen ihre ökonomische Grundlage nicht verlieren. Das ist ein entscheidender Unterschied zu Tamaquito, wo nach der Umsiedlung den Menschen die Lebensgrundlage fehlt. In Deutschland wird außerdem mit jedem Haushalt individuell verhandelt. Die anderen Umsiedlungen in Kolumbien, die wir kennengelernt haben, laufen ebenfalls nach diesem Muster ab. In Tamaquito dagegen gibt es nur einen Vertrag zwischen dem Konzern und der Gemeinschaft. Wenn mit jedem Einzelnen verhandelt wird, dann verbindet der Konzern damit immer die Aufforderung: „Erzähle niemandem, was wir vereinbart haben.“ Das öffnet natürlich Misstrauen und Neid Tür und Tor. In diesem Moment ist die Gemeinschaft schon verloren. Tamaquito ist wirklich ein Sonderfall, weil dort ein Gemeinschaftsvertrag gemacht wurde. Eine Gemeinsamkeit ist, dass es sowohl in Deutschland als auch in Kolumbien eine sehr enge Allianz zwischen den Konzernen und den Regierungen gibt. Dies schränkt den Handlungs- und den Verhandlungsspielraum der Betroffenen stark ein. Die Trauer und den Schock angesichts des emotionalen Verlustes, den so eine Umsiedlung mit sich bringt, erleben die Menschen natürlich hier wie dort sehr, sehr stark.

Sie haben Ihrem Film den Titel La Buena Vida – Das Gute Leben gegeben. Aber längst nicht alles, was der Film zeigt, ist gut. Warum haben Sie sich trotzdem für diesen Titel entschieden?
Der Film erzählt eine Konfliktsituation zwischen zwei unterschiedlichen Interpretationen von dem, was man „gutes Leben“ nennen kann. Einerseits gibt es die traditionelle Lebensform der Menschen in Tamaquito, die in Harmonie mit der Natur leben und sich mit allem Lebensnotwendigen selbst versorgen. Dadurch genießen sie ein Höchstmaß an Freiheit und Autonomie.Aus unserer Sicht und aus Sicht des Konzerns – denn der Konzern vertritt letztendlich unsere Werte, die der sogenannten entwickelten Welt – wird das gute Leben vollkommen anders interpretiert: Hier geht es um Entwicklung, Fortschritt, Automatisierung, Wachstum. Vor allem diese wirtschaftlichen Aspekte prägen unsere Definition für das gute Leben. Tamaquito verliert sein gutes Leben, damit wir unseres fortsetzen können. Es ist unser gutes Leben gegen das gute Leben von Tamaquito.

La Buena Vida – Das Gute Leben. Deutschland 2013/2014, R: Jens Schanze, Dauer: 97 Min., Vertrieb: Camino Filmverleih. Mehr: www.dasguteleben-film.de

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