Für eine Neugründung der Linken
Sofía Montenegro setzt keine Hoffnung mehr in die FSLN
Jenseits der in der Parteileitung vorherrschenden konservativen Ansichten waren schon 1994 mehrere Schwierigkeiten in der FSLN erkennbar: das Wesen der Organisation (charismatisch), ihre Struktur (vertikal), ihr Machtverständnis (dominierend), ihre Ethik (autoritär) und ihre Philosophie (begrenzt). In ihren Merkmalen unterschied sich die FSLN folglich nicht wesentlich von anderen politischen Kräften. Darin zeigte sich aber auch, daß sich bei den Mitgliedern gewisse Gedankengänge verfestigt hatten. Die Folge war eine fatale Konfusion der Begriffe: unter „revolutionär“ wurde letztendlich „gewalttätig“ verstanden und die Ergreifung der Macht um der Macht willen mit den revolutionären Zielen verwechselt.
Der Verlauf des II. Kongresses der FSLN 1994 bestätigte diese Einschätzung. Die Partei spaltete sich in eine orthodoxe und eine reformorientierte Strömung. Schwerwiegender ist jedoch, daß die Führung der FSLN zur Zeit einen Pakt mit den liberalen Kräften aushandelt – ein weiterer Verrat am nicaraguanischen Volk und an den Prinzipien, wofür tausende SandinistInnen gekämpft haben und gefallen sind. Der Abschluß eines solchen Abkommens, der einen echten Staatsstreich wider die Institutionalität und die Demokratisierung des Landes darstellt, entspricht der Trennung von politischer und wirtschaftlicher Macht.
Damit kommt der Ausgrenzung und der Diskriminierung auf politischer Ebene Verfassungscharakter zu. Es handelt sich um die Restauration des Ancien Régime, wobei die FSLN – welch bittere Ironie der Geschichte – die alte Rolle der Konservativen übernimmt.
Sektiererische Dekadenz
Die Frente Sandinista steht am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr für die sozial-revolutionäre Bewegung, die in den siebziger und achtziger Jahren die Strukturen Nicaraguas erschütterte und in der sich die Jugend und die Intelligenz des Landes wiederfand. Heute ähnelt sie einer Sekte, in der eine korporative und dekadente Gruppe für ihre eigennützigen Ziele kämpft und die Basis der aktiven Parteimitglieder mittels emotionaler Verbundenheit und antagonistischer Klassengegensätze manipuliert.
Von der Parteibasis sind keine Veränderungen zu erwarten, da die FSLN schon seit langer Zeit an einer tiefen Gesinnungskrise leidet. Die Krise offenbart sich im Verlust der Ideologie und des Aktualitätsbezugs der aktiven Mitglieder und führt zur Annäherung zwischen Parteibasis und Parteispitze, zu opportunistischem Pragmatismus, politischer Korruption und zum Verlust von sozialer Durchlässigkeit.
Die aktuellen Auseinandersetzungen sind nur formale Auseinandersetzungen, denn es handelt sich um einen internen Disput innerhalb der Parteioligarchie, der sich aus der Befürchtung nährt, daß die Parteiführung unter Daniel Ortega die gesamte FSLN gefährdet. Gleich ob die Gruppe um Ortega abgelöst oder seine KritikerInnen unterworfen werden – es wird zu keiner inhaltlichen Neuorientierung kommen, sondern bei personellen Änderungen bleiben.
Wenig Solidarität mit Zoilamérica
Die von Zoilamérica gegen ihren Stiefvater Daniel Ortega wegen sexuellen Mißbrauchs eingereichte Anzeige provozierte zwar ebenso parteiinternes Aufsehen, es kam jedoch zu keinem Bruch oder zu einer ernstzunehmenden Anfechtung in den Parteireihen. Selbst die heute wie Dissidentinnen wirkenden Frauen verhielten sich gegenüber dem Generalsekretär sehr entgegenkommend – zu einem Zeitpunkt, als mit allen Mitteln versucht wurde, die Anzeige Zoilaméricas abzuschmettern.
