Nummer 313/314 - Juli/August 2000 | Venezuela

Francisco Arias und der Hahn

Konkurrenz gegen Chávez aufgetaucht

Die Kritik an Venezuelas Präsident Hugo Chávez wird immer lauter. Machtgier wird ihm vorgeworfen, aber auch sein Wahlversprechen, die Armut zu beseitigen, hat Chávez nicht einmal in Ansätzen einlösen können. Nun ist ihm ein Gegenkandidat erwachsen: Francisco Javier Arias Cárdenas. Wird es ihm bei den anstehenden Wahlen gelingen, Chávez einen Strich durch die Rechnung zu machen?

Sebastian Sedlmayr

Francisco Javier Arias Cárdenas
heißt der einzige Mann, der die Wiederwahl des amtierenden venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez auf demokratischem Wege verhindern kann. Seit dem 10. März hastet der Gouverneur des Bundesstaates Zulia durch Land und Medien, immer ernst, immer um rationale Argumente bemüht. Selbst Auslandsreisen hat Arias unternommen, warb in den USA und Kolumbien für seine Vorstellungen einer „wahren demokratischen Revolution“ und schürte Misstrauen gegen seinen Kontrahenten Chávez, den er als despotisch kritisiert: „Die Situation hier ist schlimmer als in Peru“, sagte der 49-jährige Ex-Militär Arias mit Blick auf die Machtakkumulation bei Präsident Chávez und die verschobenen Wahlen. Der Präsidentschaftskandidat glaubt, dass es ein ähnliches Fiasko wie in Peru gegeben hätte, wären die für 28. Mai vorgesehenen „Megawahlen“ nicht verlegt worden. Nach der offiziellen Darstellung waren fehlerhafte Computerprogramme ausschlaggebend, die zur Stimmauszählung dienen. Einer der mit der Wartung beauftragten Firmen wurde gekündigt. Wie jedoch die Wochenzeitung El Razón berichtete, ließen wenige Tage nach der Aussetzung des Wahltermins Mitarbeiter des Wahlrates (CNE) Dokumente verschwinden. Die Zeitung vermutet, dass Spuren einer beabsichtigten Wahlfälschung verwischt werden sollten. Diese Bezichtigung will der moderate Arias nicht teilen, bis Beweise auf dem Tisch liegen. Dazu verlangt er einen Untersuchungsausschuss.
Bis die Gründe für den Stopp der Wahlen bekannt werden, kann Arias sich weiter um die Erringung des angepeilten Sieges über seinen Kontrahenten Chávez bemühen. Nach wochenlangem Tauziehen um den Termin gab die Comisión Legislativa Nacional (CLN) Ende Juni bekannt, dass in zwei Runden abgestimmt werden soll. 36.000 KandidatInnen stellen sich für 6241 Ämter zur Wahl. Am 30. Juli werden Präsident, Nationalversammlung, die regionalen Parlamente, die Stadträte sowie das Parlamento Andino und das Parlamento Latinoamericano gewählt. Am 1. Oktober folgen die Gemeinde- und Kirchenräte.
Nötig sind die Megawahlen, weil die im vergangenen Dezember verabschiedete neue Verfassung Venezuelas die Neuwahl sämtlicher öffentlicher Funktionsträger vorsieht. Trotz der größten Naturkatastrophe der jüngeren Geschichte des Landes, den Überschwemmungen weiter Teile der Küstenregion im vorigen Dezember, hatte Chávez mit Hilfe willfähriger Genossen im Verfassungsrat diesen zweiten Schritt seiner „Revolution“ vollzogen. Um seine Vision von der völligen Umwälzung der politischen Landschaft Venezuelas zu vollenden, fehlt dem Ex-Putschisten, dem seit Monaten schwere Vergehen gegen Pressefreiheit und Rechtstaatlichkeit vorgeworfen werden, nun noch der Gewinn der anstehenden Präsidentschaftswahlen. Für sechs weitere Jahre lägen die Geschicke Venezuelas dann in den Händen des Mannes mit dem roten Barett und der markigen Rhetorik. Mit der neuen Verfassung sind die Rechte des Staats- und Regierungschefs stark erweitert worden.

