Gefangenenaustausch bleibt Utopie
Regierung trägt Mitschuld am Tod der Geiseln
Es sollte ein Paukenschlag der Armee werden und entwickelte sich zu einem blutigen Fiasko. Nachdem Soldaten des kolumbianischen Militärs das verlassene Camp der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens FARC in dem nordwestlichen Dschungelgebiet Urrao betraten, fanden sie zehn Leichen vor.
FARC-Guerilleros erschossen am 5. Mai ihre Geiseln, um vor der anrückenden Armee zu fliehen. Unter den Toten befanden sich neben acht Militärangehörigen der Gouverneur der Provinz Antioquia Guillermo Gaviria und der ehemalige Verteidigungsminister Gilberto Echeverry. Offenbar wollten die Rebellen mit der Erschießung deutlich machen, dass mit ihnen nur eine verhandelte Freilassung der Geiseln möglich sei und keine mit militärischen Mitteln.
Denn bereits im April verdichteten sich die Anzeichen für eine mögliche Vereinbarung zwischen Uribe-Regierung und den FARC über einen Gefangenenaustausch. Bogotá stellte ein Abkommen in Aussicht, das vier Kernpunkte erfüllen müsse: im Gefängnis sitzende Guerilleros hätten das Land zu verlassen, während alle Geiseln frei gelassen werden müssten, eine von der Guerilla geforderte entmilitarisierte Zone wäre kein Thema und alle Kontakte müssten unter Vermittlung der UNO stattfinden. Noch als Uribe den Medien diese Punkte diktierte, flogen die Helikopter bereits in Antioquia ihre erfolglose Operation. Das Interesse an einem Abkommen schien beim Präsidenten nicht groß gewesen zu sein.
Uribe streitet Kenntnisse über Kontakte ab
„Man muss mit der Guerilla aufräumen, keine Rücksicht mehr mit Marulanda und seinen Leuten“, zürnte Uribe kurz nach der Hiobsbotschaft. Geschickt verkaufte der Präsident in den Medien das Massaker als Alleinverantwortung der FARC, ohne von den Kontakten zu berichten, die es auf regionaler Ebene mit der gleichen Guerillagruppe gab, um eine friedliche Freilassung der Gefangenen auszuhandeln.
Mit Wissen Uribes, wenn man den Aussagen der Witwe des ermordeten Gouverneurs, Yolanda Pinto, Glauben schenkt. Demnach gab es von Regierungsseite regen Kontakt mit den FARC, die sich in Hilfslieferungen für die Gefangenen ausdrückten. „Das erste Mal, dass wir Sachen zu ihnen schickten, war über das Internationale Rote Kreuz. Ich habe darüber den Präsidenten informiert und er sagte mir, dass das in Ordnung geht, aber die UNO dazu eingeschaltet werden soll“, so die Witwe. Der Höhepunkt: Nur einen Tag vor der Militäroperation landete nach Recherchen der Zeitschrift Cambio ein Helikopter der Provinzregierung im Guerillalager, um elf kranke Rebellen auszufliegen und behandeln zu lassen. Weitere Flüge soll es in den Monaten zuvor gegeben haben.
Doch Uribe konnte sich nach dem 5. Mai nicht daran erinnern, jemals etwas über solche Serviceleistungen gewusst zu haben. Offenbar gab es auf regionaler Ebene fruchtende Kontakte zu einer Freilassung der Gefangenen, die jedoch durch die Militäroperation zunichte gemacht wurden. Dass Uribe seiner Kenntnisse über die Kontakte abstreitet, hat seinen Grund. Sollte er davon gewusst haben, hätte er den Tod der Geiseln und ein Scheitern der Annäherung zwischen Guerilla und Regierung billigend in Kauf genommen.
Eine Armee auf Raubzug
Ein Skandal anderen Stils wurde Mitte Mai publik. 147 Soldaten einer Antiguerilla-Einheit hatten einen Monat zuvor sechs Tage im Süden Kolumbiens die Erde durchgepflügt. Nach Armeeinformationen sollten in der Provinz Caquetá nach heftigen Bombardements der Luftwaffe Dutzende tote Guerilleros verscharrt worden sein, welche die Eliteeinheit finden wollte.
Doch statt der Leichen holten die Soldaten am 18. April zehn große Plastiktonnen aus dem Boden, prall gefüllt mit Banknoten. Nachdem diese durchgezählt wurden, entschloss sich die Einheit kurzerhand, den Schatz aufzuteilen und nicht ans Hauptkommando zu melden. Umgerechnet mindestens 14 Millionen US-Dollar, die offenbar den FARC-Rebellen aus dem Drogengeschäft gehörten, gingen lautlos in die Hände der Soldaten und Kommandeure über.
Galten diese vergrabenen Schätze bisher als Mythos, den desertierte Guerilleros verbreiteten, wurde dieser für die Soldaten zur Realität und für das kolumbianische Hauptkommando zum Alptraum. Der Vorfall gilt als bisher größter Korruptionsskandal innerhalb der kolumbianischen Armee und wiegt besonders schwer, da es sich um eine kollektive Tat einer ganzen Kompanie handelte.
Besonders peinlich für das Hauptkommando: bisher konnten nur gegenüber 40 der Haftbefehl vollzogen werden, weitere 107 Militärs sind vom Erdboden verschwunden.
Rücktritte und Urlaubsverlängerung
Nach dem unerwarteten Fund kam es zu ungewöhnlichen Vorgängen. Das komplette Antiguerilla-Bataillon wurde überraschend kurzfristig in einen anderen Landesteil verlegt. Nur drei Tage später traten dort 42 Soldaten und Militärs mittleren Ranges ohne größere Erklärungen von ihren Ämtern zurück. 15 kehrten nicht mehr aus dem Urlaub zurück und weitere neun desertierten spurlos.
Daraufhin leitete die Armee eine Untersuchung ein, die eine tiefere Verstrickung des ganzen Bataillons aufzeigte, aber dennoch nicht das Verschwinden weiterer Soldaten verhindern konnte. Neben den Dieben die einzigen Glücklichen: Puffs, Autohändler und Schmuckverkäufer der kolumbianischen Provinzstadt Popayán, die Dank dem Bataillon im April nach eigenen Aussagen den besten Geschäftsmonat hatten.
Antiterror-Statut vor der Verabschiedung
Während anderswo eine striktere Kontrolle des Militärs zur Diskussion stünde, kann sich die kolumbianische Armee stattdessen auf eine deutliche Erweiterung ihrer Rechte stützen. In der zweiten Mai-Woche gab das kolumbianische Abgeordnetenhaus einem Antiterror-Statut grünes Licht, das der Armee künftig juristische Befugnisse per Verfassungsreform einräumen soll. So darf diese jegliche Kommunikationskanäle auf eigenen Verdacht anzapfen, ohne auf eine richterliche Erlaubnis angewiesen zu sein.
Auf gleicher Basis würden Hausdurchsuchungen sowie Festnahmen möglich werden, die bereits in den achtziger Jahren verfassungsrechtlich verankert waren. „Die haben schon damals nichts genützt und konnten nicht mit der Guerilla aufräumen“, so der linke Abgeordnete Gustavo Pérez. „Im Gegenteil, die Menschenrechte wurden massiv verletzt.“
Andere Stimmen stellten das Antiterror-Statut zynisch mit dem Geldraub in Bezug und erwarten in Zukunft mehr solcher Vorfälle, wenn Sicherheitskräfte unkontrolliert Häuser, Wohnungen und Ländereien durchsuchen dürfen.
Als „ein Mittel mit katastrophalen Auswirkungen auf die Menschenrechte“ bezeichnete amnesty international die Regierungsinitiative. Anschuldigungen gegen vermeintliche Terroristen würden ausschließlich auf Militärquellen beruhen, eine Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen sei nicht mehr gewährleistet.
Ähnlich scharfe Kritik kam aus den Reihen der UNO. Laut dem Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen ist das Antiterror-Statut, das Ende Mai nur noch durch den Senat gehen muss, nicht vereinbar mit internationalen Normen. „Kolumbien verletzt den internationalen Pakt über Zivil- und Politikrechte und die Amerikanische Menschenrechtskonvention “, so der UNO-Menschenrechtsbeauftragte Michael Frühling.
Statt eine Korrektur der harten Linie vorzunehmen, attackierte die Uribe-Regierung die Vereinten Nationen. Die kolumbianische Verteidigungsministerin wies die UN-Kritik mit dem lakonischen Argument zurück, dass die Kommunikationsmittel der Kriminalität dienten und hinterfragte gleichzeitig das Engagement der UNO im Land für eine Neuauflage von Gesprächen zwischen Regierung und Rebellen. „Eine Verteidigung im Sinne der Terroristen“, brandmarkte die Ministerin ein Interview des UNO-Sonderbeauftragten James Lemoyne, in dem dieser den Kern der FARC-Guerilla als politisch tief gebildet bezeichnete. Statt den „Terroristen“ sollte laut der Ministerin den demokratischen Institutionen des Landes internationale Hilfe zuteil werden.
Lemoyne bemühte sich 2001 erfolglos als UNO-Sondergesandter um eine Reaktivierung der Friedensgespräche und gilt als Kenner der FARC-Guerilla. Im Interview mit der Tageszeitung El Tiempo machte er ausdrücklich klar, dass mit den FARC politische Abkommen getroffen werden können. Was im Präsidentenpalast nicht gern gehört wird, schwört man das Land doch auf einen Kriegskurs gegen eine rein terroristische Vereinigung ein.