Kunst | Nummer 399/400 - Sept./Okt. 2007

Ganz und gar nicht leise

Das feministische Kollektiv Ira del Silencio aus Mexiko kämpft mit Kunst gegen sexistische Gewalt, Machismo und das Schweigen in der Gesellschaft

Feminicidios werden die Frauenmorde genannt, die mittlerweile ein gesellschaftliches Phänomen in mehreren Ländern Lateinamerikas darstellen. Mexikanische Künstlerinnen geben ihrer Wut und dem Entsetzen über die Gewalt eine ästhetische Sprache.

Volkmar Liebig, Anja Witte

La Ira del Silencio – Der Zorn des Schweigens. Die Frauen des gleichnamigen Kunstkollektivs sind wütend. Wütend über eine patriarchale Kultur, die stark von Machismo und Gewalt gegen Frauen geprägt ist. Wütend auf die Trägheit mexikanischer Behörden im Kampf gegen Entrechtung von Frauen. Und wütend über das Schweigen – das Schweigen der fast 20 Jahre andauernden Straflosigkeit für die Mörder der 500 Mädchen und Frauen in Ciudad Juárez, an der Nordgrenze Mexikos, und Tausender anderswo. Der Zorn des Schweigens steht aber auch für eine Protestform, die nicht auf Populismus oder spektakuläre Aktionen setzt, sondern sich im Stillen, der ruhigen Atmosphäre einer Ausstellung, präsentiert. Die Kunstwerke der sich selbst als „Feministinnen“ bezeichnenden Künstlerinnen sind nämlich meist in kleineren Museen, Kulturzentren oder auch gediegenen Cafés zu sehen. Bis nach Berlin, Bilbao und in die Schweiz sind ihre Bilder schon gereist. Das Zentrum der Aktivitäten ist aber immer noch Mexiko-Stadt, wo eine große Zahl der Künstlerinnen und die meisten UnterstützerInnen des Kollektivs leben.
Die Ausdrucksformen der Ira del Silencio-Künstlerinnen sind vielfältig. Klassische Ölfarbe und Leinwand gehören zu den typischen Materialien, mit denen viele ihrer Kunst Farbe und Aussage verleihen. Einige komplexe Installationen gehören dazu, die auf geeignete Raum- und Lichtverhältnisse angewiesen sind, sowie Foto-Realismus und Collagen. Gemeinsam ist den Kunstwerken, dass sie das Schweigen über Gewalt gegen Frauen brechen wollen. La Ira del Silencio verstehen ihre Kunst unbedingt als politisch und folgen der Intention, über ihre Kunst Wissen und Kritik zu transportieren und so gesellschaftliche Veränderung zu provozieren. Seit vielen Jahren haben sie diverse Ausstellungen zu Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen gemacht.
Die Ausstellung „En el país del no pasa nada“ (Im Land des ‚Nichts passiert‘) wurde im Gedenken und in Solidarität mit den ermordeten Frauen von Ciudad Juárez und ihren Angehörigen geschaffen. Selbst auf den ersten Blick harmlose Gemälde offenbaren eine Realität, die von Mord, Tod und Folter junger Frauen geprägt ist, wie sie sich in der mexikanischen und zentralamerikanischen Gegenwart reflektieren.
Der Titel der Ausstellung ist tief sarkastisch und nimmt Bezug auf die Reaktionen des mexikanischen Staates, der lange Jahre die Morde einfach verleugnet hat. Und er macht deutlich, dass Mexiko eben nicht nur das schöne Urlaubsland ist, das viele kennen.
Ein in rot gehaltenes Gemälde zeigt eine junge Frau, die vom Gesichtsausdruck her friedlich entschlafen scheint. Um sie herum schimmern Totenköpfe durch das blutige Rot: Es gibt keinen friedlichen Schlaf für diese Frau. Der Widerspruch innerhalb dieser Darstellung ist eklatant, zeigt sie doch die Wehrlosigkeit des Opfers und lässt drastisch die ungefilterte, hässliche Gewalt mitschwingen, die sich gnadenlos gegen die jungen Frauen richtet. Dem Unfassbaren soll so eine Form gegeben werden, in der sich Wut, Trauer und Protest ausdrücken können. Die Botschaft ist klar: Solidarität mit den toten Frauen von Juárez und alle Verachtung für die Täter, die wenn schon nicht in der Realität, so doch abstrakt auf diese Weise bloßgestellt werden.

