Guyana | Nummer 409/410 - Juli/August 2008

Gehärtete Sonnentränen

Ein Diamantenwäscher aus Guyana erzählt

In Guyana ist der Gold- und Diamantenabbau stets mehr gewesen als ein bloßer Erwerbszweig: Er ist utopisches Lebenskonzept, Sinnbild der Emanzipation für die während und nach der Kolonialzeit Unterdrückten, Fluchtort für Außenseiter, Traum der Jugend und zugleich bitterer Fluch. Schon Sir Walter Raleigh erlag 1595 der Magie des Goldes. Seine waghalsigen Unternehmungen, in Guyana das legendäre El Dorado zu finden, fraßen nicht nur sein Vermögen auf, sondern auch ihn selbst. Ab 1880 brach ein Gold- und Diamantenrausch aus. Vornehmlich afrikanischstämmige Landarbeiter machten sich auf in den Busch; ein batelle zum Goldwaschen und rations (Proviant) waren ihre einzige Ausrüstung. Heute arbeiten die meisten Gold- und Diamantengräber nicht mehr zu zweit als Partner, sondern in Teams zu sieben bis zehn Personen. Beinahe jeder gesunde Afro-Guyaner, etliche Amerindians und Brasilianer arbeiten während ihrer Jugend in den Minen, viele bleiben dieser Tätigkeit bis zu ihrem Tode treu. Der folgende Erfahrungsbericht eines Diamantenwäschers ist dem neuen Guyana-Buchprojekt „Im Banne des Kumaka-Dschungels“ entnommen und erscheint hier als Vorabdruck:

Ingolf Bruckner

„Ich bin seit sieben Jahren im gold und dymon bush, ich weiß, wovon ich spreche. Wir sind alle bibeltreu, und wir haben eine hübsche Ahnung, was das Leben wert ist. Wären wir sonst hier? Leicht hätten wir zurückbleiben können im Filz von Georgetown, wo die Ratten groß und fett sind wie pekaris und die Menschen dünn wie verkohltes Papier. Aber wir arbeiten lieber wie Sklaven für unsere fernen Ladies an der Küste, unsere Mamas, unsere kleinen Schwestern und Brüder, anstatt dort zu sein und sie und uns zu demütigen.
Im dymon bush tun wir immer was gegen Langeweile. Die meiste Abwechslung gibt es bei den supply shops [Vorratsläden]. Die liegen an strategischen Verteilungspunkten: an Flusslandestellen, Flugpisten, Weggabelungen. Einfache Holzkisten sind sie, in denen du schier alles kaufen kannst: Schaufeln, Nägel, Munition, geschmuggeltes Bier, Gummistiefel, Batterien, Malariatabletten, Samuraischwerter, Streuselkuchen. Hier treffen sich alle crews auf neutralem Boden. Ein guter shopkeeper [Ladeninhaber] dekoriert den Laden mit Lampions und Weihnachtsschmuck. Weihnachtsschmuck sieht immer schön aus und erfreut auch zu Ostern oder Pfingsten.
Der gute shopkeeper besitzt mannshohe Lautsprecher und ein Arsenal von Musikkassetten: Nat King Cole und Frank Sinatra sind romantische Musik fürs weiche Herz, vertonte Emotion, noch wichtiger aber ist heutzutage der dub: die Dancehall-DJs aus Kingston, angefangen bei Bounty Killer bis hin zu Elephantman, bassschwer, gestyled, gemixt. Dann gibt es die sound systems aus Georgetown, den Soca aus Trinidad, und schließlich culture music: Da steht allen voran der Mann, den sie Bob Marley nannten. Wenn Musik läuft, gibt es kein Halten: War auch der Tag so schwer und die Sonne so heiß und die Sklavenzeit der Vorfahren so hart, wir tanzen und johlen juhujui! und leben, denn ob es ein Morgen gibt, wir wissen es nicht.
Der gute shopkeeper besitzt Videos sämtlicher dritt- und viertklassiger Kung-Fu-, Box-, Gangster-, Horror-, Donald-Duck- und Western-Filme, die die yankeeboys [US-Amerikaner] oder chyneemen [Chinesen] je abgedreht haben. Aber wo gibt es einen guten shopkeeper! Der normale shopkeeper hat zwanzig Filme, die er immer wieder dem immer gleichen Publikum vorführt. Und so kommt es, dass sich die ZuschauerInnen auch im Alltag stetig ihren ewig gleichen Filmhelden annähern. Sie übernehmen nicht nur ihre klangvollen Namen. Jeder will auch so cool & slack und bitterböse sein. Nach einem Jahr hat die crew X lange Chinesenzöpfe, die crew Y trägt zum Ausgehen Strumpfmasken oder grüne Duschhauben, die crew Z lässt sich den Hals tätowieren.
Der gute shopkeeper hat Ladies im Angebot, manche von ihnen bis aus Brasilien…
Aber genug! Denn wann kommt es zu Zerstreuungen? Doch nur, wenn wir unseren backdam, also unseren wok place [Arbeitsplatz], unsere Mine, verlassen, um in die Zivilisation zu reisen und unsern Kies auszugeben und Rationen zu kaufen. Der shop an der Wegscheide, das ist die einzige Zivilisation, das einzige Stück Kultur, das viele von uns kennen. Plätze wie Kurupung, Kamarang, Arakaka, Kaitum – welch unwirkliche, verwirrende Glitzerwelten!
Drei Jahre bearbeite ich meine eigene land drudge [Schürfanlage] auf 25 claims, offiziell registriert zu je 800 x 1.200 Fuß. So bin ich kein wilder pork knocker [illegaler Goldsucher] und doch mein eigener bossman [Chef].
Vor Morgengrauen stehen wir auf. Wir essen geröstetes Topfbrot, Rührei, frittierten patwa [Fisch]. Daran soll es nicht fehlen. Kriegen die Männer nicht gut zu essen, werden sie launisch, schaffen nichts, rebellieren. Wir trinken ein Gemisch aus Sasparilla-Sud, porridge, Milchpulver und Zucker, nelkengewürzt. Wir nennen diese Mischung „Tee“ oder „Kaffee“. Sasparilla-Wurzeln sind gut für den Rücken, und Zucker weckt den Geist. Jeder wäscht sein tinnin cup, also sein Geschirr, im Wassereimer selber ab – ich dulde keine Hierarchien –, und hängt es dann an seine Astgabel am Pfosten der Feuerstelle, ich als bossman ganz oben. Der alte Solex bleibt im camp zurück, schaut nach dem Rechten und kocht; wir anderen, also ich, die beiden entflohenen Sträflinge aus Minas Gerais, Quamin, Sickman und Quashie zögern nicht lange, jeder weiß, was er zu tun hat, schweigend steigen wir den Pfad herab zum backdam [dem „Hinterland“], warishis [geflochtene Tragekörbe] mit Benzin auf dem Rücken, Regenwasserkanister zum Trinken, Kettensäge, Schaufel, Gabel, Axt, Spitzhacke, Machete in der Hand. Der Tag dräut aschgrau und taufrisch. Die Pumpe läuft an, welche auf dem Floß in der Mitte des künstlichen Sees liegt, der sich neben unserer Diamantengrube gebildet hat. Jeder geht auf seinen Posten. Quashi bleibt oben, zerschneidet mit der Kettensäge das Wurzelchaos am Grubenrand, Sickman hilft ihm dabei, hackt mit der Axt die Deckschicht locker, räumt Laub, Astwerk, Steine zur Seite, achtet außerdem auf die Benzinzufuhr für die Pumpen. Wir andern arbeiten in 15 Fuß Tiefe. Ich und Joao sind die jetmen: Wir führen die beiden von der Seepumpe gespeisten Kerscher und spülen mit ihnen, den Wasserstrahl leicht von unten nach oben auf das Bodenprofil der Grubenwand gerichtet, aus dem Rand der Grube diamanthaltigen gravel, welcher sich in einer breiten Schicht zwischen wurzeldurchflochtener Humusdecke und Tonsockel befindet.

