Honduras | Nummer 475 - Januar 2014

„Friedlich und transparent“

Bei den Wahlen in Honduras wirft nicht nur das Verhalten der EU-Beobachtungsmission Fragen auf

Am 24. November 2013 wurden in Honduras Präsident und Kongress gewählt. Die Europäische Union entsandte 70 Wahlbeobachter_innen. Zur Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses gab es sehr unterschiedliche Einschätzungen. Mitglieder der Hondurasdelegation, die aus Deutschland und Österreich zu den Wahlen angereist waren, berichten von ihren Eindrücken.

Paula Brücher und Andrés Schmidt

Laut dem amtlichen Endergebnis scheint es keinen Zweifel zu geben. Juan Orlando Hernández von der Nationalen Partei hat mit 36,9 Prozent der abgegebenen Stimmen die Präsidentschaftswahl gewonnen. 28,8 entfielen demnach auf Xiomara Castro von der neu gegründeten linken Partei Freiheit und Neugründung (LIBRE). Die Liberale Partei erreichte 20,3 Prozent und die ebenfalls neue Antikorruptionspartei (PAC) 13,4 Prozent. Doch die Rechtmäßigkeit der Wahl ist umstritten. Während sich noch am Wahlabend sowohl Juan Orlando Hernández sowie Xiomara Castro als Präsident_in ausriefen, lobte Ulrike Lunacek von der Beobachtermission der Europäischen Union die Organisation und Transparenz des Wahlprozesses (siehe Interview in dieser Ausgabe). Bereits einen Tag später verkündete der Wahlrat den „unumkehrbaren Trend“ für die Nationale Partei, gefolgt von LIBRE auf Platz zwei.
Weniger umstritten ist der Kontext, in dem die Wahlen stattfanden: Im Juni 2009 erschütterte ein Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya Honduras. In den Monaten nach dem Putsch kam es zu gravierenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär. Die aktuelle Regierung von Porfirio Lobo (Nationale Partei) dient den Interessen der Elite und steht für Korruption, Straflosigkeit und wirtschaftliche Stagnation. Als Reaktion auf den Putsch bildete sich die Widerstandsbewegung Resistencia, in der sich unterschiedliche soziale Gruppierungen zusammenschlossen. Im Jahr 2011 entschloss sich ein Teil der Bewegung, die Partei LIBRE zu gründen. Die Menschenrechtsverletzungen der Putschregierung sollten „an der Urne bestraft werden“, gab Ex-Präsident Zelaya als Losung aus. Seine Frau Xiomara Castro wurde Präsidentschaftskandidatin, er selbst kandidierte für den Kongress. LIBRE versprach Reformen zum Wohl der Bevölkerung und Demilitarisierung. Die Hoffnung war groß: Viele Umfragen bestätigten, dass LIBRE die Wahlen gewinnen könnte. Eine weitere neue Partei, die Antikorruptionspartei (PAC), wurde von Salvador Nasralla gegründet. Der Fernsehmoderator galt besonders unter jüngeren Wähler_innen als glaubwürdig. Insgesamt traten bei der Wahl am 24. November 2013 neun Parteien an, von denen sich vier Chancen ausrechnen konnten: LIBRE und PAC, sowie die etablierten Nationale Partei und Liberale Partei.
Einer von zwei Honduraner_innen lebt unter der Armutsgrenze. Honduras führt die Statistik der meisten Mordfälle in einem Land ohne Krieg an. Das Land steht vor dem Staatsbankrott, investiert wird hauptsächlich in Polizei und Militär. Aber statt den Drogenhandel einzuschränken, sind staatliche Institutionen selbst an der organisierten Kriminalität beteiligt. Der Präsidentschaftskandidat der Nationalen Partei, Juan Orlando Hernández, hatte sich in den letzten Jahren als Präsident des Kongresses für eine knallharte