Kolumbien | Nummer 453 - März 2012

Fragwürdiger Fortschritt

Das Stauseeprojekt El Quimbo am Rio Magdalena in Kolumbien zerstört die Lebensgrundlage von Mensch und Umwelt. Doch der Widerstand wird stärker

Im südlichen Departamento Huila soll eines der größten Wasserkraftwerke Kolumbiens entstehen und die Modernisierung des Landes vorantreiben. Doch der Preis des Projekts El Quimbo für Mensch und Umwelt ist hoch. Die Bevölkerung wehrt sich zunehmend gegen die Behörden und das europäische Energieunternehmen ENDESA.

Christian Konrad

Am 14. und 15. Februar ging die Polizei gewaltsam gegen die Bewohner_innen der Gemeinden Paicol und Gigante vor, obwohl deren Proteste friedlich geblieben waren. Nach Ablauf eines Ultimatums zur freiwilligen Räumung vertrieb die Polizei etwa 400 Personen – darunter auch schwangere Frauen und Kinder – mit Tränengasgranaten vom Flussufer. Dabei wurden mehrere Bewohner_innen verletzt, ein Bauer verlor durch das Tränengas sein rechtes Augenlicht. Der Erzbischof der Region, Jaime Tovar, sprach im Anschluss von einem „brutalen Angriff gegen unsere Bauern und unsere Fischer“. Er sei „verwundert, dass in einem Land, das sich demokratisch und rechtsstaatlich nennt, so etwas geschehen kann.“
Über drei Jahre dauert nun schon die Auseinandersetzung um das Projekt für das Wasserkraftwerk El Quimbo, doch mit der Räumung im Februar erreichte sie eine neue Qualität. Im Mai 2009 erteilte die damalige Regierung unter Álvaro Uribe Vélez dem Energieunternehmen EMGESA die Konzession zur Errichtung eines Wasserkraftwerkes am Oberlauf des Rio Magdalena, Kolumbiens längstem und bedeutendstem Fluss.
EMGESA ist ein Tochterunternehmen des privaten spanisch-italienischen Energiekonsortiums ENDESA. Die Firma mit Sitz in Madrid ist der größte private Energieversorger Lateinamerikas. Wird das Projekt umgesetzt, wird El Quimbo das erste private Wasserkraftwerk in Kolumbien. Das Land deckt dank seiner vielen Flüsse rund zwei Drittel der Energieversorgung mit Wasserkraft. Das 900 Millionen Dollar schwere Megaprojekt soll bis 2014 fertig gestellt werden und von da an für einen Zeitraum von 20 Jahren Energie liefern. Ein Teil des produzierten Stroms soll außerdem nach Ecuador, Zentralamerika und in die Karibik exportiert werden.
Doch der Preis für den Eingriff in die Umwelt ist hoch: Durch die Stauung des Magdalena-Flusses wird eine Fläche von 8.500 Hektar vollständig geflutet. Etwa 2.000 Personen müssen deswegen ihre Häuser verlassen, tausende weitere werden ihrer Lebensgrundlage beraubt. Viele von ihnen leben vom Fischfang und vom Ackerbau. Über 5.000 Hektar des Gebietes sind fruchtbares Kulturland, auf dem mehrere genossenschaftlich wirtschaftende Betriebe Nahrungsmittel im Wert von dreizehn Millionen Euro jährlich produzieren. Zudem ist schwer einzuschätzen, wie stark das artenreiche Ökosystem in Mitleidenschaft gezogen wird. Die auch als Macizo Colombiano bekannte Region ist das mit Abstand bedeutendste Wasserreservoir des Landes: Die größten Flüsse wie der Rio Cauca, der Rio Putumayo, der Rio Caquéta und eben der Rio Magdalena haben hier ihren Ursprung. Die Umgebung um El Quimbo ist zudem reich an archäologischen Ausgrabungsstätten präkolumbischer Kulturen. Auch wenn verschiedene Artefakte während der Arbeiten sichergestellt werden konnten, würden die Wassermassen dutzende weiterer Ausgrabungsstätten unter sich begraben.
