Nummer 567 – September 2021 | Peru

FEUERPROBE

Neue Regierung übersteht Vertrauensvotum

Einen Monat nach der Vereidigung Pedro Castillos zum peruanischen Präsidenten hat seine Regierung die erste Hürde genommen und das Vertrauensvotum im Parlament überstanden. Auf dem Weg dahin musste bereits Außenminister Héctor Béjar sein Amt räumen, nachdem seine Aussagen die Marine erzürnt hatten.

Von Moritz Aschemeyer

Am Ende half alles nichts. Trotz des beherzten Griffs der rechten Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori in die trumpsche Trickkiste wurde rund eine Woche vor dem offiziellen Regierungswechsel am 28. Juli ihr linker Kontrahent, der ehemalige Landschullehrer und Gewerkschafter Pedro Castillo, zum Sieger der Stichwahl vom 6. Juni ernannt. Den hauchdünnen Vorsprung von nur 44.000 Stimmen hatte Fujimori durch den Vorwurf des Wahlbetrugs und die Forderung nach der Annullierung von rund 200.000 Stimmen wettzumachen versucht. Dieses Manöver hatte jedoch von Beginn an wenig Aussicht auf Erfolg. Nationale und internationale Wahlbeobachter*innen hatten keine Anzeichen für Betrug gefunden, das Oberste Wahlgericht (JNE) lehnte schließlich sämtliche Anfechtungsversuche seitens Fujimoris rechtskonservativer Partei Volkskraft ab. Bis Fujimori selbst Castillo als neuen Präsidenten anerkannte, verging derweil ein weiterer Monat. Nach der verlorenen Stichwahl muss sie sich nun der Justiz stellen. Die Staatsanwaltschaft hatte im März Anklage im Kontext der Korruptionsaffäre um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht erhoben und 30 Jahre Haft gefordert. Eine erste Anhörung im Verfahren gegen Fujimori fand am 1. September statt.

Castillos Regierung hat weiterhin einen schweren Stand in der peruanischen Öffentlichkeit. Einer Mitte August veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Ipsos zufolge genießt der Präsident in der Bevölkerung Zustimmungswerte von 38 Prozent, deutlich weniger als alle gewählten Amtsvorgänger der vergangenen 20 Jahre. Dazu dürfte neben der starken Polarisierung während des Wahlkampfes (siehe LN 563) das als unklar wahrgenommene Verhältnis der neuen Regierung zur Partei Freies Peru, unter der Castillo zur Wahl angetreten war, sowie diverse Personalien im neuen Kabinett beigetragen haben.

Castillos Regierung hat einen schweren Stand

Insbesondere die Ernennung von Guido Bellido zum Premierminister sorgte für Kritik. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, die maoistischen Guerilla Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) in einem Facebook-Post 2017 verbal unterstützt zu haben. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen „Terrorismusapologie“ ein. Zudem wird gegen ihn, die Partei Freies Peru und weitere Mitglieder, wie den Parteichef Vladimir Cerrón und dessen Bruder und Parteisprecher Waldemar, wegen möglicher Geldwäsche ermittelt. Die Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit dem Fall „Los Dinámicos del Centro“ aus dem Jahr 2019, in dem den Beschuldigten vorgeworfen wird, die Partei habe ihre Kampagnen mittels eines kriminellen Netzwerkes innerhalb regionaler Behörden in der Provinz Junin finanziert. Das Netzwerk habe unter anderem mittels Schmiergeldern in der Ausstellung von Fahrerlaubnissen die Parteifinanzen aufgebessert, so der Verdacht.

Auch innerhalb der Linken ist die Ernennung Bellidos umstritten. Er ist ein enger Vertrauter Vladimir Cerróns und hat sich in der Vergangenheit mehrfach homo- und transphob geäußert. Seine Ernennung zum Premierminister wird als Einknicken Castillos vor Parteichef Cerrón interpretiert. Dieser baute von links Druck auf, indem er sich kritisch zum neuen Wirtschaftsminister, dem keynesianischen Ökonom Pedro Francke, äußerte. Die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Parteiführung sowie innerhalb der größten Parlamentsfraktion, die aus Castillo-nahen Gewerkschafter*innen und Kadern seiner Partei besteht, könnte durch die kürzlich erfolgte Gründung der Partido Popular Magisterial noch befeuert werden. In dieser versammeln sich Lehrergewerkschafter*innen der Nationalen Vereinigung der peruanischen Arbeiter (Fenate), die von Castillo 2017 als Alternative zur Einheitsgewerkschaft der Beschäftigten im Bildungswesen von Peru (SUTEP) gegründet worden war.

