Entwicklungspolitik | Kolumbien | Nummer 587 - Mai 2023

Für Wasser und Leben

Die afrokolumbianische Gemeinde Cañaverales leistet Widerstand gegen ein geplantes Bergbauprojekt

Während Kolumbiens Präsident Gustavo Petro eine Abkehr von der Förderung fossiler Brennstoffe anstrebt, möchte ein multinationaler Konzern eine weitere Kohlemine im nordöstlichen Departamento La Guajira eröffnen. Die Bewohner*innen von Cañaverales wehren sich.

Von Frederic Schnatterer & Tininiska Zanger Montoya, Cañaverales

Die Umgebung gleicht einem Kriegsgebiet Kohlegrube in der kolumbianischen Guajira (Foto: Tininiska Zanger Montoya)

Eine neue Kohlemine in Zeiten der Klimakrise? Was absurd klingt, könnte im kolumbianischen Cañaverales schon bald Realität werden. Das Dorf liegt am Fuße der Serranía del Perijá, im nordwestlichen Teil der Guajira. Der Weg in die Gemeinde führt über einen Schotterweg durch den tropischen Trockenwald. Keine 800 Meter vom Dorfeingang entfernt stehen Militärpanzer auf der Straße. Hinter einem Zaun befindet sich ein Camp der kolumbianischen Streitkräfte. Was an die Szenerie eines Kriegsgebiets erinnert, ist der Eingang zu einem 350 Hektar großen Grundstück, das 2008 vom multinationalen Konzern MPX Energía gekauft wurde. Hier sollen zwölf Millionen Tonnen Steinkohle gefördert werden.

Die Guajira hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer der wichtigsten Kohleregionen Kolumbiens entwickelt. Das fast 3.000 Einwohner*innen zählende Cañaverales ist vom Abbau des Gesteins bisher verschont geblieben. Auch deshalb gilt die Gemeinde als „Speisekammer“ der Region. Hier können die Menschen noch von der Landwirtschaft und der Viehzucht leben – eine Seltenheit in der Guajira. Auch ihre Nachbargemeinden versorgen die Bewohner*innen von Cañaverales mit den von ihnen produzierten Nahrungsmitteln.Denn: Cañaverales verfügt über Wasser. Aus einer in der Nähe des Dorfes gelegenen Quelle entspringen mehrere kleinere Bäche, die die Gemeinde für sich nutzen kann. „Ein Privileg“, weiß Yólgica Gámez, eine Einwohnerin von Cañaverales und Mitglied des afrokolumbianischen Rats Consejo comunitario los negros de Cañaverales. Dank der Quelle habe man 365 Tage im Jahr genug Wasser für den Nahrungsmittelanbau, die Tiere und die Bewohner*innen. Der Zugang zu Wasser ist in der Guajira keine Selbstverständlichkeit. Die ohnehin niederschlagsarme Region leidet seit mehr als 40 Jahren unter dem exzessiv betriebenen Bergbau, insbesondere durch El Cerrejón, den größten Steinkohletagebau Lateinamerikas. Dieser gehört seit dem vergangenen Jahr zu 100 Prozent dem multinationalen Schweizer Konzern Glencore.

In nahezu der gesamten Region sind die Folgen der Kohleförderung spürbar. Viele Wasserquellen sind mittlerweile versiegt, Umwelt und Natur sind teils zerstört, was vielen Menschen ihre Lebensgrundlagen entzieht. Ganze Dörfer wurden (zwangs-)geräumt oder ihre Bewohner*innen vertrieben. Die Einwohner*innen von Cañaverales haben aus den Erfahrungen ihrer Nachbar*innen gelernt, erklärt Lorena Fuentes. Wie die 21-Jährige berichtet, seien Leute aus anderen Gemeinden nach Cañaverales gekommen, um sich solidarisch mit ihrem Kampf zu zeigen. „Sie wollen nicht, dass es in der Guajira noch mehr Bergbau gibt, dass wir dieselben Fehler machen wie sie.“ So habe Bewusstsein in Cañaverales geschaffen werden können. „Das hat uns am meisten geholfen.“

