“Evita” – Zwanghaftes Gefühlskino
Madonna und Banderas glänzen allen Unkenrufen zum Trotz
Das Spektakel beginnt im Treibhaus der Mythen und Illusionen. Buenos Aires 1952: In einem Kino ergötzt sich das Publikum an einem Melodram. Plötzlich wird die Vorstellung abgebrochen. Wütendes Raunen im Saal. Dann gibt jemand bekannt, daß Eva Perón gestorben ist. Stille, dann fassungsloses Schluchzen, orchestriert von pompöser, gellender Musik.
“Evita”, Alan Parkers Verfilmung des Musicals von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice, läßt vom ersten Augenblick keinen Zweifel am Leitmotiv: Nicht klimpern, sondern klotzen. Madonna als Evita, Jonathan Pryce als Juan Perón – und last but not least Antonio Banderas als omnipräsenter kritischer Kommentator des Geschehens – eine Mischung aus jugendlichem Che Guevara und argentinischem Jedermann. Als Kellner, Dienstbote oder Journalist begleitet er die Stationen des kometenhaften Aufstiegs Evitas von der kleinen Schauspielerin zur Presidenta Argentiniens.
Ches Auftritte sorgen für wohltuende ironische Kontrapunkte in einem Spektakel, das ansonsten zu sehr bemüht ist, großes Gefühlskino darzustellen. Besonders der aufdringlich schwülstige und stilistisch diffuse Soundtrack, der musikalisch wenig mit Argentinien zu tun hat, sorgt zuweilen für unfreiwillige Komik – beispielsweise in der Szene, wo Evita und Perón sich das erste Mal begegnen. Wehmut kommt auf bei dem Gedanken, was beispielsweise Astor Piazzolla, der die phantastischen Soundtracks zu “Sur” und “Tangos – El exilio de Gardel” von Fernando E. Solanas komponierte, aus dem “Evita”-Stoff hätte machen können.
Das Dekors, die Massenszenen – das Argentinien dieser Zeit scheint bei Alan Parkers Monumentalepos äußerlich sehr detailliert rekonstruiert zu sein, wirkt jedoch trotzdem wie eine austauschbare Kulisse des Welttheaters in geschmackvollen Beige-Brauntönen. Evitas soziales und politisches Engagement, ihre Auseinandersetzungen mit den Militärs und gesellschaftlichen Eliten als brillant montierter, unterhaltsamer Clip, der die Zuschauer allerdings ziemlich im Unklaren läßt, ob es sich beim Peronismus um eine Art soziale Revolution oder Protofaschismus handelte. Gerade da, wo es interessant wird, wo Raum für Widersprüche und Zwischentöne sein könnte, kommt wenig Erhellendes.
Dagegen ist die Besetzung der Hauptrollen mit Madonna und Banderas aller Vorschußhäme zum Trotz ein gelungener Coup. Die Rolle der ehrgeizigen und gefallsüchtigen, gleichzeitig aber auch großzügigen und verletzlichen Eva Perón wird von Madonna so hingebungsvoll verkörpert, daß sie ihr wie auf den Leib geschnitten wirkt. Beispielsweise, wenn die Operetten-Evita sich vor dem Spiegel auf ihren letzten öffentlichen Auftritt vorbereitet und singt: “You must love me.”
“Evita”, USA/ Großbritannien 1996; Farbe, 135 Minuten; Regie: Alan Parker