Friedensschluß in Guatemala
Es geht nun um wirklichen Frieden für alle
Der Wind hat sich gedreht. Als Anfang Dezember 1996 das deutsche Projekt zur Begleitung der Rückkehr der guatemaltekischen Flüchtlinge CAREA und die Informationsstelle Guatemala wieder einmal hiesige Abgeordnete um ihre Unterschrift baten, um in einer bezahlten Presseanzeige vor der Regierung in Guatemala gegen die drohende Entkräftung des Rückkehrvertrages mit den Flüchtlingen zu protestieren, war die Resonanz bei einigen bewährten AnsprechpartnerInnen verhalten: Jetzt müsse das Protestieren doch mal ein Ende haben, schließlich stehe man kurz vor dem Friedensschluß…
Auch das deutsche Fernsehpublikum war am 29. Dezember 1996 Zeuge der Feierlichkeiten zur Unterzeichnung des “Abkommens über einen festen und dauerhaften Frieden” in Guatemala-Stadt, das den seit 36 Jahren andauernden Konflikt beendet. Zutiefst bewegende und optimistisch stimmende Bilder: Die vier Kommandanten der Guerilla Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) werden von Basisorganisationen und Guerilla-Einheiten am Flughafen empfangen, ein langer Marsch im Gedenken an die über 150.000 Opfer führt zum Friedhof der Hauptstadt; Treffen, Umarmungen und Freude über das Wiedersehen. Verbrüderung auch zwischen der Guerilla und hochrangigen Militärs, und schließlich der letzte große Auftritt Boutros Boutros Ghalis, der den Friedensvertrag vor zirka 1000 geladenen Gästen unterzeichnete. Etwa 1,7 Millionen US-Dollar ließ sich die Regierung die Feierlichkeiten kosten, etwas mehr als ein Viertel der Summe, die sie für 1997 zum Erwerb von dringend benötigtem Land für mehrere zehntausend Rückkehrer, Landlose und intern Vertriebene vorsieht.
“Der Frieden muß durch eine partizipative sozioökonomische Entwicklung untermauert werden, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist”, heißt es in Punkt sechs des Friedensabkommens. Entwicklung erfordere soziale Gerechtigkeit sowie nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Ehrenwerte Ziele: Landesweit gelten gegenwärtig 75,5 Prozent der Haushalte als arm bis extrem arm, im ländlichen Raum bis zu 94 Prozent. Guatemala weist immer noch eine der ungerechtesten Landverteilungen Lateinamerikas auf, der Mindestlohn in der Landwirtschaft liegt heute mit knapp 3 US-Dollar pro Tag unter dem von 1980. Auch das ebenfalls am 29. Dezember unterzeichnete Abkommen zum Zeitplan der Umsetzung der Friedensvereinbarungen schweigt sich über konkrete Mechanismen aus, “sozialen Gerechtigkeit” erreicht werden soll. Es betont lediglich die Notwendigkeit, jegliche Vorhaben “mit Vorsicht und Realitätssinn” anzugehen. Nicht nur Celso Cuxil zweifelt daher als Vertreter der Widerstandsdörfer (CPR) am Durchsetzungswillen der Regierung: “Schon jetzt kämpfen wir mit der Regierung um die Einhaltung des Abkommens über die vom Konflikt entwurzelte Bevölkerung. Wer garantiert uns, daß sie die anderen Abmachungen einhält?” Unterdessen wurden in den ersten Wochen dieses Jahres erneut eine gewalttätige Räumung sowie zwei Morde an Bauern bekannt, die sich für die Wiedererlangung von widerrechtlich enteignetem Land einsetzten.