Arias’ Wahlkampf:
solide langweilig
Nur ein Mann schickt sich ernsthaft an, Chávez einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ausgerechnet einer der drei Mitstreiter beim Putschversuch von 1992 tritt am 30. Juli an, die Demokratie zu retten. Das jedenfalls hat sich Francisco Arias auf die Fahnen geschrieben. Der Vater zweier Kinder und Mann einer Ökonomin setzt auf Besonnenheit und Sicherheit. Dem Image eines Langweilers, der nicht mit dem Herzen bei der Sache sei und seine Kampagne kalt und berechnend durchzieht, will Arias sich scheinbar gar nicht entziehen. „Solide“ soll sein Wahlkampf sein, „kohärent“ das Programm, so Arias im Interview mit El Universal. Bei so viel kühlem Konservativismus ist fraglich, wie die Massen in den Armenvierteln auf Arias aufmerksam werden sollen. Dort regiert nach wie vor die populistische Passion des Hugo Chávez, der seine Unterstützer vom Movimiento V. República (MVR) mit Fresspaketen in die Slums von San Cristóbal – Arias’ Geburtsort – oder Prolamar schickt, Wahlen zu „Schlachten“ umlobt und JournalistInnen mit Blumensträußen versöhnen will, nachdem er die Pressefreiheit mit neuen Telekommunikationsgesetzen gravierend beschnitten hat.
Arias kann zwar mit einem Wahlprogramm aufwarten, das den ausländischen Investoren weit mehr behagen dürfte als die planwirtschaftlichen Maßnahmen Chávez’. Doch die „Schlacht“ wird in der armen Bevölkerung gewonnen, der 80 Prozent der VenezolanerInnen angehören. Und dort sind die Sympathien für einen Klassenkampf, eine von Chávez angekündigte „radikale Umverteilung“ weit größer als für die um Konsens bemühte Politik von Arias.
Deshalb war auch die Aufregung bei Arias groß, als der neue Termin für die Wahlen bekannt wurde. Am 30. Juli sind alle Städter, die es sich irgendwie leisten können, in den Strandreservaten an der Küste und genießen ihre Ferien. Der für Arias so wichtige Mittelstand müsste schon auf zwei Wochen Urlaub verzichten, wollte er die Wahl mit seiner Stimme beeinflussen. Eine „kategorische Aufforderung zur Enthaltung“ nannte der Herausforderer die Entscheidung des Wahlkomitees.
Nur wenn Chávez die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlt, bleibt Arias eine Chance. Dann könnte er vielleicht die AnhängerInnen der anderen KandidatInnen hinter sich bringen und den amtierenden Präsidenten schlagen. Doch die Chancen stehen schlecht. Mitte Juni führte Chávez, laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Opinión Research de Venezuela, mit 56,9 zu 34,6 Prozent. Die erste Notierung, eine Woche nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur, sah Arias bei 20 Prozent. Die Tendenz weist also nach oben, aber der Abstand von zwölf Prozent scheint schwer aufholbar. Der sonst so korrekte Wunschkandidat der oberen Schicht behilft sich mit taktischen Tricks, um seine Siegchancen zu mehren: Nach einer „europäischen Quelle“, die der Gouverneur von Zulia nicht näher spezifizierte, habe er einen Vorsprung von vier Prozent, gab Arias vergangenen Monat gegenüber Journalisten an.
Doch den Wahrscheinlichkeitsgrad dieser Prognose hält er wohl selbst für minimal und verweist auf den wichtigsten Grund für seinen Rückstand: die ungleichen Möglichkeiten im Wahlkampf. Seit dem 25. Mai, als die Wahlen verschoben wurden, darf keine offizelle Kampagne mehr stattfinden. Die Regierung nutzt dennoch ihre Informationskanäle und weist mit Spots in den staatlichen Rundfunksendern und Beilagen in Zeitungen auf ihre politischen Errungenschaften hin. Finanziert wird die wenig kaschierte Wahlwerbung aus Steuermitteln. Währenddessen treten die Gegenkandidaten in den Hintergrund, behelfen sich mit Interviews und möglichst medienträchtiger Kritik an der Regierung, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Fresspakete und
