Aktuell | Argentinien | Nummer 572 - Februar 2022 | Umwelt & Klima

FÜR EIN MEER OHNE ÖL

Die Atlanticazo-Bewegung wehrt sich gegen eine geplante Offshore-Ölförderung vor der argentinischen Küste

Tausende gingen am 4. Januar in der Küstenstadt Mar Del Plata und in über 20 anderen Städten Argentiniens auf die Straße, um gegen die geplante Förderung von Erdöl im argentinischen Meer zu protestieren. Ende Dezember hatte die Regierung von Alberto Fernández Lizenzen für die Erkundung von Öl-Lagerstätten an die staatseigene Ölgesellschaft YPF und die multinationalen Konzerne Shell und Equinor vergeben. Umweltschützer*innen warnen vor drastischen Folgen für die marine Biodiversität und möglichen Ölkatastrophen.

Von Ina Friebe

Laut und entschlossen Gegen die Ölförderung im nordargentinischen Becken (Foto: Asamblea Mar Libre de Petroleras Mar Del Plata)

„Un Mar Libre de Petroleras“ (Ein Meer frei von Ölfirmen) – so schallte es an vielen nördlichen Küstenstädten Argentiniens Anfang Januar durch die Straßen. Die Versammlung für ein Meer ohne Ölfirmen (Asamblea Por un Mar Libre de Petroleras) und das Koordinationsbündnis Schluss mit Scheinlösungen (Coordinadora Basta de Falsas Soluciones) hatten zu einem Protesttag aufgerufen, um gegen die Vergabe von Ölförder-Lizenzen im argentinischen Meer zu mobilisieren. Kurz vor Jahresende 2021, am 30. Dezember, hatte die Regierung von Fernández Lizenzen für die Erkundung von Öl-Lagerstätten im Meer vor Mar del Plata in der Provinz Buenos Aires vergeben. In drei Offshore-Abschnitten, ungefähr 300 Kilometer von der Küste entfernt, dürfen der norwegische Konzern Equinor, die staatseigene Gesellschaft YPF und die multinationale Firma Shell nun seismische Untersuchungen durchführen, um eine mögliche Ölförderung vorzubereiten. Der größte dieser Abschnitte, der sogenannte CAN-100 Block (Cuenca Argentina Norte-Nordargentinisches Becken), ist etwa 75-mal so groß wie die Stadt Buenos Aires. Die Ausschreibungen der Lizenzen hatte schon 2018 unter der Vorgängerregierung von Mauricio Macri stattgefunden, wurden aber jetzt abschließend unterzeichnet.

Eine Ölflut wäre eine Katastrophe für das Seebad

Das Vorgehen stößt bei Umweltschützer*innen auf Kritik: Sie weisen auf die Auswirkungen der bei den seismischen Untersuchungen entstehenden starken Unterwasser-Schallwellen für die Meereslebewesen hin, allen voran für die dort beheimateten Wale und Delfine. Tatsächlich war das Gebiet im nordargentinischen Becken 2014 aufgrund seiner Bedeutung für die marinen Ökosysteme als Meeresschutzzone im Gespräch. Aber nicht nur Umweltschützer*innen lehnen die neuen Pläne zur Ölförderung im argentinischen Meer ab: Im Badeort Mar del Plata leben die Einwohner*innen vom Tourismus und von der Fischerei. Sie haben sich auch den Protesten angeschlossen. Denn eine Ölflut, wie kürzlich vor der peruanischen Küste, deren Wahrscheinlichkeit von den beteiligten Konzernen heruntergespielt wird, wäre eine Katastrophe für das Seebad. „Wenn dort Ölförderfirmen tätig sind, wird es auch Öllecks geben“, so Luisina Vueso, Ozean-Campaignerin von Greenpeace Argentina. Selbst Guillermo Montenegro, Bezirksbürgermeister von Mar Del Plata, ist auf Seite der Protestler*innen und kündigte eine gerichtliche Untersuchung der Lizenzvergabe an.

Die Atlanticazo-Protestbewegung erhält ebenfalls Aufwind von den Erfolgen in Chubut. In der patagonischen Provinz verteidigen die Menschen immer wieder das dort geltende Verbot von Großtagebauen, zuletzt im Dezember 2021, als die Provinzregierung das Gesetz unerwarteterweise kippte. Nach fünf Tagen massiver Mobilisierung, die mit starker Repression beantwortet wurde, wurde das Gesetz wieder in Kraft gesetzt. „Wir versuchen, die Kämpfe des Atlanticazo mit denen des Chubutazo zu verbinden, da das Volk von Chubut schon seit fast zwanzig Jahren erfolgreich gegen die Großbergbauprojekte in Patagonien Widerstand leistet“, erklärt Juliana Orihuela von der Asamblea Mar Libre de Petroleras in Mar Del Plata. Genau wie in Chubut gründen die Protestler*innen asambleas, selbstverwaltete Versammlungen, um ihren Widerstand zu organisieren.

Das Ausbeuten der Ölreserven generiert eine Profitsumme von 35 Milliarden US-Dollar

Währenddessen stellte die Regierung am 18. Januar einen Plan für ein halbstaatliches Unternehmen vor, das den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben soll. Dabei dementiert der Minister der produktiven Entwicklung Matías Kulfas, dass die „grüne wirtschaftliche Entwicklung“ im Widerspruch zum Extraktivismus steht. Dieser wird von der Regierung unter dem Stichwort „nachhaltiger Bergbau“ weiterhin massiv vorangetrieben. Aktuell steht sie wegen der immensen Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) stark unter Druck. Viele Regierungspolitiker*innen argumentieren deswegen, dass die Einnahmen aus der Ölförderung auch für die ausstehenden Rückzahlungen an den IWF dienen können. Die argentinische Finanzzeitung ámbito zitiert ein vertrauliches Papier, demzufolge ein erfolgreiches Ausbeuten der Ölreserven des CAN-100 Blocks eine Profitsumme von 35 Milliarden US-Dollar generieren würde – ganze 70 Prozent der Schuldensumme beim IWF. Durch die von der Regierung herabgesetzten Abgaben für Mineralöl blieben davon allerdings nur knapp 5 Milliarden US-Dollar in den Staatskassen. Zusammen mit der Lizenz-Vergabe hat die Fernández-Regierung nämlich ein Dekret erlassen, das den beteiligten Firmen YPF, Shell und Equinor eine bedeutende Senkung der Abgaben für das CAN-100 Gebiet zusichert. Das Argument der Profitmaximierung zur Schuldentilgung steht also auf sehr wackeligen Beinen.

Die Kosten der Ölförderung für die Umwelt lassen sich nur erahnen. Schon jetzt werden die Folgen der Klimakrise auch in Argentinien immer sichtbarer: Erst Anfang Januar wurde der Norden des Landes von einer starken Hitzewelle mit Temperaturen von über 40 Grad Celsius heimgesucht, während derer die Strom- und Wasserversorgung an vielen Orten über mehrere Tage hinweg ausfiel. Der Wasserpegel des Flusses Chubut in Patagonien erreichte einen historischen Tiefstand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1944, ebenso wie der des Flusses Paraná im Norden. Waldbrände in elf Provinzen haben den Minister für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung Juan Cabandié dazu veranlasst, Ende Dezember 2021 für zwölf Monate den Feuer-Notstand auszurufen. Dass die Regierung trotz dieser deutlich spürbaren Folgen der Klimakrise im eigenen Land an ihrem Extraktivismus-Kurs festhalten will, wirkt dabei wie ein schlechter Witz – mit absehbar drastischen Folgen.


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