Wandgemälde in El Rocío “Wir säen Widerstand im Territorium – Bergbau = Misere” (Foto: Tininiska Zanger Montoya)

Die afrokolumbianische Gemeinde wehrt sich seit 2009 erfolgreich gegen die Eröffnung der Mine. Ihre Bewohner*innen sind sich sicher: Langfristig würde die Kohleförderung dazu führen, dass die Wasserquelle des Dorfes austrocknet. Dadurch würden die Landwirtschaft und die Viehzucht unmöglich, auch Trinkwasser gäbe es keines mehr. Den vollmundigen Versprechungen von staatlichen Stellen und dem zuständigen Unternehmen, durch die Eröffnung der Mine würde es allen besser gehen und „Fortschritt“ einkehren, glaubt Yólgica Gámez nicht. Cañaverales lebe seit 200 Jahren von der Landwirtschaft, um „zu überleben und in Frieden zu leben“ brauche die Gemeinde keinen Bergbau. „Wir haben den größten Tagebau Lateinamerikas ganz in der Nähe. Und welche Vorteile hat dieser den Gemeinden und uns im Süden der Guajira gebracht? Gar keine.“

Seit 2014 befindet sich das Grundstück bei Cañaverales, unter dem die Steinkohle gefördert werden soll, im Besitz des türkischen Unternehmens Yildirim Group, das in Kolumbien unter dem Namen Best Coal Company (BCC) tätig ist. Zuvor hatte sich bereits der Konzern MPX (später umbenannt in CCX) um die für die Ausbeutung notwendigen Lizenzen bemüht. Aufgrund seiner Verstrickung in den internationalen Korruptionsskandal Lava Jato ging CCX pleite. Zwar konnte die Yildirim Group das Schürfrecht für Cañaverales erwerben, die für den Kohleabbau notwendige Umweltlizenz ging infolge des Kaufs jedoch verloren.

Ethnisch definierte Gemeinden haben in Kolumbien ein Recht auf Befragung, bevor in den von ihnen bewohnten Territorien Bergbau- oder andere extraktivistische Projekte durchgeführt werden. Die sogenannte Consulta Previa stellt daher für Indigene und Afrokolumbianer*innen ein wichtiges Mittel im Kampf gegen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in ihren Gebieten dar. Laut Gesetz greift der Mechanismus auch für Cañaverales. Allerdings versucht die Best Coal Company die Konsultation im Schnellverfahren durchzudrücken. So will sie möglichst rasch an die notwendigen Lizenzen gelangen, um bereits im kommenden Jahr mit der Kohleförderung beginnen zu können.

Bislang weigert sich die Gemeinde, die Consulta Previa zu den vom Konzern vorgegebenen Bedingungen durchzuführen. Die Bewohner*innen argumentieren, die BCC verweigere ausreichende Informationen über das Bergbauprojekt sowie dessen Folgen für die Umwelt der Region und die Wasserversorgung – eine der Voraussetzungen für die Durchführung der Befragung. Cañaverales ist die einzige von insgesamt neun potenziell von der Mine betroffenen Gemeinden, die sich den Spielregeln des Konzerns bisher nicht unterwirft. Die anderen acht haben dem Projekt in Consultas Previas bereits zugestimmt – wobei teils von dubiosen Umständen bei den Befragungen berichtet wurde. So prangerten mehrere Menschenrechtsorganisationen im Nachhinein an, Informationen seien willkürlich verweigert und Druck auf die Bevölkerung ausgeübt worden. Die Bewohner*innen von Cañaverales fordern eine „grundsätzlich anders durchgeführte Consulta Previa“, erklärt Geania Gámez, Mitglied des Consejo Comunitario. Eine solche müsse „im Einklang mit dem Gesetz“ geplant werden. Orangel Moya, ebenfalls Teil des Rates, zeigt sich sicher: „Wir können beweisen, dass das Unternehmen lügt.“

Im vergangenen Jahr, noch vor Amtsantritt der neuen Regierung, ordnete das kolumbianische Innenministerium die Durchführung einer „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ (test de proporcionalidad) in Cañaverales an. Eine solche soll ohne Befragung der potenziell Betroffenen, klären, ob der Nutzen eines Tagebaus für die Bevölkerung die Einschränkung von deren Grundrechten legitimiert. Zur Begründung diente, dass die Dorfbewohner*innen keine „Dialogbereitschaft“ gezeigt hätten.

