Literatur | Nummer 475 - Januar 2014

Fluch des unverhofften Kokses

Ana Paula Maia ist mit Krieg der Bastarde ein temporeicher, grotesker und unterhaltsamer Unterweltroman gelungen

Tobias Lambert

Am Anfang liegt da zwischen zwei Toten eine Tasche voll Koks. Der Pornodarsteller und passionierte Loser Amadeo kommt unverhofft in den Besitz des weißen Goldes, das eigentlich dem Unterweltboss Zeferino Manches gehört. Genau diesem verkauft er das Kokain über die exzentrische Filmemacherin Edwiges d‘Lambert zurück. D‘Lambert aber, die ihre Beinprothese als Drogenversteck benutzt, soll in Zeferinos Auftrag die geklaute Menge Koks auf dem freien Markt wiederbeschaffen. Das Geld aus dem Koks-Deal versteckt Amadeo in den Dielen eines brüchigen Dachbodens. Und die Aushilfsgangster Edgar Wilson und Pablo Sasaki jagen Amadeo in Zeferinos Auftrag.
Wirkt diese Ausgangskonstellation in Ana Paula Maias bitterbösem Roman Krieg der Bastarde noch einigermaßen übersichtlich, nimmt die Anzahl der beteiligten Personen im Handlungsverlauf rasant zu, ohne dass ein echter Hauptcharakter auszumachen wäre. Was zunächst nach einer langen Flucht von Amadeo aussieht, nimmt zumindest für diesen ein jähes Ende. Denn unter zufälliger Beteiligung der ihn jagenden Ganoven wird er überfahren.
Zunächst weiß niemand, dass es sich dabei um den Dieb des Kokains handelt, noch, dass sich das Geld und ein paar übrig gebliebene Kokspäckchen auf dessen Dachboden befinden. Auch der depressive und abgebrannte Dimitri nicht, seines Zeichens Halbbruder von Edgar und der Erzähler der Geschichte, der nach Amadeos Verschwinden den Dachboden bezieht.
Das Geld hatte Amadeo eigentlich für seine Freundin Gina Trevisan vorgesehen. Denn die Preisboxerin und Teilnehmerin an Vale-Tudo-Kämpfen („Alles ist erlaubt“) hat Schulden bei – na klar, Zeferino. Überhaupt hängen in dieser Geschichte praktisch alle Personen, von denen hier nur ein kleiner Teil namentlich genannt werden kann, irgendwie mit Zeferino zusammen, der als Big Boss unentwegt die Fäden zieht.
Die 1977 geborene Ana Paula Maia, die früher in einer Punkband gespielt und als Werbetexterin gearbeitet hat, macht in ihrem ersten nun auf Deutsch erschienenen Roman bereits vor Beginn klar, wo es langgeht. Gewidmet ist Krieg der Bastarde „den Verkommenen, Maßlosen und Abtrünnigen“.
Kleine und große Gangster, bis ins Mark korrupte Bullen, ein Schmuckstücke verzehrender Chihuahua, dazu geschickt eingeflochtene Literaturzitate – das ist Trash auf höchstem Niveau. Ana Paula Maia ist ein meist temporeicher, stets grotesker und äußerst unterhaltsamer Unterweltroman gelungen, der in Inhalt und Ästhetik durchaus an Tarantino oder die Coen-Brüder erinnert.
Die Vielzahl an Personen und deren ständig sichtbar werdende Verstrickungen mögen beizeiten übertrieben inszeniert wirken. Angesiedelt in einer brasilianischen Großstadt hat das eher die Dynamik eines kleinen Dorfes. Kurze Entschleunigung gibt es nur, wenn sich die Amadeo-Jäger Edgar und Pablo auf dem Weg von einem Auftrag zum nächsten über Gott und die Welt unterhalten. Die beiden sind es auch, die, während der Aufenthaltsort der Koks-Tasche auf ungewöhnliche Art und Weise sichtbar wird, die Figurenkonstellation als das entlarven, was sie sein soll. „‚Was für eine mickrige Scheißwelt ist das eigentlich‘, bemerkt Pablo baff. ‚Ein verdammter Mikrokosmos‘, sagt Edgar.“

Ana Paula Maia // Krieg der Bastarde // Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Wanda Jakob // A1 Verlag // München 2013 // 224 Seiten // 18,80 Euro // www.a1-verlag.de

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