Die Verschwörungstheorie, wonach die Anzeige Zoilaméricas ein von den Rechten oder den Feinden der Partei organisierter politischer Akt war, rechtfertigte den Parteiausschluß der Mitglieder, die sich auf die Seite Zoilaméricas stellten, und die Einschüchterungsversuche, die ein Klima der Angst vor Repressalien bei vielen in der Frauenbewegung aktiven Frauen schürten. Damit wurde natürlich die notwendige Unterstützung für Zoilamérica verzögert.
Durch die Fixierung der Partei auf Daniel Ortega wurden die sinnentleerten moralischen Ansichten und die patriarchalen Machtstrukturen offenkundig. Diese herrschen in vorgeblich „linken“ Parteien genau so vor wie in der parteihörigen Frauenorganisation: frau begab sich auf Parteilinie und entschied sich zu schweigen. Damit wurden den Interessen eines mutmaßlichen Vergewaltigers mehr Gewicht beigemessen als denen des Opfers und den frauenspezifischen Interessen.
Noch schwerer wiegen die legislativen Zugeständnisse der fsln-Abgeordneten an die Liberalen im Gegenzug für die parlamentarische Immunität für den Daniel Ortega. Für die Frauen des Landes ist eine derartige Partei auf keinen Fall vertrauenswürdig, und aus der Sicht der Autonomen Frauenbewegung kann es keine Zusammenarbeit mit einem Vergewaltiger noch mit denen geben, die sich schützend vor ihn stellen. (Zu dieser Frauenbewegung zählen alle Frauengruppen, die nicht der FSLN (oder einer anderen Partei) angehören, feministische Positionen vertreten oder sich durch eigene Strategien definieren.)
FSLN ohne Hoffnung
Angesichts der hier skizzierten Situation der FSLN halte ich es nicht für denkbar, daß von der Basis oder aus der zerstrittenen Führung Reformen ausgehen könnten. Genau so gering sind die Erfolgsaussichten für außerhalb der Partei stehende sandinistische Gruppen, solche von außen anstoßen zu können. Man muß sich sogar fragen, ob es überhaupt noch lohnt, weiterhin auf Reformen zu setzen, denn bisher erwies sich dieser Versuch immer nur als ein unnützer Zeitverlust.
Außerdem sind zwischen linken und rechten Parteien keine wesentlichen Unterschiede mehr auszumachen: sie sind gleichermaßen antidemokratisch wie korrupt. Durch die historischen Bedingungen wurde die Linke gezwungen, ein liberales Demokratieverständnis zu übernehmen, das offenbar unzureichend ist, da es zu einer drastischen Trennung von Öffentlichkeit und Privatem führt. Die Staatsbürgerrechte werden auf die Ausübung des Wahlrechts reduziert, und die Demokratie beschränkt sich auf die Beteiligung an Wahlen.
Wenn es nur am Ideal der partizipativen Demokratie mangelt, wie die Linke weltweit immer wieder betont, stellt sich die Frage, warum in die Diskussion um die sozialen Bedingungen der Demokratie in Nicaragua nicht auch Probleme wie die des hierarchischen Geschlechterverhältnisses oder der Einstufung der Frauen als Bürger zweiter Klasse einbezogen wurden. Auf die Diskussion dieser Probleme hat man verzichtet, und statt dessen wird mit der Rechten an einem zentralistischen und ethnozentrischen Staatsgebilde gearbeitet, das dann als nationale Identität vorgegeben wird. Wenn man damit auf Widerspruch stößt, werden die von der Globalisierung und den Finanzorganisationen geprägten Vorgaben übernommen: ein im wesentlichen ökonomisches, verwaltungsspezifisches und bilaterales Staatsgebilde als Resultat der Zusammenarbeit von Regierung und internationalen Finanzinstitutionen.