Kapitalflucht
Arias schießt sich ein auf die Frage, warum die Megawahlen verschoben werden mussten, rechnet die Kosten für die in zwei Phasen geteilte anstehende Wahl aus und wird nicht müde, den amtierenden Präsidenten als undemokratisch und machtgierig zu bezeichnen. Dabei liegen die wunden Punkte von Chávez auf der Hand. Für den armen Teil der Bevölkerung hat sich in 18 Monaten Chávez-Regierung nichts verbessert. Die paar verteilten Fresspakete können kaum über das Scheitern eines als revolutionär versprochenen Umverteilungsprogramms hinwegtäuschen. Nachdem allein im ersten Trimester dieses Jahres mehr als eine Milliarde US-Dollar außer Landes geschafft wurde und etwa im selben Zeitraum die ausländischen Investitionen um ein Viertel zurückgingen, bleibt für den großen Umverteilungsakt auch immer weniger übrig. Aus dem boomenden Ölsektor müssten Unmengen von US-Dollars in die Staatskasse geflossen sein, nachdem die Privatisierung eines der größten Petroleumkonzerne der Welt, der PdvSA, nicht vollzogen wurde, sondern in alter venezolanischer Manier Gelder aus dem Öl-Geschäft zur Haushaltssanierung verwendet werden. Nicht nur Arias fragt sich, wo das Geld geblieben sein mag.
Doch der zurückhaltende Herausforderer scheut sich noch vor der heftigen Konfrontation mit seinem Ex-Kameraden. Nicht einmal anti-chavistisch will er sich nennen, obwohl ihn fünf Splittergruppen des ehemals cháveztreuen Blocks unterstützen. Wie die beiden anderen Militärs, die außer Arias und Chávez am Putschversuch von 1992 beteiligt waren, haben sich auch große Teile derjenigen Bewegung von ihrem Führer losgesagt, die Chávez noch 1998 zur Macht verholfen hatten. Selbst der Polo Patriótico, noch vor einem Jahr stärkster politischer Rückhalt des Comandante, distanzierte sich und opponiert gegen die Machtkonzentration im Präsidentenpalast. Als parteiartige Gruppierung bleibt nur die MVR.
Ganz einsam ist es um den Präsidenten dennoch nicht geworden. Er hat innerhalb kürzester Zeit ein Netz aus Abhängigkeiten gesponnen, das ihm Macht über die wichtigsten Medien und Militärsektoren gewährt. Ob das Netz den gewichtigen Mann aus der Armenschicht noch lange aushält, ist allerdings ungewiss. Gerüchte um einen möglichen Putschversuch mehrten sich Ende Juni, als Chávez mit der Frente Institucional Militar (FMI) zusammenstieß. Die FMI wies empört einen Bericht des Staatssenders Globovisión zurück, wonach ein hoher Militär in einem Gespräch mit Chávez die Bildung einer Junta Patriótica Venezolana verlautbart haben soll. Die Junta soll seit sechs Monaten einen Putsch planen.
Francisco Arias will das Militär völlig aus der Politik heraus halten. „Das zivile Leben müssen wir Zivilisten regeln“, sagt der Mann mit 26 Jahren militärischer Vergangenheit. Die Frage, ob ihm der Spagat zwischen wirtschaftlicher Konsolidierung, Wohlfahrtssteigerung bei den Armen und In- Schach-Halten des Militärs gelingt, wird sich dem farblosen Arias wohl gar nicht stellen. Denn zuerst müsste er die WählerInnen überzeugen. Mit Wahlkampf-Ideen wie dem berühmten „Hahn“ wird er das Rennen kaum machen. In dem Werbespot repräsentiert das Tier auf einer Hühnerleiter Chávez. Arias steht daneben und kristisierte die Weigerung seines Gegenkandidaten, sich im Fernsehen mit ihm zu messen. Eine Familie aus den Slums von Caracas würde wohl einen Hahn dem ätherischen Anzugträger Arias vorziehen. Den kann man wenigstens essen.
Sebastian Sedlmayr

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren