Mexiko | Nummer 312 - Juni 2000

Fox in Cowboystiefeln

Der Ausgang der diesjährigen Wahlen in Mexiko am 2. Juli ist so ungewiss wie nie zuvor

Die seit 71 Jahren regierende Partei der Institutionalisierten Revolution PRI könnte die Präsidentschaftswahlen verlieren. Aktuellen Umfrageergebnissen zur Folge befinden sich Franscico Labastida von der PRI und Vicente Fox vom „Allianz für den Wechsel“ der Nationalen Aktion PAN und der kleinen Partei der Grünen PEVM in einer Pattsituation. Zum dritten Mal ist Cuauhtemoc Cárdenas Präsidentschaftskandidat von der „Allianz für Mexiko“, zu der seine Partei der Demokratischen Revolution PRD und weitere fünf kleine Parteien gehören. Er liegt mit 15 Prozent weit abgeschlagen auf Platz drei.

Anne Becker

Fast hätte es die zweite Fernsehdebatte der drei aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten am 26. Mai wegen eines Zwistes über die Modalitäten des Treffens gar nicht mehr gegeben. So aufgeheizt ist in Mexiko inzwischen die politische Arena fünf Wochen vor den Wahlen am 2. Juli. Aus 90 Minuten Wahlkampfpolemik, von fünf Fernseh- und 150 Radiosendern live übertragen, ging wie auch schon in der ersten Fernsehdebatte Ende April, der PRI-Kandidat als Verlierer hervor. Auf die Frage, welcher der Kandidaten das beste Bild abgegeben habe, stimmten sogar eine größere Anzahl der telefonisch Befragten für Cárdenas als für Labastida. Deutlicher Sieger war auch dieses Mal Vicente Fox, der auf über vierzig Prozent der Stimmen kommen würde, wären am nächsten Sonntag Wahlen.

