Facetten autoritärer Politik
Das “liberale Projekt” der neuen Regierung verschärft die sozialen Konflikte
Januar 1997 – ein Tross an Kameraleuten und Fotografen ist zur Stelle: Alemán prüft die Einsatzfreude seiner Minister und anderer Staatsfunktionäre. Pünktlich um 8.00 Uhr – und das an einem Montag. Nichtanwesende wurden mit einer gefälligen Nachricht eingedeckt: “Der öffentliche Angestellte ist Diener des Volkes und muß diszipliniert sein. Arnoldo Alemán wird nicht erlauben, daß seine Minister Faulenzer sind”. Man sah ihn mit Mitgliedern des UnternehmerInnenverbandes COSEP plaudern und verkünden, daß in die Freihandelszonen massiv investiert werde, daß zwei neue Kommerzzentren und fünf neue Luxushotels gebaut und damit tausende von Arbeitsplätzen geschaffen würden. Dies war der populistische Präsident der ersten Wochen.
Die Paralyse der Kritik im Parlament
Parallel zu diesem persönlichen Marketing kehrte der rote Allianz-Besen. Die neuen Minister, Vertreter von Institutionen, Bürgermeister und liberalen Direktoren unterzeichneten tausende von Entlassungsschreiben. Diejenigen mußten gehen, deren Symphatie nicht der neuen Regierung galt.
Am 9. Januar 1997 trat die neugewählte Nationalversammlung zusammen. Bei der Frage nach der Verteilung der Präsidiumsposten kam es zum ersten großen Test des Kräfteverhältnisses zwischen der Liberalen Allianz (AL)(42 Sitze) und der FSLN (36 Sitze). Die FSLN forderte ein ausgewogenes Präsidium, um die Unabhängigkeit der Nationalversammlung von der Regierung zu gewährleisten. Die AL dagegen beanspruchte vier der sieben verfügbaren Ämter für sich unter anderem das des Parlamentspräsidenten. Die FSLN forderte geheime Wahlen, da befürchtet wurde, einige Abgeordnete der AL seien unter Druck gesetzt und die Mitglieder der neun kleinen Parteien geködert worden. Der Oberste Wahlrat, der diese erste Sitzung des Parlaments präsidierte, entschied sich für die AL und gegen die geheime Abstimmung, woraufhin die FSLN-Fraktion geschlossen auszog. Bei den folgenden Wahlen gab es keine GegenkandidatInnen.
In den Folgetagen erreichte es die AL, Allianzen mit den kleinen Parteien zu etablieren. Damit gelangte Alemán an eines seiner zentralen Ziele: ein willfähriges Parlament. Der nicaraguanische Kommentator William Lacayo Guerra: “Die Nationalversammlung wurde zu einer Spezie von Instanz, die ohne großen Aufwand die Gesetzesvorhaben des Präsidenten der Republik abstempelt.”
Die FSLN verpaßte die Chance, das Parlament zur Tribüne der politischen Auseinandersetzung zu machen, wodurch sich die Grundlagen für eine Politik bildeten, die sich bereits während des polarisierten Wahlkampfes abgezeichnet hatte: Ein Zweiparteiensystem, an dessen Spitze der neoliberale Almán und der Generalsekretär der FSLN, Daniel Ortega, Politik inszenieren. Dazu gesellte sich die Strategie der FSLN, die versucht, über Druck “von unten” und verordnetem Dialog “von oben” den offensiv von Alemán angegangenen Strukturwandel zu konterkarrieren. Reale Erfolge in strittigen Fragen ließen sich bei diesem Vorgehen bislang nicht erzielen.
Die Säuberung des öffentlichen Raums
StraßenhändlerInnen, misliebige Straßenkinder, und andere Menschen, deren Verkaufsstände ein Dorn im Auge der neuen Regierung sind, werden seit Februar mit Gewalt durch die Polizei von ihren angestammten Verkaufsplätzen an Kreuzungen und öffentlichen Plätzen vertrieben. Obwohl die Regierung den Beginn dieses Vorgehens mit Meldungen über sich häufende Diebstähle und Überfälle begleitete, war in den Medien allgemein von “Säuberungen” die Rede. Es ist eine repressive Vertreibung der überall sichtbaren Armut, wobei die Regierung euphemistisch davon sprach, wiederholt aufgegriffene Kinder in “Erziehungs-“anstalten einliefern lassen zu wollen. In Nicaragua gibt es rund 700.000 Jugendliche unter 15 Jahren, die laut einer internen UNICEF-Studie unter extremer Armut leiden, darüberhinaus leben und arbeiten etwa 6.000 Kinder permanent auf der Straße.
