Argentinien | Nummer 418 - April 2009

Fortsetzung folgt

Bauern und Bäuerinnen streiken erneut, der Streit um Exportsteuern geht weiter

Nachdem die Verhandlungen zwischen der argentinischen Regierung und den Bauernverbänden gescheitert sind, streiken die AgrarproduzentInnen wie bereits im letzten Jahr. Mit der Ausrufung des Agrarnotstandes durch die Regierung schien zunächst eine Entspannung des Agrarkonflikts möglich. Die erneute Verhärtung der Fronten beim Thema Exportsteuern und die Verkündung des einwöchigen Ausstands rücken die Lösung des Konflikts wieder in weite Ferne.

Markus Rauchecker

Brennende Reifenstapel, Traktoren, Landmaschinen und Bauern und Bäuerinnen mit argentinischen Flaggen hindern LKWs und Autos an der Weiterfahrt. Lange Schlangen bilden sich auf den Schnellstraßen Richtung Buenos Aires. In der Menschenmenge um den Streikposten herrscht Unruhe. Wild gestikulierende Menschen stehen sich gegenüber, diskutieren, brüllen sich an. Plötzlich kommt es in der Menge zu Handgreiflichkeiten, als die wartenden LKW-Fahrer versuchen, den Streikposten mit Gewalt aufzulösen. Die AgrarproduzentInnen versuchen, die Regierung mit der Einstellung der Produktion und der Unterbrechung der Lebensmittellieferungen nach Buenos Aires unter Druck zu setzen. Dies bringt wiederum die LKW-FahrerInnen und TransportunternehmerInnen gegen die Bauern und Bäuerinnen auf.
Die Geschichte scheint sich zu wiederholen und vieles erinnert an den viermonatigen Streik im letzten Jahr. Wieder stehen die Ausfuhrsteuern im Mittelpunkt des Konflikts zwischen der Regierung Cristina Fernández de Kirchner und den Bauernverbänden, die trotz ihres erfolgreichen Streiks gegen die Umstellung des Exportsteuersystems im letzten Jahr weiter gegen die Höhe der Ausfuhrsteuern kämpfen. Der gemeinsame Feind Exportsteuer vereinigt die Verbände der kleinen und der großen Bauern, die unterschiedliche Interessen vertreten. Lediglich die Ausrichtung der Produktion auf den Export haben sie gemeinsam.
Der aktuelle Streit zwischen AgrarproduzentInnen und Regierung um die Exportsteuern kam durch die verheerenden Auswirkungen der schlimmsten Dürre seit 50 Jahren auf die Produktion von Mais, Weizen und Rindfleisch wieder auf die Tagesordnung. Die Dürre der letzten Monate hatte massive Ernteausfälle bei Weizen und Mais zur Folge. Aufgrund des fehlenden Grasbestandes auf den Weiden verendeten massenhaft Rinder oder mussten notgeschlachtet werden. LandwirtInnen fordern Steuererleichterungen für die betroffenen Betriebe. Angesichts dieser Ausmaße der Dürre hatte die Regierung den Agrarnotstand ausgerufen. Der Agrarnotstand bedeutet, dass Ertrags- und Grundsteuern erst ein Jahr später fällig werden. Davon allerdings nicht betroffen sind die umstrittenen und viel höheren Exportsteuern.
So sahen die Bauernverbände die Erklärung des Agrarnotstands zunächst als ersten Schritt in die richtige Richtung an. Präsidentin Fernández de Kirchner ihrerseits entschied, 30 Prozent der Erlöse aus den Exportsteuern auf Soja an die Provinzregierungen weiterzugeben. Nach Ansicht der Bauernverbände führt die Regierung aber damit ihre eigene Argumentation ad absurdum, die Exportsteuern würden für den Ausgleich des Staatshaushalts benötigt. „Das ist eine Beleidigung für den argentinischen Produzenten und erfordert eine Reaktion“, kommentierte Hugo Luis Biolcati, Präsident des Bauernverbandes Sociedad Rural das Vorhaben von Präsidentin Fernández de Kirchner. Die vier Verbände fordern stattdessen eine Senkung der Ausfuhrsteuern. Sie begründen ihre Position mit dem Sinken der Weltmarktpreise und den Auswirkungen der Dürre. Obwohl mit der Neuverteilung der Steuereinnahmen aus dem Export von Soja die Forderung der AgrarproduzentInnen, mehr Geld in die ländlichen Gebiete zu investieren, scheinbar erfüllt wird, sehen neben den Bauernverbänden auch gemäßigte KommentatorInnen aus der Wissenschaft darin einen politischen Winkelzug, mit dem sich die Regierung die Unterstützung der GouverneurInnen bei der nächsten Wahl sichern wolle.
Die Entscheidung der Präsidentin zur Neuverteilung der Einnahmen aus den Exportsteuern auf Soja torpediert laut Bauernverbänden zudem das laufende Gesetzgebungsverfahren zu den Ausfuhrsteuern im Kongress. „Das gleicht einer Verspottung des republikanischen Systems durch die Regierung“, beklagt sich Biolcati. Bauernverbände als Beschützer der Demokratie, diese Rollenverteilung hat Seltenheitswert in der argentinischen Politik.
Die Regierung verfolgt mit den Ausfuhrsteuern mehrere Ziele: Die Binnenmarktpreise zu senken (siehe LN 408), die Inflation einzudämmen und den Anbau von Weizen und Mais gegenüber Soja und Sonnenblumen attraktiver zu gestalten. Vor allem der vermehrte Anbau des widerstandsfähigen Soja, dessen Rentabilität durch den rasant gestiegenen Weltmarktpreis in den letzten Jahren stark zugenommen hat, wird von der Regierung heftig kritisiert. Die Ausweitung des Sojaanbaus führte laut Regierung zu Produktionsrückgang und zum Preisanstieg anderer wichtiger Grundnahrungsmittel.