Dass die Konzessionen für das Projekt 2009 dennoch vergeben werden konnten, ist nicht zuletzt auf die Unterstützung des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez und die zuständigen Ministerien zurückzuführen. Nach Angaben des Universitätsprofessors und Wortführers des Protests gegen El Quimbo, Miller Dussán, hat der Präsident das Instituto Nacional de Antropología e Historia beispielsweise dazu gedrängt, die Überflutung der Ausgrabungsstätten ohne weitere wissenschaftliche Untersuchungen für unbedenklich zu erklären. Sehr fragwürdig ist auch die Zustimmung des Umweltministeriums, welches dasselbe Projekt noch 1997 unter Verweis auf die ökologischen Schäden und die Vernichtung des ertragreichen Ackerlandes untersagt hatte. EMGESA verpflichtet sich zwar in dem Vertrag zu kompensatorischen Maßnahmen: Neben der Umsiedlung der Bewohner_innen, Entschädigung für Häuser und Ländereien und einer vermeintlichen Einkommenssicherheit verspricht das Unternehmen die Aufforstung von 7.500 Hektar Wald in einem Naturschutzgebiet. Zynisch klingt dagegen der Vorschlag, den Stausee mit Häfen und einer Fähre zu versehen, um das touristische Potenzial der Region nach dessen Fertigstellung zu erschließen. EMGESA kauft daher Land in großen Stil auf. Über 7.000 Hektar Ländereien sollen bereits in den Besitz der Firma übergegangen sein. Da das Gebiet von der Regierung kurzerhand als gemeinwohlrelevant deklariert wurde, können sich die Bewohner_innen gegen den Aufkauf ihrer Ländereien kaum legal zur Wehr setzen.
Rechtmäßig ist der bisherige Verlauf der Projektumsetzung nicht. EMGESA zeigte von Beginn an, dass man es mit den rechtlichen Vorgaben nicht sehr genau nimmt. So begann die Firma beispielsweise mit den Bauarbeiten bevor alle Auflagen erfüllt waren. Auch während der Arbeiten kam es zu Ungereimtheiten. In einer Anhörung des Senatsausschusses brachte es der Senator des linksalternativen demokratischen Pols, Jorge Robledo, mit der Aussage auf den Punkt, dass „die Lage bei El Quimbo unsere Befürchtungen sogar noch übertroffen hat“. Eine Untersuchung der Umweltorganisation International Rivers belegt die „Nichtbeachtung von Umweltstandards und rechtlichen Verfahren“ durch EMGESA. Das Unternehmen hingegen verweist unermüdlich auf die Unterstützung durch das Umweltministerium.
Die betroffene Bevölkerung hatte früh durchschaut, was mit El Quimbo auf sie und ihre Region zukommen würde. Weit mussten sie nicht gehen, um ein vergleichbares Negativbeispiel zu finden: Nur wenige Flusskilometer stromabwärts befindet sich ein weiteres Wasserkraftwerk am 70 Quadratkilometer großen Stausee Betania. Dieses Großprojekt hat nach der Meinung von Erzbischof Jaime Tovar „unsere Region vernichtet“. Die Furcht, dass sich so etwas wiederholen könnte, hatten sicher auch die Gründer_innen der Gegeninitiative Asoquimbo vor Augen. Nachdem sie 2007 den ersten Dialogveranstaltungen von EMGESA mit den Bewohner_innen der Region beiwohnten und die angebotene Partizipation als Farce entlarvten, begannen sie sich zu organisieren. 2009 folgten Proteste in der Department-Hauptstadt Neiva, im Januar dieses Jahres die Blockade einer Überlandstraße. Dadurch erwirkten die Demonstrant_innen für kurze Zeit eine Dialogbereitschaft des Umweltministeriums. Doch aus dem Dialog folgte wenig. So blieb den Bewohner_innen nichts, als ihren Protests fortzuführen.
Asoquimbo hat bereits zwei Grundrechtsklagen gegen das Infrastrukturprojekt eingelegt. In ihrer Argumentation stützen sie sich auf einen Gesetzesartikel aus dem Jahre 2008, nach dem die Flussufer zu öffentlichem Gut deklariert wurden und damit als unveräußerbar gelten. Doch aufgrund der massiven Unterstützung der Regierung für El Quimbo ist die Aussicht auf Erfolg des Widerstands eher gering, zumal die Bauarbeiten bereits angelaufen sind. Völlig wirkungslos waren die Proteste dennoch nicht: Immerhin musste die Umleitung des Rio Magdalena deswegen um 20 Tage verschoben werden und soll nun am 6. März erfolgen.