Autoritärer Strukturwandel
Ende Februar brachte eine Gruppe von AL-Abgeordneten ein Gesetzesvorhaben zum Neuaufbau eines Familienministeriums ins Parlament ein, dessen zentrale politische Leitlinie, dem katholisch-bürgerlichen Ideal folgend, die Förderung der “unauflöslichen ehelichen Gemeinschaft” ist. Eine Form, die in Nicaragua in über 53 Prozent der Haushalte, in denen Frauen die Rolle des Familienoberhaupts ausfüllen, schlichtweg nicht existiert. Doch dies störte die Regierungsvertreter nicht, denn “die Grundlage der Familie ist das Paar vereint durch die Bindung der Liebe in einer großmütigen, treuen, stabilen und dauerhaften Beziehung…” und damit erkenne der Staat an, “daß die Aufgabe des Paares darin besteht, eine Gemeinschaft der Liebe und Fortpflanzung zu bilden…” Andere Themen großer Sprengkraft im Gesetzestext zum Aufbau des Familienministeriums sind der “Schutz ungeborenen Lebens” sowie die Überführung von Kindern, die auf der Straße leben und arbeiten, in Anstalten .
Hinter der Bildung des Familienministeriums steht der massive Versuch, die Politik der bislang von unabhängigen Organisationen wie dem INIM (Institut für die Frau), Fonif (Nicaraguanischer Fonds für die Frau und Familie) und der “Nationalen Kommission zur Förderung und zum Schutz der Rechte der Kinder” abzuschaffen. Totz massiver Proteste aus der Frauenbewegung wird sich dieses Gesetzesvorhaben voraussichtlich durchsetzen können.
Vertreter der AL brachten außerdem eine Gesetzesnovelle bezüglich der Auslandsfinanzierung nicaraguanischer Nichtregierungsorganisationen (NRO) ein. Derzufolge müssen zukünftig alle NROs und Stiftungen ihre Finanz- und Projektanträge, die sie an Kooperationspartner im Ausland richten, über ein neu einzurichtendes Department beim Ministerium für auswärtige Zusammenarbeit kanalisieren. Dieses Department soll – so der Gesetzestext – gewährleisten, daß die Verwendung der Mittel koordiniert wird. De facto werden die NROs dazu verpflichtet, über diesen Mechanismus die Inhalte ihrer Politik der Kontrolle durch die Regierung zu unterwerfen. Das Gesetz räumt dem Department die Möglichkeit ein, bei Zuwiderhandlung entweder eine Geldstrafe zu erheben, oder aber bei erneutem eigenmächtigen Handeln, den NROs die juristische Körperschaft abzuerkennen.
Die nicaraguanischen NROs protestierten massiv gegen diese Novellierung und forderten die gemeinsame Erarbeitung eines Gesetzesrahmens zur Finanzierung von NROs. Es wird allerdings erwartet, daß sich Alemán die Kontrollmöglichkeit der Millionenbeträge, die auf diesem Weg alljährlich ins Land kommen, nicht nehmen lassen wird.
Eigentum: Das unendliche, ungelöste Thema
Trotz der Auseinandersetzungen ist das Thema der Reprivatisierung des Eigentums auch weiterhin der zentrale Konfliktpunkt in Nicaragua. Seit dem Regierungsantritt Alemáns nahmen Räumungen strittigen Eigentums, von Ländereien, Grundstücken und Häusern, drastisch zu. In deren Verlauf kam es bereits in verschiedenen Orten zu Todesfällen.
Die gesetzliche Grundlage für die Räumungen sind fragwürdig, die RichterInnen häufig gekauft. Die Regierung Alemán erkennt die Gesetze 3/38 zur Konfiszierung des Eigentums des Clans des ehemaligen Diktators Somoza und seiner engsten Untergebenen nicht an. Arnoldo Alemán forderte sogar persönlich die Familie Somoza auf, nach Nicaragua zurückzukehren und vor den Tribunalen die Rechtmäßigkeit ihrer Besitzansprüche geltend zu machen. Nun kamen Bernabe und Alvaro Somoza Protocarrero, zwei Söhne des Diktators, ins Land, um das ehemalige Eigentum der Familie einzuklagen. Ein kleines ironisches Sprengsel in der Geschichte: Zu ihrem Eigentum zählt auch das Grundstück, auf dem die Kathedrale steht, die der Amtssitz des nicaraguanischen Kardinals Obando y Bravo ist – einem erklärten Unterstützer des Präsidenten Alemán.
Neben diesem Gesetz 3/38, so ließ der Agrarminister Jorge Castillo Quandt verkünden, seien weitere 14.000 Landbesitztitel genauso gegenstandslos wie die sandinistischen Agrarreformgesetze von 1981 und 1987, die Gesetze 85 (Grundstücke), 86 (Häuser), 88 (Land) sowie die die Abkommen der Übergangszeit zwischen der scheidenden FSLN und der Regierung Chamorro von 1990).