Der rechten Opposition kommen die internen Auseinandersetzungen zupass, setzt sie doch einiges daran, die neue Regierung zu behindern. Bereits vor Beginn der Debatte über die Vertrauensaussprache am 26. August musste mit Außenminister Héctor Béjar bereits ein erstes Kabinettsmitglied seinen Rücktritt einreichen. Der 85-jährige Soziologe, der in den 1960er-Jahren eine von der kubanischen Revolution inspirierte Guerilla gegründet hatte, hatte im vergangenen Jahr die peruanische Marine für den Beginn des bewaffneten internen Konflikts in Peru (1980 – 2000) verantwortlich gemacht. Zudem behauptete Béjar, die CIA hätte das Entstehen der maoistischen Guerilla in Peru gefördert.

Vor diesem Hintergrund war es keineswegs gesichert, dass die Regierung die erste Vertrauensaussprache im Parlament überstehen würde. Gemeinsam mit der linksprogressiven Gemeinsam für Peru verfügt Freies Peru nur über 42 der 130 Sitze im Parlament. Während der zweitägigen Parlamentsdebatte, eingeleitet durch die Rede des umstrittenen Bellidos, wurde deutlich, woran sich die Opposition ebenfalls stößt. Erstmals in der Geschichte des Landes ist eine Mehrheit der Kabinettsmitglieder nicht in der Hauptstadt geboren, gehört also nicht zu einer politischen und sozialen Elite Limas. Premier Bellido trug Passagen seiner Antrittsrede auf Quechua und Aymara vor, was ihm Zwischenrufe und eine Ermahnung seitens der Parlamentspräsidentin María del Carmen Alva einbrachte. Die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um die 1993 eingesetze neoliberale Verfassung zu ersetzten, erwähnte Bellido nicht. Im Wahlkampf hatte Castillo dieser Forderung, die ihren Ursprung in den Protesten im November 2020 (siehe LN 559) hatte, wiederholt Unterstützung zugesprochen.

Am Ende bestätigte das Parlament mehrheitlich die neue Regierung mit 73 zu 50 Stimmen. Dass nicht mehrheitlich gegen das Kabinett Bellido gestimmt wurde und die Opposition sich vornehmlich auf einzelne Mitglieder einschoß, mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Opposition bei zweimaliger Verweigerung Neuwahlen mit ungewissem Ausgang ausgesetzt sehen könnte. Lediglich die rechten Fujimori-nahen Fraktionen Volkskraft, Volkserneuerung und Voran mit dem Land stimmten geschlossen gegen das neue Kabinett.

Auch innerhalb der Linken ist die Ernennung Bellidos umstritten


Dieses hat nun allerhand schwere Aufgaben vor sich. Im bisherigen Verlauf der Covid-19-Pandemie hatte Peru den höchsten Anteil an Toten in Relation zur Bevölkerung. Eine dritte Infektionswelle bahnt sich an, bisher sind knapp 25 Prozent der Peruaner*innen vollständig gegen das Virus geimpft.

Die Armut im Land hat im vergangenen Jahr um zehn Prozentpunkte auf 30 Prozent der Bevölkerung zugenommen. Zudem sind die Preise für Güter des täglichen Gebrauchs gestiegen, auch infolge des historisch niedrigen Wechselkurses des Sol. Um die unmittelbare Not zu lindern, hat die neue Regierung Einmalzahlungen an vulnerable Familien auf den Weg gebracht. Unternehmer*innenkreise und internationale Geldgeber*innen sehen einen wirtschaftspolitischen oder gar konstitutionellen Wandel kritisch. Die Ratingagentur Moodys stufte Perus Bonität am 1. September aufgrund des mit der Polarisierung verbundenen „politischen Risikos“ herab.

In welcher Form die peruanische Wirtschaft neustrukturiert wird, bleibt abzuwarten. Hohe Rohstoffpreise und die starke politische Opposition erschweren eine radikale Abkehr vom bisherigen extraktiven Modell. Von Castillo ist trotz seiner Wahlerfolge in den von Bergbau betroffenen Regionen höchstens eine Umverteilungspolitik innerhalb des extraktiven Modells zu erwarten.

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