For Richer, For Poorer
Die Geschichte der US-Mexikanischen Integration
Als Hintergrund der weltweiten Integrationsbestrebungen (NAFTA und EG-Binnenmarkt als herausragende Beispiele) wird die wachsende Globalisierung wirtschaftlicher Prozesse ausgemacht. Ausdifferenziertere Formen der Arbeitsteilung auf der Basis fortgeschrittener Technologie im Bereich der Telekommunikation und des Transportwesens ermöglichen inzwischen eine simultane Koordination der Produktionsprozesse in mehreren Ländern. Produktionsprozesse können somit aufgespalten werden, indem für den jeweiligen Produktionsabschnitt der weltweit günstigste Standort gewählt wird. Wenn auch diese Gobalisierungstendenz vornehmlich auf die Suche der transnationalen Konzerne (TNC) nach billiger Arbeitskraft zurückzuführen ist, gab die von den USA nach 1945 verfolgte Wirtschaftspolitik den Rahmen für diese Entwicklung vor. Als dominante Wirtschaftsmacht verschrieben sich die USA der Förderung des Freihandels, in Kenntnis ihrer überlegenen Wettbewerbsfähigkeit und des Bedarfes an zusätzlichen Absatzmärkten. Schwerpunkt dieser Strategie war der Versuch, im Rahmen der GATT-Verhandlungen auf eine globale Senkung der Handelsbarrieren hinzuwirken. Ergänzt wurde die Strategie durch kontinentale Integrationsprojekte, insbesondere das Freihandelsabkommen mit Kanada 1988 und eben das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen USA, Kanada und Mexiko.
Mexikos Hinwendung zu neoliberaler Wirtschaftspolitik ab Mitte der achtziger Jahre wird als Konsequenz der gescheiterten Politik der importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) beschrieben. Mit dem Versuch, Importe durch den Aufbau einer eigenen Industrie zu ersetzen, sollte die Abhängigkeit vom internationalen Handel und von ausländischen Direktinvestitionen verringert werden. Erbrachte dieses Konzept beachtliche Wachstumsraten (1940-75: 6% jährlich), so wurden ab Mitte der siebziger Jahre die Mängel zusehends deutlicher. Wenn auch der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen bis dato unter 3% gefallen war, so hielten in den schnell wachsenden Industriezweigen (Auto, Pharmazie) die transnationalen Konzerne ihre beherrschende Stellung aufrecht.
Die für Investitionen erforderlichen Kapitalgüter mußten weiterhin überwiegend importiert werden und eine Devisen erwirtschaftende Exportindustrie war nur rudimentär vorhanden. Die hieraus resultierende Abhängigkeit von den Öl-Einnahmen einerseits und den ausländischen Krediten andererseits kulminierte 1982 in Zahlungsunfähigkeit. Auslöser waren der Ölpreisverfall und die binnen eines Jahrzehnts sich annähernd verdoppelnden Kreditzinsen.
Um die Gläubiger zu einer Umschuldung zu bewegen, unterwarf sich Mexiko in der Folgezeit den neoliberalen Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Senkung der Staatsausgaben, Peso-Abwertung und Privatisierung von Staatsunternehmen stellten bis 1989 die internationale Kreditwürdigkeit wieder her. Ein Reallohnverfall von 40% (1981 bis 1992), steigende Arbeitslosigkeit und eine wachsende Einkommensungleichheit bildeten die Begleitmusik.
Daß die Verflechtung der US-amerikanischen mit der mexikanischen Wirtschaft durch NAFTA nur ihre Fortsetzung, nicht aber ihren Ausgang erfährt, wird anhand der Geschichte der maquiladoras (Fertigungsstätten) illustriert. In diesen Betrieben werden importierte Vorprodukte veredelt, um danach wieder exportiert zu werden. Bereits 1965 gab die mexikanische Regierung die Nordgrenzgebiete für exportorientierte Fabriken ausländischer Provenienz frei. Vorwiegend US-amerikanische Konzerne siedelten sich in der bis 1972 auf einen 12,5 Meilen Umkreis beschränkten Region an. Ab 1972 waren maquiladoras bis auf Mexiko-Stadt, Guadalajara und Monterrey überall erlaubt. Von der Regierung ursprünglich als Beschäftigungsprogramm intendiert, bildete dieses Grenzindustrialisierungsprogramm den ersten Schritt einer Eingliederung Mexikos in die Industriestruktur der USA. Der Boom der maquiladoras ist ungebrochen und wird durch NAFTA weiteren Auftrieb erhalten. Schon jetzt entfällt ein Drittel des US-mexikanischen Handelsvolumens auf die maquiladoras und die Beschäftigtenzahl stieg von 20 000 im Jahre 1970 auf über eine halbe Million Ende 1992. Das Abkommen bietet nun generell freien Zugang zum US-Markt, weshalb die Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen aus aller Welt gesteigert wird.