Ein Vorwurf, den Orangel Moya als „paradox“ von sich weist. Natürlich wollten die Bewohner*innen von Cañaverales befragt werden, denn: „Mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird den Menschen das Recht genommen, sich zu verteidigen und zu begründen, warum eine Kohlemine nur wenige hundert Meter von der Gemeinde entfernt nicht vertretbar ist.“ Im Oktober verpflichtete ein Richter in Riohacha, der Hauptstadt der Guajira, den kolumbianischen Staat dazu, eine Befragung der Bevölkerung durchzuführen. Doch bereits im November legte die dem Innenministerium unterstehende Behörde für Consultas Previas Revision gegen den Entscheid ein.

Hugues Martínez, der sich als Sänger von Cañaverales vorstellt, misstraut der BCC grundsätzlich. „Wir wissen nicht, welche Strategien die multinationalen Konzerne und die Regierung anwenden werden.“ Diese seien „schlussendlich miteinander deckungsgleich, da die Regierungen in Kolumbien nicht das Leben oder die Umwelt schützen“. Vielmehr fungierten sie als Garanten der Interessen multinationaler Unternehmen, die die Territorien ausbeuteten, wodurch Dividenden generiert würden. „Und diese Dividenden fließen nicht einmal zurück in die Gebiete, die zuvor ausgeplündert wurden.“

Die Petro-Regierung will eine Abkehr von den fossilen Energieträgern

Das Misstrauen gegenüber dem kolumbianischen Staat ist groß. In der Vergangenheit haben korrupte Institutionen, so auch das Innenministerium, wiederholt gezeigt, dass sie die Rechte ethnisch definierter Minderheiten nicht interessieren. Daran änderte auch die Wahl des linken Präsidenten Gustavo Petro im vergangenen Jahr nicht grundlegend etwas – zumindest nicht sofort. Funktionäre auf der Lokal- und Regionalebene vertreten häufig andere Interessen als die Zentralregierung in Bogotá.

Petro, der seit dem 7. August 2022 als erster linker Präsident das Land regiert, hatte bereits im Wahlkampf eine Abkehr von der Förderung fossiler Energieträger versprochen. Stattdessen will der Staatschef auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzen und den Umweltschutz voranbringen. So sollen schrittweise die Subventionen für den Verbrauch flüssiger fossiler Brennstoffe abgeschafft und der Bergbau sowie die Energieerzeugung kohlenstoffneutral werden. Beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos warb Petro Anfang des Jahres für einen „dekarbonisierten Kapitalismus”, der „den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas reduziert, um in kurzer Zeit das Ziel von null Emissionen zu erreichen”. Ob solch eine Energiewende etwas an den neokolonialen Wirtschaftsstrukturen verändern wird, ist allerdings fraglich. So werden gegenwärtig mehrere Windkraftanlagen im nördlichen Teil der Guajira auf Gebieten indigener Wayuu-Gemeinden gebaut. Vertreter*innen der Wayuu prangern an, die Consultas Previas seien unter fragwürdigen Umständen durchgeführt worden und die Projekte hätten die Vertreibung der Bevölkerung zur Folge.

In der Realität zeigt sich momentan, wie schwierig ein Kurswechsel ist. Petros Parteienbündnis Pacto Histórico verfügt im Parlament gerade einmal über rund 25 Prozent der Sitze. Die ersten Monate seiner Regierungszeit setzte er daher auch auf die Unterstützung durch der Rechten und dem Zentrum zugerechnete Parteien. Am 25. April kündigte Petro diese Koalition_ jedoch auf, was es in Zukunft noch deutlich schwerer machen dürfte, Gesetzesprojekte durch die beiden Parlamentskammern zu bringen.