Mit niedrigeren Ausfuhrsteuern auf weiterverarbeitete Produkte wird gleichzeitig versucht, die Nahrungsmittelindustrie im Inland zu stärken. Dies entspricht der traditionellen peronistischen Auffassung, materielle Ressourcen aus der Landwirtschaft in die Industrie zu transferieren, da diese als fortschrittlich und der Agrarsektor als rückständig betrachtet wird. Unter der Regierung von Néstor Kirchner wurden mit den Einnahmen aus den Exportsteuern auf Agrarprodukte Subventionsprogramme für die Industrien, die großteils nicht zur Produktionskette der Nahrungsmittel gehören, aufgelegt. Die Geschichte der Ausfuhrsteuern ist auch Ausdruck eines schwachen Staatsapparats, der Schwierigkeiten hat, andere Steuerarten wie die Einkommenssteuer flächendeckend durchzusetzen und zu kontrollieren. Aus diesem Grund sind Exportsteuern in Argentinien seit jeher ein wichtiges Thema und werden es auch bleiben. Der große Anteil der Exportsteuern an den Staatseinnahmen mit 13 Prozent im Jahr 2007 zeigt die politische Brisanz des Themas.
Dass die Regierung die Opposition im Agrarkonflikt zum Feind stilisiert, hatte schon im vergangenen Jahr die vier Bauernverbände zusammengeführt. Damals erklärten sie gemeinsam einen Ausstand, der vier Monate andauerte. Ein solches geschlossenes Vorgehen der verschiedenen Interessenverbände der AgrarproduzentInnen hatte es seit der Regierungszeit von Menem in den 1990er Jahren nicht mehr gegeben.
Die aktuelle Eskalation des Konflikts ist jedoch nicht allein der Regierung anzulasten, denn auch der Diskurs der Bauernverbände ist von massiven und teilweise beleidigenden Angriffen auf die Präsidentin geprägt. Die Ideologien beider Parteien spiegeln sich deutlich in der Rhetorik des Konfliktes wieder: Die Regierung bezeichnet die AgrarproduzentInnen als oligarchisch und wirft ihnen vor, früher die Diktatur unterstützt zu haben. Dahingegen gebärden sich die Bauern als Ernährer der Gesellschaft und als Ursprung der argentinischen Nation.
Wieder also entzündet sich der Streit an den Exportsteuern, die das Einkommen der LandwirtInnen reduzieren. Dabei zeigen Osvaldo Barsky und Mabel Dávila in „La rebelión del campo“ (deutsch: Die Landrevolution) aus dem Jahr 2008, dass die Einkommen der AgrarproduzentInnen während der Regierungszeit von Menem von 1989 bis 1999 durch die Parität von Peso und Dollar relativ zum Weltmarktpreis niedriger ausfielen als dies aktuell der Fall ist. Exportsteuern gab es zu dieser Zeit noch nicht. Offenbar stoßen sich die LandwirtInnen also eher an der Steuer an sich und weniger an ihren vermeintlich zu geringen Einnahmen.
Ganz besonders erhitzt wird nach wie vor die Exportsteuer auf das Hauptausfuhrprodukt Soja debattiert. Im März 2008 brach der Konflikt zwischen Regierung und AgrarproduzentInnen um die Einführung eines neuen progressiven Exportsteuersystems aus, das eine beträchtliche Steuererhöhung und die Kopplung der Steuersätze an den Weltmarktpreis vorsah. Demnach erhöhten sich die prozentualen Steuersätze bei steigendem Weltmarktpreis. Dies widersprach der bisherigen Praxis von festen linearen Ausfuhrsteuersätzen auf den jeweiligen Weltmarktpreis. Damit stiegen die Exportsteuern damals für Soja de facto um etwa neun auf 44,1 Prozent an, während die für Weizen und Mais um circa einen Punkt auf 24,2 beziehungsweise 27,1 Prozent sanken.
Die Bauernverbände bezeichneten diese Veränderung als Angriff auf den Agrarsektor und die Steuersenkungen auf Weizen und Mais als lächerlichen Tropfen auf den heißen Stein. Der darauf folgende viermonatige Bauernstreik hatte die Regierung gezwungen, das bis dahin geltende Dekret dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen (siehe LN 409/410). Die hauchdünne Entscheidung im Senat gegen die progressiven Exportsteuern kippte das neue Ausfuhrsteuersystem (siehe LN 411/412) und beendete den Ausstand der LandwirtInnen, wenn auch nicht die Auseinandersetzung mit der Regierung. Denn ihre Höhe sorgt weiterhin für Konfliktstoff.
BeobachterInnen vermuten ein Andauern des Konflikts. Seine Lösung scheint vielmehr von politischen Veränderungen wie Wahlergebnissen und der fortdauernden Einheit der Bauernverbände abzuhängen als von einer inhaltlichen Lösung des Problems. In der Debatte sind durchaus brauchbare Ansätze zur Beilegung der Auseinandersetzung, wie die institutionelle Stärkung des Landwirtschaftssekretariats innerhalb des Wirtschaftsministeriums oder die Festlegung von Mindestpreisen zu erkennen. Diese Vorschläge finden in der aktuellen festgefahrenen Situation allerdings wenig Gehör. So ist zu vermuten, dass sich die Bilder von Straßenblockaden und Auseinandersetzungen zwischen LandwirtInnen und LKW-FahrerInnen wiederholen werden.
// Markus Rauchecker

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