Amnestie: Die Verbrechen bleiben ungestraft
Aber nicht nur die wirtschaftlichen Sorgen trüben bei der großen Mehrheit der Bevölkerung die allgemeine Erleichterung über das Kriegsende. Seit Präsident Arzús Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) und die Ultrarechten von Ríos Montts Republikanischer Front Guatemalas (FRG) Mitte Dezember in nur zwei Tagen das “Gesetz zur Nationalen Versöhnung” durch den Kongreß peitschten, wurde auch die Hoffnung auf ein Ende der im Land herrschenden Straflosigkeit geschmälert. Die Verantwortlichen für die politischen Morde, die Massaker, Vertreibungen und weiteren schweren Menschenrechtsverletzungen in den letzten 36 Jahren bleiben vermutlich unbehelligt.
Das Gesetz war in erster Linie notwendig geworden, um rechtzeitig zur Friedensunterzeichnung die Voraussetzungen für eine Amnestie der Guerilla zu schaffen. Das Abkommen zur Wiedereingliederung der URNG-KämpferInnen bildet dafür die Grundlage. Nun sieht das Gesetz aber vor, daß auch für den Staat, das Militär und deren Helfershelfer bei Delikten jeglicher Art, die aus politischen Motiven begangen wurden, eine Amnestie gelten soll. Zwar sollen die Tatbestände Genozid, Folter und gewaltsames Verschwindenlassen sowie – gemäß dem internationalen “Vertrag über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit” – auch Massaker und außergerichtliche Hinrichtungen von der Amnestie ausgenommen werden. Internationale Verträge aber sollen laut Gesetzestext nur dann zur Anwendung kommen, wenn sie bereits ratifiziert sind, und das ist bei dem genannten Vertrag nicht der Fall. Anwaltskreise sind sich daher einig, daß das in sich völlig unschlüssige Gesetz kaum eine rechtliche Grundlage zur effektiven strafrechtlichen Verfolgung der Täter bietet.
Diese Regelung wirft einen dunklen Schatten auf die Zukunft und spottet der jahrelangen Arbeit verschiedenster Menschenrechtsgruppen. Seit 1990 versucht beispielsweise Helen Mack gerichtlich gegen zwei Armeegeneräle als Drahtzieher des Mordes an ihrer Schwester, der Anthropologin Myrna Mack, vorzugehen. Sämtliche Bemühungen wurden bislang mit dem Argument abgewiesen, es habe sich um ein allgemeines Verbrechen gehandelt, der Täter säße bereits in Haft. Nun reichte der Anwalt der Generäle einen Amnestieantrag ein. Begründung: Da die Klägerin darauf bestehe, der Mord sei aus politischen Motiven begangen worden, müßte nach dem neuen Gesetz der Mörder straffrei ausgehen. Daher beantrage er auch Amnestie für den bereits verhafteten Täter. Der Bock wird zum Gärtner. Der zuständige Staatsanwalt erklärt, die Amnestieregelung fände auf den Fall Myrna Mack keine Anwendung, da diese nachgewiesenermaßen nicht der Guerilla angehörte. Anfang Januar legte die 1996 als breites Menschenrechtsbündnis gegründete “Allianz gegen Straffreiheit” Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein. Der Oberste Gerichtshof allerdings entschied bereits, daß die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat. Fieberhaft beantragen seitdem die Militärs noch vor einem Entscheid über die Verfassungsmäßigkeit ihre Amnestie. Nicht nur Menschenrechtsprokurator Languardia beklagt daher, daß die getroffene Regelung zwar die begrüßenswerte Eingliederung der Guerilla erleichtere, in ihrer unklaren Formulierung aber einen schweren Rückschlag für den Kampf gegen die Straflosigkeit in Staat und Militär bedeute.
Wer kontrolliert die Umsetzung?