In Cañaverales ist das Wasser (noch) nicht knapp

Als zentral für den Ausstieg aus der Förderung fossiler Energieträger gilt das Verbot neuer Tagebaue, das im Nationalen Entwicklungsplan (Plan Nacional de Desarrollo) festgeschrieben werden sollte. Allerdings kippte der Kongress im März den entsprechenden Absatz dazu – ein Zeichen dafür, wie mächtig bestimmte Wirtschaftskreise weiterhin in Kolumbien sind. Hinzu kommt: Im Zuge des Ukraine-Kriegs und dem von der Europäischen Union beschlossenen Kohleembargo gegen Russland erhöhte Kolumbien seine Exportmenge an Steinkohle – unter anderem nach Deutschland – drastisch. Der Verein der Kohlenimporteure bezifferte den Anteil kolumbianischer Steinkohle an den Einfuhren nach Deutschland im Jahr 2022 jüngst auf 16,3 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte dieser noch bei sechs Prozent gelegen. Kohle, die beispielsweise über die Niederlande in die BRD kommt, ist dabei noch nicht mit eingerechnet.

Einige Veränderungen im Umgang der Regierung mit von Bergbauprojekten betroffenen Gemeinden sind dennoch erkennbar. So trafen sich am 7. September 2022 Bewohner*innen von Cañaverales mit der Bergbau- und Energieministerin Irene Vélez Torres in Tamaquito 2. Bei dem Gespräch forderten sie ein Ende des Minenprojekts sowie eine Bergbaupolitik, die sich an den Interessen der betroffenen Gemeinden orientiert. Vélez versprach, dass die Regierung die Schürfrechte überprüfen werde und ein neues Bergbaugesetz erarbeiten wolle.

Das neue Gesetz soll in der zweiten Hälfte dieses Jahres vorgestellt werden und das noch aus dem Jahr 2001 stammende ersetzen. Viele Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Laut Regierungspolitikern soll es jedoch unter anderem festlegen, dass durch Bergbau keine Wasserquellen in Mitleidenschaft gezogen werden dürfen. Um das festzustellen, sollen auch bereits vergebene Titel überprüft werden. Unklar ist allerdings, was mit Minen geschehen soll, bei denen ein solcher Verstoß festgestellt wurde. Eine Schließung bereits operierender Bergwerke ist eher unwahrscheinlich.Die Bewohner*innen von Cañaverales setzen große Hoffnungen in die Gesetzesänderung. Bei einer Anhörung mit Kongressabgeordneten am 26. November 2022 konnten sie ihre Meinung äußern, berichtet Lorena Fuentes. „Besonders wichtig war für uns, dass sie hierher in unsere Gemeinde gekommen sind.“ Auch Orangel Moya hegt die Hoffnung, dass sich der Staat, „wenn er wirklich seine Landsleute im Sinn hat, nicht auf die Seite der multinationalen Unternehmen, sondern auf die des Volkes“ stellen wird. „Hier ist der grüne Teil der Guajira. Warum sollten wir diesen in eine weitere Wüste verwandeln?“

Cañaverales ist ein ruhiges Dorf, erzählen die Einwohner*innen. Die meisten kennen sich, viele sind miteinander verwandt. Abends sitzen sie oft noch bis spät vor ihren Häusern und unterhalten sich. Sie wünschen sich, dass das auch in Zukunft so bleibt. Daher leisten sie Widerstand. Hugues Martínez macht in seiner Musik hauptsächlich auf die vom Bergbau ausgehenden Gefahren aufmerksam. Der Sänger von Cañaverales hofft, dass sich das irgendwann ändert und er Musik machen kann, in der es um „schöne Themen wie die Liebe“ geht. Im Moment sei das jedoch leider noch nicht möglich.

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