neoliberale Politik stark gemacht. Um die Interessen der Investor_innen durchzusetzen, werden Militär und Polizei gegen die Bevölkerung eingesetzt, wobei sie systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen. Häufig werden Aktivist_innen ermordet, entweder offen durch staatliche Organe oder durch Auftragsmörder. Betroffen ist auch die neue Partei LIBRE. Im Verlauf des Wahlkampfes wurden 18 Kandidat_innen ermordet. Es herrscht eine allgemeine Straffreiheit, in nur 20 Prozent aller Kriminalfälle wird überhaupt ermittelt.
Die Ausgangspositionen der Parteien waren sehr ungleich. Während LIBRE wenig Mittel zur Verfügung hatte, konnten sowohl die Nationale als auch die Liberale Partei teure Werbung und Wahlgeschenke finanzieren, wobei die Herkunft der Finanzen undurchsichtig blieb. Außerdem dominieren Anhänger_innen der Nationalen Partei in allen staatlichen Institutionen. Das ist besonders im Wahlrat, dem Gremium, das die Wahlen ausrichtet, von entscheidender Bedeutung.
Menschenrechtsorganisationen und die Partei LIBRE hatten internationale Beobachter_innen eingeladen, die Wahlen zu begleiten. In den Tagen vor und nach der Wahl waren unter anderem Delegationen der Organisationen FIDH, SOA-Watch, „La Voz de los de Abajo“ und die Hondurasdelegation aus dem deutschsprachigen Raum anwesend. Zusätzlich entsandte die Europäische Union mit 70 Wahlbeobachter_innen eine offizielle Mission. Doch die honduranischen Autoritäten zeigten sich wenig erfreut über so viel Aufmerksamkeit. Einer Delegation aus El Salvador wurde die Einreise verweigert. Kurz vor den Wahlen stürmten sogar maskierte Polizisten das Hotel Aurora in der Hauptstadt Tegucigalpa und durchsuchten die anwesenden Delegationsteilnehmer_innen. Präsident Lobo beschuldigte ausländische NGOs, Honduras in den Schmutz ziehen zu wollen.
Der Tag der Wahl verlief für honduranische Verhältnisse friedlich und die Wahlbeteiligung war relativ hoch. Im ganzen Land hatten sich internationale Beobachter_innen verteilt, die das Geschehen dokumentierten. Das Ergebnis war ernüchternd: Diverse Unregelmäßigkeiten spielten sich ab. Berichtet wurde über Erpressung ganzer Wahlkreise. Den Bewohner_innen wurde beispielsweise gedroht, dass sie keine Sozialhilfe mehr bekommen würden, sollte in ihrem Wahlkreis nicht der gewünschte Kandidat gewinnen. In der Tat sind das keine leeren Drohungen: direkt nach der Wahl wurde für einige nicht-konforme Wahlkreise die Stromversorgung gekappt. Vor den Wahllokalen verteilte die Nationale Partei eine Rabatt-Karte, mit der man Nachlässe in einigen Geschäften bekommen konnte. Zusätzlich gab es Hinweise auf Stimmenkauf, so boten Honduraner_innen versehentlich Wahlbeobachter_innen ihre Stimmen zum Verkauf an. Eine geheime Wahl war in einigen Wahllokalen nicht möglich. In den Wahlregistern tauchten offensichtlich lebende Personen als gestorben auf, während bereits verstorbene Personen angeblich ihre Stimme abgegeben hatten. Dass es hierbei nicht um einzelne Ausrutscher handelte, belegte später die EU-Wahlbeobachtungsmission. Nach ihrer Schätzung waren 30 Prozent des Wahlregisters falsch.