Von den AutorInnen werden drastische Folgen besonders für die Landbevölkerung erwartet. Ohnehin seit Jahrzehnten vernachlässigt, werden die mexikanischen Bauern und Bäuerinnen nun schutzlos der übermächtigen Konkurrenz der High-Tech-Farmer aus Kanada und den USA ausgeliefert. Die Subventionen für die Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen fallen dem Abkommen zum Opfer. 72% der mexikanischen Maisbauern und -bäuerinnen, dies entspricht 2 Millionen Familien, werden von der Regierung Salinas als nicht konkurrenzfähig erachtet und sollen sich deshalb andere Erwerbsquellen erschließen. Insgesamt erwartet das mexikanische Agrarministerium bis 2010 eine Landflucht von 13 Millionen Bauern und Bäuerinnen.
ArbeiterInnensolidarität auf dem Prüfstand
Ein ganzes Kapitel widmen die AutorInnen dem Bemühen der ArbeiterInnen, sich grenzübergreifend den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen. Einen Anfang machte bereits 1979 eine LandarbeiterInnengewerkschaft in Arizona, in der überwiegend mexikanische ImmigrantInnen zusammengeschlossen sind. 10, inzwischen 20 Cents sind von jedem Stundenlohn für einen Entwicklungsfonds abzuzweigen, der Landwirtschafts- und Gemeindeprojekte in den Heimatdörfern der LandarbeiterInnen fördert. Die Zusammenarbeit US-amerikanischer und mexikanischer Gewerkschaften zeigt zwar steigende Tendenz, beschränkt sich bisher aber nur auf vertrauensbildende Maßnahmen. Die Tatsache, daß die mexikanischen Gewerkschaften der Regierungspartei PRI hörig sind, macht die Zusammenarbeit nicht eben einfach. Die Verlagerung von Produktion ins Niedriglohnland Mexiko in der Vergangenheit hat zudem viel Unmut bei den betroffenen US-ArbeiterInnen ausgelöst. Gegenüber dem Integrationsniveau der Konzerne besteht auf Gewerkschaftsseite beträchtlicher Nachholbedarf, lautet das abschließende Fazit.
Realität und Theorie des Freihandels
Im abschließenden Kapitel werden Freihandel in Theorie und Realität und eine anzustrebende alternative Ausgestaltung diskutiert. Dabei werden sehr viele Aspekte angesprochen, die Tiefe leidet bisweilen darunter. Dies gilt vor allem für den theoretischen Teil, in dem unterschiedliche Ansätze, Freihandel zu begründen, einfach zusammengemixt werden, ohne aufzuzeigen, daß Klassik und Neoklassik zwar beide Freihandel propagieren, aber sehr wohl mit gänzlich unterschiedlichen Ausgangsannahmen.
Wenn schon den Integrationsbestrebungen realistischerweise nicht Einhalt geboten werden kann, so fordern die AutorInnen, daß Handelsabkommen zukünftig und im nachhinein wenigstens um 4 Aspekte ergänzt werden sollen. In die Entscheidungsprozesse soll eine breite Öffentlichkeit einbezogen werden, um zu verhindern, daß wenige FreihandelsbefürworterInnen ihre Interessen durchsetzen. Weiter soll Mexiko im Rahmen des NAFTA Ausgleichszahlungen erhalten, um die zu erwartenden enormen sozialen Kosten abmildern zu können. Die Errichtung einer Entwicklungsbank zur Wahrnehmung sozialer Aufgaben wird dabei als praktischer Vorschlag angeführt. Internationale Rahmenvorschriften hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Migrationsbestimmungen und Menschenrechten einschließlich Durchsetzungsmechanismen (internationaler Gerichtshof, Handelssanktionen) sollen juristische Möglichkeiten schaffen, auf internationaler Ebene gegen Verstöße vorzugehen. Schließlich sollen Innovationen auf institutioneller Ebene für klare Verantwortlichkeiten sorgen. Als Beispiel wird eine binationale Kommission für die US-mexikanische Grenze genannt, die sich um Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsprobleme kümmern könnte.
Insgesamt überzeugt das Buch beim Beschreiben der Geschichte US-mexikanischer Integration im Industriesektor. Zu kurz kommt der Agrarsektor. Über die dort vorhandenen Strukturen werden nur sehr allgemeine, um wenige Beispiele angereicherte Ausführungen gemacht. Die Schwächen bei den theoretischen Teilen des Buches wurden schon angemerkt und können auch durch reichhaltige empirische Daten nicht wettgemacht werden. Die vorgeschlagenen Alternativen bei der Gestaltung von Integration zeugen nicht gerade von Originialität, spiegeln aber wohl den derzeitigen Stand der “alternativen” Diskussion wider. Wenn schon die Integration unumgänglich ist, dann wenigstens die Einflußmöglichkeiten und die soziale Abfederung verbessern.
Harry Browne: For Richer, For Poorer. Latin American Bureau 1994, 130 Seiten, DM 27,80 Über den LN-Vertrieb zu beziehen.