Nummer 197 - November 1990 | Peru

Fujimori aus anderer Sicht

Wie zu erwarten war, ist die Wirtschaftspolitik der neuen peruanischen Regierung nach dem Bekanntwerden des “Fujischocks” von Vielen sofort verurteilt worden. Damit bleibt aber die wichtige Frage unbeantwortet, wie heute, unter den Bedingungen des real existierenden Wektmarktes, überhaupt eine “gute” Politik gemacht werden könnte. Und dann auch noch in Peru: Hyperinflation, leere Kassen, Dürreperiode, Sendero… Nachdem die Lateinamerika Nachrichten in der Titelgeschichte der letzten Nummer über die Ereignisse in Peru berichteten, möchten wir nun die Diskussion um eine “machbare” Politik in Peru aus einer anderen Perspektive fortführen.

C. Rojas

Neue Zeiten: Impressionen und Depressionen

Wenn es auch richtig ist, daß die vom gewählten Präsidenten Alberto Fujimori geführte Bewegung CAMBIO 90 nicht über die rund 2500 ausgebildeten Kräfte, Techniker und Experten verfügt, die benötigt werden, um die Schlüsselstellungen der staatlichen Verwaltung zu besetzen und die zudem nicht über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, die ein leichtes Regieren zuließe, die über keinerlei politische Erfahrung verfügt, so ist es ebenso zutreffend, daß es Fujimori verstand, diese Schwächen in ihr Gegenteil zu verwandeln.
Sein erster Vorschlag bezog sich auf die Notwendigkeit einer breit angelegten Zusammenarbeit, zu der er alle politischen Kräfte aufforderte. Antworten ließen nicht auf sich warten: Spezialisten und Techniker unterschiedlichster Provenienz mit Ausnahme der FREDEMO leiteten Fujimori ihre Vorschläge und Kritik zu. Fujimori traf sich mit allen politischen Richtungen inklusive der Izquierda Unida (IU). Es ging nicht mehr darum, für die Regierung irgendeiner politischen Partei aktiv zu werden, sondern um zum Wohl des Landes zu arbeiten. Das Land war von einer Atmosphäre der nationalen Übereinstimmung getragen. Fujimori verfügte über das Vertrauen der PeruanerInnen, ein Vertrauen, das auch unorthodoxe Entscheidungen zuließ, wie etwa die Einladung der Militärs zu folgen und in ihren schwer bewachten “Círculo Militar” umzuziehen, aus Sicherheitsgründen, wie verlautbart wurde. Der künftige Präsident Perus war der einzige Bewerber ohne eine Schar von Sicherheitsleuten, er verfügte weder über einen gepanzerten Wagen noch über kugelsichere Scheiben in seinem Wohnhaus. Nach der freundlichen Atmosphäre im Haus Fujimoris, wo sein jüngster Sohn Erfrischungen und Häppchen an Journalisten und Politiker verteilte, mußten diese sich nun den überzogenen Praktiken der militärischen Sicherheitsfanatiker unterziehen. Fujimori bot diesem heftig kritisierten Umstand Paroli, indem er bei verschiedenen Gelegenheiten das Protokoll durchbrach, um mit Journalisten oder Leuten zu reden und damit seine Leibgarde in nervöse Hektik versetzte. Eine kleine Reaktion von Fujimori genügte, um alle Kritik verstummen zu lassen. Diese kleine Begebenheit stellte keinen Einzelfall im Brechen von Konventionen dar. Zwei Wochen vor seiner Amtseinführung und nach einer detaillierten Analyse der apristischen “Erbmasse” entschied sich Alberto Fujimori für ein weit drastischeres Programm zur wirtschaftlichen Sanierung, als das von seinem persönlichen Berater und Vorsitzenden der Programmkommission von CAMBIO 90, Santiago Roca vorgeschlagene. Mit dieser Entscheidung holte er eine der Fahnen ein, die ihn zu seinem Triumph geleitet hatten, mit anderen Worten, die Alternative der graduellen Anpassung zu der von Vargas Llosa vorgeschlagenen Schockbehandlung.
Es folgten Tage vagen Hoffnung und der Rücktritte. Fujimori hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Hälfte seiner Kabinettsmitglieder beieinander. Die Linke konnte sich über ihr Verhalten gegenüber der künftigen Regierung nicht einigen. Fujimori hatte zwei Mitgliedern der Izquierda Socialista (IS) das Energie- und Bergwerksministerium sowie das Landwirtschaftsressort angetragen. Beide Vertreter nahmen das Angebot trotz der vagen Haltung ihres Wahlbündnisses an. Später sollte IS dann verlautbaren, daß die Regierungsbeteiligung seiner beiden Mitglieder auf rein persönlicher Basis stattfinde und das Bündnis in keiner Weise tangiert werde. Zugleich schlug Fujimori Gloria Helfer von Izquierda Unida (IU) als Erziehungsministerin vor. Auch hier dasselbe Spiel: Beteiligung nur auf eigene Verantwortung, obwohl IU nach der Veröffentlichung des Wirtschaftspakets lautstark ihren Rücktritt forderte. Dieses Vorgehen und die Zusicherung von weitestgehendem ministeriellen Handlungsspielraum stellt in der Geschichte der peruanischen Demokratie ein völliges Novum dar. Bislang gab es nur Koalitionen, Allianzen und Absprachen, mittels derer das Land verteilt und die öffentlichen Pfründe besetzt wurden. Fujimori bot nun Handlungsfreiheit ohne Kompromisse und Vorbedingungen an. Der Fall von Gloria Helfer ist in diesem Zusammenhang sehr illustrativ. Es gehörte viel Mut und Kraft dazu, aus der IU auszutreten und zu erklären, nun sei es an der Zeit, für das Land zu arbeiten und das Eintreten für die Wünsche der minderbemittelten PeruanerInnen als Regierungsmitglied in die Praxis umzusetzen; sich nicht länger in Opposition zu üben, sondern nun konkrete Verantwortung zu übernehmen. Die Führung der Linken ist in der Oppositionstradition deformiert worden. Die Linke befand sich in Opposition zur Militärdiktatur, zu den Regierungen Belaúndes und Alan Gracías und will diese Rolle auch unter Fujimori weiterspielen. Alternativen zu nationalen Problemen werden nur aus Anlaß von Wahlen formuliert.

Es ist leicht, mit einem dicken Parlamentariersalär die Oppositionsbank zu drücken.

Unter den Parlamentariern der Linken, die dem Kongreß angehörten und es sind nicht wenige, lassen sich diejenigen, die brauchbare Vorschläge machten, an fünf Fingern abzählen. Das Parlament diente der Linken als Tribüne für die Anklage, ein Umstand, der zeitweise Gewicht hatte. Aber die Parteibasis, die die Linke von 1985 bis zur Wahl Fujimoris zur zweiten politischen Kraft im Land gemacht hatte, forderte mehr als nur parlamentarische Tiraden, sondern konkrete Konzepte zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung Gloria Helfers im doppelten Sinn positiv. Zum einen entspricht sie damit den Wünschen der Basis, zu anderen hat sie mit ihrer Haltung dazu beigetragen, daß sich viele der Linken nahestehende Intellektuelle und Spezialisten, Leute mit guten Ideen und dem Willen zur konkreten und verantwortlichen Arbeit nach Jahren folgenloser Predigten dazu entschlossen haben, mit der Regierung zusammenzuarbeiten.
Mit der Verpflichtung von Juan Carlos Hurtado Miller zum Kabinettschef und Wirtschaftsminister konnte Fujimori die Regierungsbildung abschließen. Der bewanderte Premier, Agraringenieur, Wirtschaftswissenschaftler und Spezialist für Öffentlichkeitsarbeit war bis dahin Mitglied der Acción Popular (AP) gewesen, einer Partei, an der rechten FREDEMO-Allianz beteiligt war. Hurtado Miller ist ein typischer Vertreter der politischen Mitte, ein exzellenter Fachmann, der jedoch in der AP und noch viel weniger innerhalb der FREDEMO hervorstach, wo ihn starke Auseinandersetzungen mit dem “Movimiento Libertad” isolierten, der Gruppierung, die von Vargas Llosa geführt wird, oder besser gesagt, geführt wurde. Vargas Llosa schenkte dem von ihm als Leiter einer 14 köpfigen Gruppe ausgearbeiteten Programm zur Agrarentwicklung keinerlei Beachtung. Anscheinend hat Hurtado Miller den Vorstellungen der FREDEMO niemals allzu nahe gestanden.
Fujimori und sein buntes Kabinett auf breiter Basis hatten nicht die Zeit, konsensfähige Alternativen für die wichtigsten anstehenden Probleme des Landes auszuarbeiten. Das gilt insbesondere für den ökonomischen Bereich, der mit den stärksten Erwartungen verbunden war. Am 28. Juli, dem Tag seiner Amtseinführung, gab Fujimori lediglich einige allgemein gehaltenen Erklärungen zu seiner künftigen Politik ab und vermied es, detaillierter zu werden. In einer anschließenden Pressekonferenz gab er bekannt, daß sein ökonomisches Sanierungsprogramm in den ersten Augusttagen vom Kabinettschef vorgestellt werden würde. Vielen wurden die Tage bis zur Fernsehbotschaft des Premiers lang. Alle wußten, daß die Maßnahmen drastisch ausfallen würden. Dennoch waren die PeruanerInnen weit davon entfernt, nun eine kritischere Haltung einzunehmen. In mehreren Meinungsumfragen stimmte ein wichtiger Teil der Bevölkerung der Feststellung zu, Fujimori bleibe kein anderer Ausweg, da Alan García das Land in den Ruin getrieben habe.
Die Reaktionen änderten sich jedoch schlagartig, als Hurtado Miller den Wirtschaftsplan verkündete. Nicht einmal pessimistische Prognosen kamen der Realität nahe. Zusammen mit den extrem harten Maßnahmen erklärte der Premier, das Land verfüge über keinerlei Haushaltsmittel und die Regierung sehe sich gezwungen, eine irreguläre Emission von Zahlungsmitteln vorzunehmen, um die Staatsangestellten bezahlen zu können. Die Wirtschaft bankrott, unbezahlbare Auslandsverschuldung, Embargodrohungen und zusätzlich keine Möglichkeit eines sofortigen Wiedereinstiegs in das Weltwirtschaftssystem; was also tun? Zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme belief sich die Devisenmasse der peruanischen Zentralbank auf ganze drei Millionen Dollar. Allein zur Finanzierung des vorgesehenen Agrarprogramms hätten innerhalb von zwölf Monaten 500 Millionen Dollar ausgegeben werden müssen. In diesem Zusammenhang war also die Bekämpfung der Hyperinflation und der Ausgleich des Haushalts der zentrale Punkt des Stabilisierungsprogramms. Eigens zu diesem Zweck konstituierte sich eine Kontrollbehörde, das täglich über die Staatskasse Bilanz hielt und sicherstellen soll, daß Ausgaben und Einnahmen ausgeglichen sind. Dieses Prinzip ist unter großen Opfern bislang durchgehalten worden. Gleichermaßen wurde erklärt, das Notprogramm für den sozialen Bereich (Programa de Emergencia Social, PES) bis Dezember über eine Finanzierungsbasis verfüge.
Zu diesem Notprogramm, das für 12 Millionen extrem arme PeruanerInnen gedacht ist, gibt es einen Punkt hervorzuheben. Zu ihrer Information bat die Regierung verschiedene repräsentative VertreterInnen der Gesellschaft, einen Koordinationsausschuß unter der Leitung eines Regierungsmitglieds zu bilden. Zu den eingeladenen Organisationen gehören unter anderem den UnternehmerInnenverband CONFIEP, die Koordination der Komitees des Milchverteilungsprogramms, die nationale Kommission der Volksküchen, nichtstaatliche Organisationen, Stadtverwaltungen und lokale Administrationen.
Vom Handlungsspielraum dieses Koordinationsausschusses her gesehen, bedeutet seine Konstituierung eine Anerkennung derjenigen Überlebensstrategien, die sich in den letzten zehn Jahren parallel zur öffentlichen Politik als Antwort auf die permanente Krise entwickelt haben. Der wesentliche Unterschied zur Praxis früherer Regierung ist, daß diese immer wieder versucht haben, mittels paternalistischer Hilfsprogramme die autonomen Organisationen der PeruanerInnen zu behindern und zu spalten. Die Bitte der Regierung, den Koordinationsausschuß zu bilden, stellt also die Anerkennung der verschiedensten von Frauen geführten Initiativen dar, die sich als die besseren Formen zum Kampf um die Demokratie erwiesen haben. Der sprichwörtliche Kampf um das tägliche Brot wird damit direkt von der Straße in die Regierung getragen.

Verloren in einer Straße ohne Namen…

Die unmittelbaren Reaktionen der PeruanerInnen nach der Verkündung der Wirtschaftsmaßnahmen illustriert den Gemütszustand der Bevölkerung gegenüber der neuen Regierung. Obwohl feststeht, daß der harte Schlag die PeruanerInnen in einen mehr als besorgten und desolaten Zustand versetzte, so muß doch auch gesagt werden, daß es leicht zu einem sozialen Beben astronomischen Ausmaßes hätte kommen können. Es gab einzelne gewaltsame Auseinandersetzungen und Ansätze zu Plünderungen, die aber die große Mehrheit der Bevölkerung nicht mitrissen. Während eines Besuchs bei den Volksküchen des Stadtteils Villa el Salvador von Lima, fragte ich einen Mann, der in einer langen Warteschlange für seine Portion anstand, was er von dem Zeitungskommentar halte, der die PeruanerInnen als passives und untätiges Volk angesichts solch drastischer Dekrete beschrieb. “Wir werden uns doch nicht dafür umbringen lassen, um Zucker oder Öl für einen Tag zu haben, wir wollen eine andere Lösung.” In der augenblicklichen Phase der täglichen politischen Gewalt ist es wichtig, zweimal nachzudenken, bevor gehandelt wird. Alles andere würde den Vorstellungen von Sendero Luminoso nur entgegenkommen. Die PeruanerInnen scheinen mit der neuen Situation ganz gut umzugehen, ganz im Gegensatz zu den Parteispitzen.
Die ParlamentarierInnen sorgten in derselben Woche für einen schalen Beigeschmack, die gemeinsam mit den Abgeordneten der APRA gegen die Wirtschaftsmaßnahmen auftraten und den schleunigen Rücktritt des Kabinetts forderten. Die PeruanerInnen fragten sich, mit welchem moralischen Recht die APRA mobilisierte, war sie doch die Hauptschuldige am Debakel des Landes. Aber wir fragten uns auch, was da die Linke Arm in Arm mit der APRA tat. Um das Faß voll zu machen, waren auf der Demonstration, zu der die Gewerkschaften der Linken (CGTP) und der APRA (CTP) aufgerufen hatten, mehr ParlamentarierInnen und Journalisten als andere Teilnehmer zu sehen. Den Gipfel politischer Tolpatschigkeit erklomm die Gewerkschaftsführung, als sie die mangelnde Beteiligung der ArbeiterInnen auf die hohen Kosten des Nahverkehrs zurückführen wollte. Diese Art von Aufrufen zum Kampf ohne größere Perspektive locken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. In derselben Woche scheiterte ebenfalls ein von den Staatsangestellten ausgerufener Streik. Was allerdings Erfolg hatte, war ein durch die Stadtteilorganisationen der Frauen organisierter Marsch der “leeren Kochtöpfe”, bei dem die effiziente Umsetzung des sozialen Notprogramms gefordert wurde. Die Schlachten der Straße gewinnen nun die Organisationen der unmittelbar Betroffenen und nicht mehr die großen politischen Zentralen, die zur bloßen Konstruktion verkommen sind. Ein Beispiel: Die für die Organisation des Milchprogramms in Lima zuständige Stadträtin hatte erklärt, in Zukunft würden die Milchrationen nur noch an Kinder unter sechs Jahren verteilt. Am folgenden Tag waren zwölftausend Mütter auf der Straße. Sie erklärten kategorisch, Kind höre man nicht mit sechs Jahren auf zu sein, außerdem müßte das Programm auf stillende Mütter ausgedehnt werden. Zwei Stunden später war die Stadträtin ihren Posten los.

Das neue Parlament: “Offizielle” Sprache Quechua?

Eine Anekdote wurde zu dieser Zeit gerne in Lima zum besten gegeben: Ein bekannter Unternehmer hatte sich entschlossen, auf der Liste der rechten Bewegung “Somos Libres” für den Senat zu kandidieren. “Somos Libres” unterstützte Vargas Llosa, war jedoch nicht Teil der FREDEMO. Seine Frau versammelte die gesamte Dienerschaft des Hauses: Köchin, Chauffeur, Gärtner und Butler. Sie bat sie, doch bitteschön für ihren Mann zu stimmen. In ausgesucht höflicher Form widersprach der Gärtner; leider könne er ihr den Gefallen nicht tun, da er selbst auf der Abgeordnetenliste von CAMBIO 90 für Lima kandidiere. Natürlich hat die Geschichte einen glücklichen Ausgang. Der Gärtner sitzt nun im Parlament und der Unternehmer fiel durch.
Die soziale Zusammensetzung ist etwas neues am Parlament. Die Mehrheit der Neulinge von CAMBIO 90 kommen aus dem Volk, mit viel Energie und Nachdruck, aber ohne Erfahrung in parlamentarischer Polemik. Abgesehen von einigem anfänglichen Durcheinander, das durch die Annahme ausgelöst worden war, der Präsident werde die öffentlichen Positionen mit seinen Leuten besetzen, setzte sich schließlich Fujimoris alte Devise durch: “Öffentliche Ämter werden nicht verteilt oder verschachert, sondern neutrale und gleiche Kriterien müssen für alle gelten”. Die ersten hundert Tage deuten auf eine positive Bilanz hin. Die ParlamentarierInnen von CAMBIO 90 halten mit ihrer Kritik an der Regierung nicht hinter dem Berg und formulieren mit viel Klarheit ihre abweichenden Meinungen ohne jedoch den gemeinsamen Konsens abgesehen von den existierenden Beschränkungen zu verlassen. Diese organische Einheit gibt den Debatten in beiden Häusern des Kongresses eine ungewohnten Pep. Dies hat offensichtlich mit dazu beigetragen, daß das Präsidium beider Häuser von CAMBIO 90 trotz fehlender Mehrheit gestellt wird.
Die FREDEMO ist nach der Rückkehr Vargas Llosas nach Europa bis auf das “Movimiento Libertad” zusammengeschrumpft. Alle ehemaligen Mitgliedsparteien arbeiten unabhängig im Kongreß und die Unterschiede in der Haltung gehen von einem Extrem ins andere. Während die einen nichts mit der Regierung zu tun haben wollen, ohne ihrerseits Alternativen vorzustellen, billigen die anderen gnädig die Vorschläge von CAMBIO 90, mehr aber auch nicht. Die von ihnen erzeugte Polarisierung während des Wahlkampfs kehrt sich nun gegen sie selbst.
Was die Linke anbelangt, so scheint sie in die Dauerkrise geraten zu sein. Nach ihrer demütigenden Wahlniederlage versucht sie in der Rolle der radikalen Opposition verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Ein fataler Fehler, denn die PeruanerInnen und die Geschichte haben bereits seit längerer Zeit eine andere Richtung eingeschlagen. Vor allem Izquierda Unida spielt gefährlich mit dem Feuer zugunsten von Sendero. Die große Mehrheit der Parteien der peruanischen Linken hantieren immer noch in unterschiedlichen Abstufungen mit Prinzipien wie der Einheitspartei und dem Demokratischen Zentralismus; sie bezeichnen sich selbst als marxistisch-leninistisch und bei Bedarf auch noch maoistisch. Diejenigen, die das nicht tun, haben sich dieser Terminologie auf eine Weise entledigt, wie man/frau ein abgetragenes Kleidungsstück wegwirft. Ernsthafte Ansätze zum Wandel hat es nicht gegeben. Die Perestroika schmeckt ihnen nicht recht oder sie wird vielleicht nicht richtig verstanden. Sicher ist jedoch, daß die Linke wenig Möglichkeiten hat, einem Fallstrick zu entgehen, falls sie weiter auf Prinzipien und solch orthodoxen Positionen herumreitet. Trotzdem kann nicht behauptet werden, die Linke stelle innerhalb der nationalen Politik nicht dar. Die Beteiligung von drei Linken an der Regierung wird von vielen, vor allem den armen PeruanerInnen, als eine Art Garantie für sie empfunden.

Die heimliche Rechnung Fujimoris

Es ist ein offenes Geheimnis, daß ein Übereinkommen Fujimoris mit der Armee existiert. Dieser Umstand hat Anlaß zu den verschiedensten Kommentaren gegeben, angefangen mit den konservativsten, die eine solche Situation schon aus Prinzip nicht akzeptieren können bis zu den gewagtesten, die sich fragten, welcher der verfassungsgemäßen Präsidenten Perus denn kein Abkommen dieser Art gehabt hätte. Sicher ist, daß Fujimori diesen Pakt geschlossen hat, unklar und der Spekulation überlassen bleibt jedoch sein Ausmaß. So läßt sich auch nur das analysieren, was davon an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Es gab Probleme, die den Militärs Kopfschmerzen bereiteten, eines davon war die wachsende Besetzung der Polizeieinheiten mit APRA-Anhängern. Während der Regierungszeit Alan Garcías wurde die Polizei mit leichten und schweren Waffen massiv hochgerüstet und eine Unmenge an neuen Hauptabteilungen geschaffen, die selbstverständlich von Polizeigenerälen geleitet werden mußten. Das bewirkte eine extreme bürokratische Disproportion und die Struktur hörte auf, pyramidenförmig zu sein und ähnelt heute mehr einem Oktogon. Die Armee war nicht bereit, die zunehmende Verflechtung der Polizei mit paramilitärischen Einheiten, an denen die APRA ebenfalls beteiligt ist, weiter zu tolerieren. Angesichts der Schwäche der Regierung Fujimori schlug sie einen Tauschhandel vor: Unterstützung der Regierung für die Besetzung des Innenministeramts. Fujimori konnte an einer APRA-orientierten Polizei ebenfalls nicht gelegen sein und, schlimmer noch, mit der Kenntnis, daß die Regierung nicht in der Lage sein würde, etwas an dieser Situation zu ändern. Die Karten lagen offen auf dem Tisch. In gewisser Weise begünstigten sie Fujimori, da er ja entsprechend der Logik seiner Moralkampagne die Oberkommandierenden der Marine und der Luftwaffe sowie eine Reihe weiterer Generäle abgesetzt hatte, obwohl anscheinend nur einige korrupt waren. Im Rahmen der Reorganisation des Apparats entließ die Regierung beinahe 200 Offiziere der Polizei. Es gab Stimmen, die die Meinung vertraten, Fujimori sei zu weit gegangen und dies sei möglicherweise der Gegenstand des Kontraktes gewesen. Auf kurze Sicht gesehen hat die Regierung sicherlich davon profitiert, muß diese Beziehung aber mit Glacéhandschuhen anfassen, will sie nicht langfristig verlieren.

Krieg oder Frieden: Eine ungewisse Zukunft

Fujimori übernahm die Amtsgeschäfte in einer Situation des verstärkten Rückzugs von Sendero Luminoso. Ein Rückzug, der nicht nur durch das Scheitern der Strategie des erzwungenen Wahlboykotts bedingt war, sondern insbesondere durch das Wahlergebnis selbst: die Mehrheit der sogenannten Roten Zonen, Gebieten unter der anscheinenden Kontrolle von Sendero stimmten überwältigend für Fujimori. In der Mehrzahl der Departements der Zentralanden gewann Fujimori eine solide Mehrheit. Politisch bereits angeschlagen, mußte Sendero den Verlust von Kadern der mittleren und unteren Ebene hinnehmen, die von Armee und Polizei verhaftet wurden. Natürlich gibt es weiter Bombenattentate und Sabotageakte, wenngleich in geringerem Ausmaß als früher. Sie tragen allerdings eine neue Handschrift: die der Verzweiflung. Sendero will um jeden Preis seine Protagonistenrolle erhalten, dies treibt die Organisation zu unkoordinierten und ihre Kräfte übersteigenden Aktionen. Das war bislang nicht geschehen, die Basis ist verunsichert. Dieser Umstand wurde an einem Konflikt unter Senderisten im Gefängnis von Canto Grande deutlich, der mit dem Ausschluß von drei Genossen und ihrem “Umzug” in den Trakt der gewöhnlichen Gefangenen endete. Das heißt nun nicht, daß Sendero etwa geschlagen und seine Tage gezählt seien, es bedeutet lediglich, daß sich Sendero in seiner ersten ernsten Krise befindet und der Grund dafür ist in seiner politischen Niederlage zu suchen.
Der MRTA seinerseits hat nach einem spektakulären Gefängnisausbruch durch einen 320 Meter langen Tunnel, der in dreijähriger Bauzeit entstanden war und durch den 48 MRTA-Gefangene inklusive dem legendären Víctor Polay alias Comandante Rolando entkommen waren, per Video über einen Fernsehkanal den Dialog angeboten. Vorbedingung sei allerdings die vorherige Auflösung der “politisch-militärischen” Kommandos in den Gebieten des Ausnahmezustands. Am 22. September entführte ein MRTA-Kommando den parlamentarischen Geschäftsführer der CAMBIO 90-Fraktion, Gerardo López. Nach einer Woche wurde er freigelassen und einem Fernsehsender mitgeteilt, wo er aufzufinden sei. Von dort direkt in den Sender gefahren und vor Kameras befragt, informierte López über “die Bereitschaft des MRTA, in Verhandlungen mit der Regierung und Vertretern der Basisorganisationen ohne Waffenniederlegung zu treten mit dem Ziel, Übereinstimmung über konkrete Punkte zu erzielen, die zu einem Waffenstillstand in einem Bürgerkrieg führen könnten.” Außerdem bemerkte López, der MRTA sei nicht bereit, direkt mit Fujimori zu verhandeln da sie “der Ansicht sind, daß die politische Persönlichkeit des Präsidenten weder Garantien und Sicherheit noch Glaubwürdigkeit verkörpert. Sie betonen ihre Ablehnung mit dem Argument, daß der Präsident der Bevölkerung ein anderes Programm versprach, als er es jetzt anwendet, was ihn als Gesprächspartner disqualifiziert.” Ihr Hauptinteresse richtet sich unter anderem auf den Vizepräsidenten, Dr. Carlos García oder den Senatspräsidenten, Máximo San Román.
All diese Elemente sind Teil einer neuen politischen Szenerie. Aus diesem Grund steht zu hoffen, daß der neuen Regierung nicht derselbe Irrtum unterläuft wie all seinen Vorgängern, nämlich mit der Anschaffung von Feuerlöschern zu beginnen, wenn das Haus bereits in hellen Flammen steht.

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