Ins Auge springen insbesondere bei dieser Ausstellung einige sich wiederholende Motive und Symbole. Wüste und Sand werden immer wieder aufgegriffen. Das ist der Lage von Ciudad Juárez zu verdanken, inmitten der staubigen Einöde an der Grenze zu Texas. Hier in der Wüste werden die ermordeten Frauen oft nach langer Suche durch die Angehörigen schließlich gefunden. Es finden sich immer wieder Kreuze auf den Bildern. Diese Kreuze werden auch von AktivistInnen und Müttern ermordeter Frauen überall in Ciudad Juárez aufgestellt, um an die Toten zu erinnern. Die Farben Pink und Schwarz dominieren die Bilder. Auf diese Farben wird sehr stark in der Bewegung gegen Frauenmorde zurückgegriffen. Einige der Bilder sind sehr drastisch in ihren Darstellungen und fast schmerzhaft für die BetrachterInnen in ihrer Brutalität und ihrem ungeschönten Hinweis auf die massive Gewalt, die den Frauen vor ihrer Ermordung angetan wird.

Das Kunstkollektiv La Ira del Silencio existiert seit 1994 und hat es in dieser Zeit auf über 40 Ausstellungen gebracht. Keineswegs beschränkt sich dabei das Material auf die Frauenmorde von Ciudad Juárez, auch wenn diese zur Zeit eines der zentralen Themen der Künstlerinnen sind. Politische Kunst heißt nämlich für die 28 Frauen des Kollektivs auch, ihre eigene gesellschaftliche Rolle als Frau zu verarbeiten und Position im Kampf für die Gleichberechtigung besonders benachteiligter Frauen zu beziehen. Davon zeugen beispielsweise die ersten Ausstellungen mit den Titeln „El delito de ser mujer“ (Das Verbrechen, Frau zu sein) oder „La mujer indígena“ (Die indigene Frau).
Den Künstlerinnen kommt bei ihrer Ausschöpfung der vollen Bandbreite der bildendenen Künste zugute, dass sie sehr verschiedene Hintergründe haben. Einige beziehen sich stark auf die Traditionen indigener mexikanischer Kunst und benutzen deren Techniken und Symbolik. Andere sind eher modernen Kunststilen verpflichtet, wovon beispielsweise eines der bekanntesten Ira-Bilder von Ana María Iturbe zeugt, auf dem eine bis ins Grenzenlose reproduzierte fotorealistische Darstellung einer in Ciudad Juárez ermordeten jungen Frau im hundertfachen Fadenkreuz der Täter zu sehen ist. Trotzdem werden alle Entscheidungen im Kollektiv gefällt, gemeinschaftlich wird über das thematische Feld einer Ausstellung, deren politische Aussage oder auch über die einzelnen Ausstellungsorte abgestimmt.

Aufsehen erregten La Ira del Silencio, als sie den Schritt von Museen in öffentliche Räume wagten. Viel Resonanz in den Medien fand ihre Ciudad-Juárez-Ausstellung auf dem Zócalo in Mexiko-Stadt zum Weltfrauentag 2004, die sie zu diesem Zweck auf Lastwagenplanen gedruckt hatten. In gänzlich ungewohntem Rahmen und kontextualisiert durch andere, gleichzeitig ablaufende Veranstaltungen, sollte so die breite Masse der Zócalo-BesucherInnen für das Thema Frauenmorde sensibilisiert werden.

La Ira del Silencio sind damit insbesondere bezüglich der Frauenmorde Teil des breiten Spektrums mexikanischer und internationaler KünstlerInnen, MusikerInnen, AutorInnen und FilmemacherInnen, die dieses Thema durch ihre Arbeit in die Öffentlichkeit bringen und versuchen, dem tolerierenden, komplizenhaften Schweigen ein Ende zu bereiten (siehe auch das Interview mit der Schauspielerin Vanesa Bauche, LN Nr. 357). Als Künstlerinnen haben sie dazu die Freiheit, da sie nicht so wie die AktivistInnen oder JournalistInnen vor Ort in der Schusslinie der Mörder und ihrer stillschweigenden Verbündeten stehen.

mehr Infos:
www.lairadelsilencio.spaces.live.com

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