Das Agrarreforminstitut sollte – so sah es die Initiative vor – alle Titel nach Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ansprüche neu vergeben. Propagandawirksam erschien dieses Vorhaben als ein neues Agrarreformgesetz der Regierung. Doch es brachte das Faß zum überlaufen. Die FSLN und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften und riefen zu nationalen Protestaktionen auf, in deren Verlauf Nicaragua im April vier Tage lang durch Straßenblockaden gelähmt wurde.
Im Zuge der Proteste bot Alemán Ortega Spitzengespräche hinter verschlossenen Türen an. Bereits nach der ersten Gesprächsrunde einigte man sich auf ein innerhalb von dreißig Tagen zu erarbeitendes Abkommen. Die Themen des Abkommens: die Arbeitsplatzsicherheit im Staatssektor, Verhandlungen der Frage des Eigentums in einer Kommission aus Vertretern der AL und der FSLN, das Widerrufen der Erklärung, alle Agrarreformtitel seien ungültig, sowie das Aussetzen von Räumungen für drei Monate. Dabei wurde beschlossen, daß die Beratungen der Eigentumskommission dem Parlament vorgeschaltet würden. Zwar ist die Frist von dreißig Tagen bereits abgelaufen, konkrete Ergebnisse gibt es jedoch noch nicht. Nur der Agrarminister Jorge Castillo Quandt mußte seinen Posten zugunsten von Virgilio Gúrdian Castellon verlassen. Laut Regierungsquellen kosteten seine Ankündigung, 14.000 Agrarreformtitel seien gegenstandslos, und die in diesem Zuge erfolgten massiven Proteste, Castillo Quandt den Posten. Auch in anderen Geschäftsbereichen nahm Alemán Umbesetzungen und Entlassungen vor.
Das liberale Projekt
Arnoldo Alemán verprellte in seiner knapp halbjährigen Amtszeit nahezu alle gesellschaftlichen Sektoren: Kooperativen sowie kleine und mittlere BäuerInnen durch die Auseinandersetzungen rund um das Thema der Eigentumstitel und die Schließung der Bank BANADES, bislang noch eine der wenigen Banken, über die für diese Kreise Kredite zu erhalten waren; Kreise der Armee durch die Ankündigung, die Truppengröße weiter zu reduzieren; Marginalisierte in Managua und anderen Städte durch die repressive Vertreibungspolitik; wieder andere durch Verteuerung der Energiepreise und stundenlange Stromsperren; tausende durch Massenentlassungen im Zuge der Besetzung der Stellen durch Liberale und deren SympathisantInnen.
Bei einheimischen GroßproduzentInnen stieß er außerdem mit der polemisch diskutierten Steuerreform auf Kritik, die außerhalb von Regierungskreisen vor allem dahingehend kommentiert wird, daß sie auf die Nationalökonomie eine depressive Wirkung haben werde. Sie verteuere Grundprodukte, umgekehrt würden bestimmte Importe verbilligt. Das träfe zum Beispiel das nicaraguanische Zuckerkapital, wie zum Beispiel die Pellas-Gruppe (ISA, Flor de Caña-Rum): Zukkerimporte sollen im Rahmen der Reform nicht mehr mit Steuern belegt werden, wodurch die Importe billiger als der nicaraguanische Zucker würden. Dahinter scheinen Interessen des cubanisch-miamianischen Kapitals zu stecken, einer der größten Zuckerexportgruppen des Kontinents und enge Vertraute Alemáns.
Gleichzeitig gibt es Kreise, die diese Steuerreform als Kampfansage gegen das große alte nicaraguanische Kapital sehen, dessen Vertreter mehrheitlich keine Liberalen sind. Die Liberalen seien eher unter den mittelgroßen ProduzentInnen und UnternehmerInnen zu finden. In deren Umfeld sollen Pläne existieren, in Abgrenzung zur traditionellen Oligarchie der Konservativen über die Regierungsmacht ein eigenes ökonomisches Kartell aufzubauen, als “Grundlage der politischen Hegemonie der Liberalen für die nächsten 50 Jahre”.
“Verschleiß der sandinistischen Basis”
In einem anderen internen liberalen Strategiepapier wird der “totale Verschleiß der sandinistischen Basis” als Ziel der eigenen Politik definiert. Die FSLN antwortete bislang auf diese Politik mit der Doppelstrategie aus Dialog unter caudillos und “Druck von unten”. Doch der “Druck von unten” ist mit dem vom Anfang der 90er, als Nicaragua zwei Mal durch Proteste über Wochen paralysiert war, nicht zu vergleichen. Nur etwa 15.000 Menschen sollen die Proteste im April getragen haben. Weite Kreise der Bevölkerung halten Distanz zur FSLN – auch dies ein Produkt von jahrelangem co-gobierno unter der Regierung Chamorro. Die soziale und wirtschaftliche Krise zieht jedoch täglich weitere Kreise.