Ist dies ein erster Vorgeschmack darauf, wie die ausgehandelten Vereinbarungen in Gesetzesform gegossen werden? Denn auch die anderen aus den Abkommen hervorgehenden Verfassungsänderungen und Vorhaben sollen nicht etwa in einer Verfassungsgebenden Versammlung, sondern noch innerhalb der Regierungszeit von Präsident Arzú verabschiedet werden. Die PAN hat 1995 bei einer Wahlbeteiligung von nur 35 Prozent über die Hälfte der Parlamentssitze erhalten. Als interne Kontrollinstanz soll zwar ein Ausschuß geschaffen werden, in dem Regierung und Guerilla paritätisch neben vier noch zu ernennenden “Vertretern der Zivilgesellschaft” und einer internationalen BeobachterIn sitzen werden. Schon in seiner Rede am 29. Dezember machte Arzú jedoch deutlich, daß der Beitrag der friedenswilligen Kräfte aus Unternehmertum und Militär überaus überraschend und begrüßenswert sei. Vom Präsidenten ist also in dieser Richtung wohl nicht viel Druck zu erwarten.
Während Arzú nach Friedensabschluß die Ankunft des internationalen Kapitals erwartet, verkündet die URNG, die spätestens mit dem Bekanntwerden der Verwicklung eines ihrer Ex-Kommandos in einen Entführungsfall in den Verhandlungen deutlich an Kraft verloren hatte, eifrig die Gründung einer einheitlichen, breiten Massenpartei. Im Vordergrund steht für sie jedoch vorerst die Wiedereingliederung ihrer etwa 3500 KämpferInnen. Eigentlich sollten seit dem 15. Januar 155 militärische BeobachterInnen der UNO die Konzentration und Entwaffnung der verschiedenen Fronten begleiten. In zwei weiteren Phasen ist vorgesehen, die Sicherung der Lebensgrundlagen und die berufliche Wiedereingliederung der Ex-Guerilleros zu regeln. Dem lag zwischenzeitlich ein Stein im Wege, da Arzú ausgerechnet dem taiwanesischen Außenminister John Chang bei der Friedensunterzeichnung einen internationalen Rang zugestanden hat. Verärgert legte daraufhin China im UNO-Sicherheitsrat sein Veto gegen die Entsendung von UNO-BeobachterInnen ein. Taiwan jedoch ist nicht nur wichtiger Handelspartner und Investor, die guten Beziehungen zu Guatemala gründen auf der langjährigen militärischen Zusammenarbeit bei der Aufstandsbekämpfung. Zuletzt zeigte sich China wieder dialogwillig, Menschenrechtskreise in Guatemala vermuten aber, daß es sich bei der diplomatischen Klüngelei um einen vom Militär geforderten Versuch handelte, der internationalen Beobachtung durch die UNO nach Friedensschluß auszuweichen.
Die guatemaltekische Regierung ihrerseits reiste Ende Januar erst einmal nach Brüssel. Zusagen in Höhe von über 1,8 Milliarden US-Dollar erhofft sie dort auf dem Konsultativtreffen der Geberländer und internationalen Finanzinstitutionen als “Friedensdividende” zu erhalten, beinahe das Doppelte des durchschnittlichen Regierungshaushaltes der letzten Jahre. Dafür hat sie in Windeseile einen Katalog von um die 300 Projekten zusammengeschustert, ohne jedoch, wie vorher zugesagt, die zum Teil gemeinsam mit der Versammlung der zivilen Sektoren Guatemalas (ASC) erarbeiteten Projektvorschläge zu berücksichtigen. Dies ist nicht neu. Aber so einfach will sich die ASC nicht ausbooten lassen. Wenn nämlich mit dem Friedensschluß für die Bevölkerung Guatemalas etwas gewonnen wurde, dann die Entstehung neuer politischer und demokratischer Freiräume und die Hoffnung auf wirkliche gesellschaftliche Partizipation, die unzählige Male in allen Abkommen betont wird. Nicht umsonst gilt daher in der guatemaltekischen Opposition die Devise, die Abkommen als “ersten Schritt” zu begreifen, ihre Umsetzung nun mit Hartnäckigkeit und über breite Bündnisse einzufordern und selbst zu gestalten. “Der Krieg war schwer, aber ich denke, der Aufbau eines wirklichen Friedens wird noch schwerer sein”, kommentiert Celso Cuxil die nahe Zukunft. Auch kurz nach dem Friedensschluß wird und kann das Protestieren kein Ende haben.