Das Verfahren zur Auszählung der Stimmen war in der Tat ausgeklügelt. An jeder einzelnen Wahlurne sollte ein_e Vertreter_in jeder Partei anwesend sein. Nach gemeinsamem Auszählen der Stimmen sollten die Ergebnisse in einem Formblatt festgehalten werden. Das von allen Parteivertreter_innen unterschriebene Formblatt wurde eingescannt, an den Wahlrat übermittelt und im Internet veröffentlicht. Im Wahlrat wurden die Ergebnisse zusammengerechnet, während die Parteivertreter_innen eine Kopie des Formblatts behielten, um so das berechnete Ergebnis nachvollziehen zu können. Ein sicheres Vorgehen? Auf Basis der direkt an den Urnen zusammengetragenen Original-Formblätter zweifelten LIBRE, PAC und zunächst sogar die Liberale Partei die Wahl an. Die im Internet veröffentlichten Formblätter stimmten teilweise nicht mit den Originalen überein, ließen Vertreter_innen der Parteien wissen. Während also drei der vier großen Parteien auf Grund von vorhandenen Daten und beobachteten Unregelmäßigkeiten am Wahltag offen Zweifel über das Ergebnis äußerten, trat bereits am Dienstag die EU-Wahlbeobachtungs-Mission vor die Presse. Deren Direktorin, die österreichische Grüne Ulrike Lunacek, lobte die „friedliche Stimmung“ und verkündete „eine sehr positive Bewertung der Transparenz der Wahl als auch des Respekts des Willens der Wähler bei der Auszählung“. Hauptkritikpunkt des Berichts bleibt die undurchsichtige Finanzierung des Wahlkampfs, besonders der Nationalen Partei. Somit ist die Botschaft für die honduranische und die internationale Presse klar: Wenn die Europäische Union nichts Gravierendes auszusetzen hat, dann ist der Wahlprozess vertrauenswürdig. Für die demokratischen Kräfte ist das ein Schlag ins Gesicht. Durch dieses vorschnell abgegebene Statement scheinen die Wahlen bestätigt, noch bevor die von LIBRE und PAC geäußerten Vorwürfe geklärt werden konnten.
Ein Mitglied der EU-Mission, Leo Gabriel, verurteilte den Bericht. Er beklagt, dass entscheidende Beobachtungen nicht in den Bericht aufgenommen wurden und die Beobachter_innen „diametral entgegengesetzte Schlussfolgerungen“ zu den im offiziellen Bericht veröffentlichten gezogen hätten.
Am Freitag nach der Wahl ruft Xiomara Castro zur „Verteidigung ihres Siegs“ auf, die Partei LIBRE ist überzeugt davon, gewonnen zu haben und das auch belegen zu können. Ihren eigenen Formblättern zufolge erhielt die Nationale Partei 82.301 Stimmen zu viel, während LIBRE 55.720 Stimmen in der offiziellen Berechnung fehlten. Die Parteien LIBRE und PAC fordern die Neuauszählung der Formblätter ein und zeigten diese und andere Unstimmigkeiten beim Wahlrat an.
Leo Gabriel macht das Assoziierungsabkommen zwischen Zentralamerika und der Europäischen Union, das 2013 verabschiedet wurde, für das Verhalten der Wahlbeobachtungs-Mission verantwortlich. „Einen sauberen und transparenten Wahlprozess zu präsentieren, hilft der Europäischen Union, das Image von Honduras in der Welt zu verbessern und dieses kommerzielle Projekt in Gang zu setzen“, sagt er. Bislang hatte Honduras jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht eine sehr geringe Bedeutung für die Europäische Union, so dass diese Erklärung fraglich bleibt. Fakt ist, dass die Europäische Union in Honduras als Vorbild in Sachen Demokratie gilt, damit spielte die offizielle Wahlbeobachtung eine entscheidende Rolle. Mit der schnellen De-facto-Anerkennung legitimierte die EU-Mission die offensichtlichen Ungereimtheiten des Wahlprozesses. Unter diesen Umständen ist es sehr unwahrscheinlich, dass LIBRE doch noch durch eine Neuauszählung der Stimmen triumphieren könnte.

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