Die moralische, politische und ideologische Entwaffnung der Linken vollzieht sich mit lautem Getöse, ist aber kein auf tropische Breiten beschränktes Phänomen. Dazu genügt ein Blick auf das Verhalten der europäischen Linke angesichts der Krise in Jugoslawien: aus NATO-Gegnern wurden Apologeten eines Aggressionskrieges, der die internationale Ordnung sprengte. Die Sinnentleerung linker Ideen ist anscheinend ein globales Phänomen.
Ausweg aus der Krise
Letztendlich glaube ich nicht an die aktuellen oder künftigen Möglichkeiten einer demokratischen Wende in der FSLN und ebenso wenig daran, daß diese Wende von den autonomen sozialen Bewegungen oder des gespaltenen Sandinismus bewirkt werden könnte.
Vielmehr fällt letzteren beiden die Aufgabe zu, eine historische Synthese der sich seit den 80er Jahren vollziehenden Entwicklungen vorzunehmen. In der Möglichkeit einer Synthese liegt immer die Chance zur Weiterentwicklung. Mit ihr kann die Entwicklung von Alternativen einhergehen, da mit der Synthese eine Evaluierung der Vergangenheit, das Begreifen der Gegenwart und eine Positionsfindung gegenüber der Zukunft verbunden ist. Am Anfang etablierte die sozial-revolutionäre Bewegung eine These für die Machtergreifung, durchlebte dann die Antithese der Machtausübung, eine Synthese wurde aber nicht vorgenommen. Durch das Unvermögen und die Abwehrhaltung der Partei, diesen Prozeß der kritischen Revision vorzunehmen, kam es zur Spaltung der FSLN und der Zerschlagung öffentlicher Organisationen. Eine Erneuerung des linken politischen Projekts wurde somit verhindert. Die Folge war die Implosion der FSLN.
Die Aufgabe besteht also nicht darin, die FSLN als Partei zu retten, sondern darin, alle erneuerungswilligen Kräfte zusammenzubringen, um die Realisierung einer Synthese und eine programmatische Neugründung einer neuen Linken zu ermöglichen.
Die Linke muß sich zuallererst mit der eigenen Neugründung befassen und diese auf die Grundlage einer menschlichen, nicht-patriarchalen Ethik stellen, die ihr erlaubt, ihre Ziele und Mittel neu zu definieren, sich auf Gleichheit und Unterschiedlichkeit, auf die Einheit in der Verschiedenartigkeit zurückzubesinnen, um als eine Hoffnung und eine erneuernde Kraft dem 21. Jahrhundert entgegenzugehen. Doch ohne radikale und inklusive Demokratie, durch die sich die Linke auszeichnet, kann sie nicht bestehen.
Im Fall Nicaragua kann der beschämende Pakt zwischen Ortega und Alemán zu einem Katalysator werden, der die unterschiedlichen sozialen Kräfte dazu bewegt, eine Alternative zu finden, die dem Land den Ausweg weist und die Möglichkeit zur programmatischen Neugründung des zerrütteten Sandinismus öffnet und die sich zu einem demokratischen und umfassenden Entwurf einer aufrichtigen, fähigen und intelligenten Linken gestaltet.
Die jüngst gebildete „BürgerInnenaktion gegen Korruption und Armut“, in der sich nicht-offizielle sandinistische Kräfte, die Frauenbewegung, verschiedene soziale Strömungen, Nichtregierungsorganisationen und kleinere Parteien unterschiedlicher politischer Couleur zusammengefunden haben, kann als ein Anfang einer neuen Bewegung gewertet werden, die es dem Volk erlaubt, zu seinen Rechten und Idealen zurückzufinden, für die es in der Revolution gekämpft hat.
Übersetzung: Susan Aderkas
Sofía Montenegro arbeitete viele Jahre bei der Parteizeitung Barricada, bis sie 1994 auf Intervention der FSLN-Führung entlassen wurde. Sie ist eine der bekanntesten Feministinnen und Publizistinnen Nicaraguas und in mehreren Frauengruppen aktiv.