Die Protestierenden legen zudem einen Alternative vor: „Kleinbäuerliche Nahrungs- und Landwirtschaftsreserve“ nennen sie ihr Konzept. Es handelt sich um einen eigenständigen Entwicklungsplan für die Region, der unter Einbeziehung der Bewohner_innen und unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse eine schonende, ökologisch-soziale Entwicklung favorisiert. Doch die Zeichen in Bogotá und anderswo deuten in eine andere Richtung. Schließlich erklärte Präsident Santos den Minen- und Energiesektor zur „Lokomotive“ der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Ausländischen Unternehmen sollen gute Rahmenbedingungen geboten werden, damit Investitionen in Kolumbien attraktiver werden. Während andere Länder des Kontinents dazu übergehen, den extraktiven Unternehmen einen größeren Anteil ihrer Gewinne zu entlocken, beschreitet Kolumbien den umgekehrten Weg: Nach Angaben des Senators Robledo sind die Abgaben der Unternehmen auf geförderte Rohstoffe zwischen 2002 und 2011 von 20 auf 13,69 Prozent gesunken. Diese Tendenzen entsprechen den Entwicklungs-Leitlinien der Eliten des Landes. Wirtschaftswachstum und Investitionssicherheit sind deren zentrale Interessen. Angesichts der Tatsache, dass die Mordrate von Gewerkschafter_innen in Kolumbien zu den höchsten weltweit zählt, erscheint eine Forderung nach besseren wirtschaftlichen Investitionsbedingungen grotesk.
Die Region um den Macizo Colombiano gerät dabei zunehmend ins Blickfeld. Neben ihrer Rolle als nationale Wasserscheide sind dort auch erhebliche Gold- und Kohlevorkommen zu finden, welche die Aufmerksamkeit der multinationalen Firmen auf sich ziehen. Der Rio Magdalena soll auch jenseits von El Quimbo seiner ursprünglichen Bedeutung als wirtschaftliche Hauptschlagader Kolumbiens wieder angenähert werden: 2010 unterzeichnete die kolumbianische Regierung ein Abkommen mit der Firma Hydrochina über sechs Millionen Dollar, deren Löwenanteil die chinesische Regierung finanziert. Hydrochina soll in den folgenden Jahren den „Masterplan zur Nutzung des Rio Magdalena“ ausarbeiten und das Potenzial des Flusses hinsichtlich Schiffbarkeit, Ackerbau, Fischzucht und Energiegewinnung untersuchen. Weitere Proteste sind vorprogrammiert.
Europa indes scheint blind für die regionalen Verwerfungen in Kolumbien. Am 12. April 2011 stellte der spanische Europaparlaments-Abgeordnete Raül Romeva i Rueda eine schriftliche Anfrage zu El Quimbo. Er wies darin auf die ökologischen und sozialen Folgen sowie auf den Widerstand gegen das Wasserkraftwerk hin und bat die Europäische Kommission um eine Stellungnahme. In ihrer Antwort erklärte diese, dass sie über das Projekt, welches im Einklang mit der kolumbianischen Gesetzgebung stehe, informiert sei. Die entsprechende Genehmigung sei nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt und es seien kompensatorische Maßnahmen seitens EMGESA vorgesehen. Weiter ist zu lesen, dass die Kommission auch um den Widerstand der Bewohner_innen gegen das Projekt weiß. Sie plädiere daher abschließend für ein Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung, den Umwelteinwirkungen und den sozialen Folgekosten von El Quimbo. Die Waage hat sich indessen eindeutig zugunsten des wirtschaftlichen Fortschritts geneigt. Von einem Gleichgewicht kann in Wirklichkeit keine Rede sein.

Unterschriften gegen das Stauseeprojekt El Quimbo können online abgegeben werden unter: http://www.regenwald.org/aktion/849?mt=1303

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