Nachruf | Nummer 425 - November 2009

„Frau des verwundeten AmerikaS“

Mercedes Sosa ist im Alter von 74 Jahren gestorben

Jannes Bojert

„Heute müssen wir Ihnen mitteilen, dass Señora Mercedes Sosa, die größte Künstlerin der lateinamerikanischen Folklore, uns verlassen hat.“ Mit diesen Worten trat die Familie von Haydé Mercedes Sosa am 4. Oktober an die Öffentlichkeit. In Nachrufen werden Superlative oft leichtfertig gebraucht. Die kleine und kompakte argentinische Sängerin mit der dunklen, voluminösen Stimme als „die Größte“ zu bezeichnen, ist jedoch nichts weiter als eine Feststellung. Zumindest wenn man damit auf ihren musikalischen Erfolg und ihren Weltruhm anspielt. Am 4. Oktober starb die Sängerin in einem Sanatorium in Buenos Aires, in das sie zwei Wochen zuvor wegen Leberproblemen gekommen war, an Herzversagen. Die argentinische Präsidentin Christina Fernández de Kirchner reiste sofort in die Hauptstadt und ordnete drei Tage Staatstrauer an. In allen Fußballstadien und öffentlichen Versammlungen wurden Schweigeminuten eingelegt und weltweit würdigten Zeitungen Werk und Wirken der Künstlerin.
Nach ihrem Tod bezeichnete sie eine Freundin wegen ihres Engagements gegen Unterdrückung und Entrechtung als „Frau des verwundeten Amerika“. Wer an so etwas glaubt, wird es daher für ein Zeichen der Vorsehung halten, dass Mercedes Sosa im Jahr 1935 am 9. Juli in Tucumán zur Welt kam – am Tag der Unabhängigkeit Argentiniens und am Ort ihrer Ausrufung. Ihre Gesangskarriere begann jedoch ganz unpolitisch, als sie mit 15 Jahren den Gesangswettbewerb eines lokalen Radiosenders gewann. Weitere 15 Jahre später schaffte sie den Durchbruch mit ihrem ersten Album Canciones con fundamento. Schon zwei Jahre später folgte die erste Welttournee.
Mit dem Nueva Canción (auch Nuevo Cancionero) kam zu dieser Zeit eine grenzübergreifende Bewegung auf, die aus der traditionell eher unpolitischen Folkloremusik eine Art kulturellen Arm des politischen Protests machte. Als Anhängerin dieser Bewegung wurde sie den Offiziellen in ihrem Heimatland schon bald zu unbequem. Ende der 1960 Jahre wurden ihre Lieder aus dem Radioprogramm verbannt. Nach dem Militärputsch 1976 bekam sie Auftrittsverbot. Sie hielt sich nicht daran und wurde samt Publikum verhaftet. Einfach verschwinden lassen konnte man sie offenbar nicht, dazu war sie zu bekannt. Nach ihrer Freilassung ging sie 1979 ins Exil nach Paris und Madrid. Sie kehrte jedoch zurück bevor die Militärs in Buenos Aires wieder abgedankt hatten und stieg sofort wieder auf die Bühne.
Sie sei geboren, um zu singen, soll Mercedes Sosa von sich gesagt haben. Dieser Berufung konsequent folgend, schrieb sie kaum ein Stück selbst. Sie zog es vor, zu singen, was andere komponiert hatten, teilweise eigens für sie. Und meist waren ihre Versionen weit erfolgreicher. Ihr Gracias a la Vida ist bis heute um ein Vielfaches bekannter als das Original von Violetta Parra. Und auch Alfonsina y el mar, die melancholische Hommage an die Dichterin Alfonsina Storni, wurde erst durch die Interpretation von Mercedes Sosa weltberühmt. So brachte es „La Negra“ (die Schwarze), wie die Sängerin wegen ihrer dunklen Stimme, ihrer dunklen Haare oder auch ihrer indigenen Wurzeln genannt wurde, auf über 40 Alben. Ihr letztes, auf dem sie unter anderem mit Fito Paez, Charly Garcia und Shakira singt, erschien erst vor wenigen Monaten. Der Titel Cantora (Sängerin) klingt fast so, als solle er eine Überschrift für ihre Lebensgeschichte sein, die nun zu Ende gegangen ist.

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