Moderner Caudillo

Fox ist auch für seine eigene Partei, die PAN, ein Phänomen. Mit ihrer rechtskonservativen kirchen- und unternehmerfreundlichen Politik bietet sie ihm zwar ein Zuhause, ein Parteimensch ist er aber nicht. Als Gouverneur von Guanajuato fing er an, zielstrebig auf eine Präsidentschaftskandidatur hinzuarbeiten und weiteren potentiellen Anwerbern auf den Posten das Wasser abzugraben. So ist es auch nicht in erster Linie seine Partei, die ihn unterstützt, sondern die „Freunde von Fox“.
Dass eine Bevölkerung, für die die Trennung von Staat und Kirche eine unantastbare Errungenschaft der Revolution darstellt, zu so einem großen Maße eine Partei favorisiert, die das Gegenteil verkörpert, ist erstaunlich aber nicht unerklärlich. Vor allem versteht es Fox, sich zu vermarkten. Nach 16 Jahren Tätigkeit als Chef des Coca-Cola-Konzerns in Mexiko ist er auch heute noch mehr Unternehmer als Politiker. Zu seinem großen und kostenintensiven Stab von Beratern und Publicity-Managern gehört auch der einflussreiche und eher linksliberale Intellektuelle Jorge Castaneda, der 1994 Berater von Cárdenas gewesen ist. Mexiko bekommt eine neue Art der Wahlkampfkampagne zu sehen, die den farblosen Parteifunktioär Labastida und den aufrichtigen Moralisten Cárdenas ziemlich antiquiert erscheinen lassen. Für Fox zählen in erster Linie weder die für Cardenas typische Rundreise von Gemeinde zu Gemeinde noch die traditionellen PRI-Slogans in Form von tonnenweise Farbe an allen Mauern und Häusern.
Für ihn werben kurze und pfiffige Werbespots und Videoclips nach der US-Manier des absoluten Nicht-Slogans. Das „Ya“, das „Jetzt“ von Fox wird der Inbegriff für den Wechsel. Fox ist der typische Caudillo mit einem Hang zum Größenwahn. Am liebsten redet er von sich in der dritten Person: „Nicht die PAN wird regieren, sondern Fox“. Mit Cowboy-Stiefeln und machohafter Charro-Manier macht er zwar weder einen seriösen noch einen intelligenten Eindruck. Doch gelingt es ihm, das Bild eines dominanten Machers zu basteln, der für alle Probleme eine schnelle Lösung weiß. „Der Wechsel bin ich“, erklärt Fox dazu ganz unverblümt. Darüber hinaus waren Äußerungen von Fox zu notieren, dass er den Konflikt in Chiapas in einem 15-minütigen Gespräch mit Marcos lösen würde, und die Miss- und Vetternwirtschaft von 71 Jahren PRI-Herrschaft in 71 Tagen beheben würde. Und er scheute auch nicht vor der Vermessenheit zurück mit der er die Nationalpatronin, die Jungfrau von Guadalupe, zu seinem Wahlkampflogo zu machen und sich in die Kategorie der Freiheitskämpfer nach dem Vorbild Miguel Hidalgos und Nelson Mandelas einzureihen.
Das alles hat ihm vielleicht Gespött eingebracht. Geschadet hat es ihm aber kaum. Auch scheinen seine Äußerungen, Mexiko brauche eine starke Führung, nicht viele zu beunruhigen. Sein opportunistisches Gebaren hat erreicht, was es erreichen sollte. Fox wurde zu einer Projektionsfläche für die verschiedensten Hoffnungen. Auffällig ist, dass auch immer mehr Intellektuelle und „Linke“ für Fox Partei ergreifen. In der Tat ist die Situation gerade auch für PRD-Wähler schwierig. Der “voto util”, die nützliche Stimmabgabe macht in Mexiko die Runde. Es scheint immer mehr Leute zu geben, die, da sie Cardenas keine Chance bei den Präsidentschaftswahlen einräumen, dazu neigen aus strategischen Gründen Fox zu wählen. Auf diese Weise rückt die Möglichkeit, eine weitere Legislaturperiode der PRI zu verhindern in greifbare Nähe. Allerdings unterscheiden sich die Parteien von ihrer inhaltlichen Ausrichtung kaum. Ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik ist quasi identisch. Mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse bedeutet die PAN sogar einen deutlichen Rückschritt. Ob die PAN also wirklich interessiert sein wird, das politische System zu verändern ist mehr als fraglich. In den letzten Jahren haben in wichtigen Entscheidungen die PRI und die PAN immer mit einer Stimme gesprochen. Mit dem maßlos korrupten und kriminellen PRI-Präsidenten Salinas de Gortari (1988-94), der inzwischen in Mexiko zum Schimpfwort geworden ist, hatten weder Labastida noch die PAN Berührungsängste.
Weder die PAN noch Fox können für eine demokratische Öffnung stehen. Die optimistischen Prognosen gehen davon aus, dass allein ein Machtwechsel nach 71 Herrschaft eine Neustrukturierung des politiscshen Geschehens mit sich bringen würde.
Spannend wird am 2. Juli dabei auch sein, wie die Parteien in den Parlamentschaftswahlen abschneiden werden. Hier könnte die PRI zum zweiten Mal die absolute Mehrheit verlieren.
Ob überhaupt eine Partei die absolute Mehrheit erlangen wird ist sehr unklar, die PRD liegt zur Zeit bei 26 Prozent. In diesem Fall könnte das Abschneiden der kleinen Parteien bedeutend werden, die verschiedene Koalitionen denkbar machen würden. Besser sieht die Lage für die PRD in Mexiko-Stadt aus, wo der Bürgermeister neu gewählt wird. Die PRD genießt nach drei Jahren Regierung Wohlwollen bei den BürgerInnen. Die Erfolge des Ex-Bürgermeisters Cárdenas und seiner Nachfolgerin Rosario Robles, – ineffizientes Haushalten und Korruption der Vorgängerregierung zu bekämpfen, die Luft ein wenig zu verbessern und die Kulturpolitik aufzuwerten, – haben die Menschen trotz Diffamierung der Stadtregierung in den Massenmedien registriert.
Das könnte dem PRD-Kandidaten und ehemaligen Parteivorsitzenden Manuel López Obrador gegenüber Jesús Silva Herzog (PRI) und Santiago Crell (PAN) entscheidende Vorteile verschaffen. Zumal López Obrador nachgesagt wird, er sei der richtige Mann dafür, die zerstrittene PRD wieder zusammenzuführen. Seine moralische Integrität und sein sozialdemokratisches Credo verleihen ihm die Anerkennung und Glaubwürdigkeit wie sie Cárdenas genießt. Ein Sieg in der Hauptstadt könnte bei einem schlechten Abschneiden in den Präsidentschaftswahlen für die PRD als Volkspartei überlebenswichtig sein.

Die PRI wird nervöser

Dass ein Oppositionskandidat in den offiziellen Umfragen schon etliche Wochen vor der Wahl auf 35-40 Prozent der Stimmen kommt, hat es in Mexiko noch nicht gegeben. In der PRI sorgt das langsam für Panik. Je schlechter Labastida sich im Meinungsbild darstellt, desto mehr greifen die so genannten Dinosaurier oder Hardliner der Partei durch. Öffentliche Gelder werden weiter zu Wahlkampfzwecken missbraucht und alle Angestellten des Staats- und Parteiapparat aufgefordert, sich für Labastida ins Zeug zu legen. Dabei könnte sich das Stimmenbarometer schon heute zu Gunsten der PRI verschieben, denn die Umfragen erfassen nur die telefonisch erreichbare (und damit meist städtische) Bevölkerung. Auf dem Land wirken sich die teilweise semifeudalen Strukturen und die Abhängigkeit der armen Kleinbauern von den staatlichen Sozialprogrammen positiv für die PRI aus. Dort kann sie noch viele Stimmen mobilisieren. Die Angstmacherei, alles was nicht PRI ist, sei gleichbedeutend mit Chaos und Anarchie, zieht in den oft von der Opposition regierten Städten nur noch geringfügig. Dennoch sind auch diese Angststimmen nicht zu unterschätzen. Die Angst davor, wozu die PRI fähig sein könnte, wenn sie die Wahl verliert, hat der PRI in der Konfliktsituation 1994 sicherlich viele Stimmen eingebracht. Dabei könne man auch Attentate, um ein Klima der Unsicherheit zu produzieren, nicht ausschließen, erklärte der Sicherheitschef von Fox.
Der PRI wird es dieses Mal nicht mehr möglich sein am Wahltag selbst, das Ergebnis zu ihren Gunsten zu korrigieren, wie es noch 1988 bei dem legendären Absturz des Wahlcomputers der Fall gewesen ist. Dafür gibt es inzwischen eine zu aufmerksame Öffentlichkeit und zu viel unabhängige WahlbeobachterInnen. Auch die Wahlbehörde IFE ist seit der Reform von 1996 von der direkten Einflusssphäre der PRI unabhängig. Daher beschränken sich die Möglichkeiten der PRI einzugreifen auf die Zeit vor den Wahlen. Eine Beeinflussung der Stimmabgabe und des Stimmenkaufs im Vorfeld der Wahlen ist wesentlich schwieriger nachzuweisen oder zu verhindern vorzubeugen.
Zunächst sind da die Medien Die größten Fernseh- und Radiosender stehen klar auf Seiten der PRI, Televisión Azteca und Televisa widmen 40 Prozent ihrer Wahlkampfberichterstattung der PRI. Auf dem Land ist die Situation noch dramatischer. In Chiapas sind es 76 Prozent. Die Ausstrahlung eines Aufklärungsspot über Stimmenkauf der Wahlbehörde wurde zwei Monate lang von der nationalen Radio- und Fernsehkammer CIRT verhindert. Es gibt fast in allen Bundesstaaten Beispiele für politisch motivierte Erpressung. So erhielten 300. 000 chiapanekische Frauen, die alle von den staatlichen Armutsbekämpfungsprogrammen der PRI unterstützt werden einen Wahlprospekt von der PRI, indem es heißt, dass ihnen die Sozialhilfe sicher wäre und eventuell auch erhöht würde, wenn Labastida Präsident würde. Laut einer Umfrage von den zu Wahlen und Demokratie arbeitenden Nichtregierungsorganisationen Alianza Cívica und MUND glauben ein Viertel aller Befragten, dass sie keine staatliche Unterstützung mehr bekommen werden, wenn die PRI die Wahlen verliert. Von denen, die eine solche Unterstützung erhalten sind es sogar 50 Prozent. Sieben Millionen Stimmen hängen an Sozialprogrammen.

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