Hitze, bitterkalter Regen, nichts hält uns auf, wir sind Soldaten. Soldaten des Glücks

Das Seewasser aus den Spritzdüsen verbindet sich mit dem gelösten Material zu kostbarem, sedimentreichem Schlammwasser. Dieses läuft von der Grubenwand hinab bis in die tiefste Stelle der Grube. Quamins Aufgabe ist, den Weg für das Schlammwasser freizuhalten. Dazu muss er mit Gabel oder Spitzhacke grobes Geröll und herabgestürzte Zweige entfernen und mit der Schaufel die optimale Fließrichtung vorbereiten. Wenn er Hilfe braucht, springt Sickman hinzu. Bonfa ist unser marokman. Er steht den ganzen Tag bis zu den Schenkeln hinauf im diamanthaltigen Schlammwasser, das sich letztlich an der trichterförmigen Vertiefung der Grube sammelt. Bonfa hält das Ende des dicken Schlauches im Arm, durch den mittels unserer zweiten, abseits stehenden Pumpe das schlammhaltige Wasser aus der Grube angesaugt wird. Mit der anderen Hand erhöht Bonfa die Saugstärke der Pumpe, wenn der Wasserpegel sehr hoch ist oder senkt sie, indem er einen Stock dreht, auf den ein mit der Schaltung des Pumpengetriebes verbundenes Seil gewickelt ist. Das kostbare Wasser wird auf diese Weise bis hinauf in den lavador gepumpt. Der lavador sammelt schweres diamant- und goldhaltiges Material; er siebt die großen Gesteinsbrocken aus und spült die leichten, wertlosen Schlammpartikel mit dem Wasser zurück in den See. Beinahe wie eine richtige Waschmaschine funktioniert so ein lavador: Membranen bewegen sich seitwärts in ihm vor und zurück, dadurch steigt und sinkt der Wasserlevel rhythmisch, und die Diamanten mit ihrer großen Dichte sinken an den Grund.
So verläuft der Tag: Hitze, bitterkalter Regen, nichts hält uns auf, wir sind Soldaten. Soldaten des Glücks. Mittags gibt es eine Pause. Dann kommt Solex mit dem Essen, er kommt singend, er singt immer, und zwar stets das gleiche Lied: „Rasta don’t wok fuh no CIA!“, und wir setzen uns an den Rand der Lichtung in den Schatten. Was Solex bringt? Heißen Sasparilla- oder Capadula-Tee, dazu Rind oder Huhn, Reis, Bohnen und duff [Mehlpudding], manchmal Klöße aus Mehl, die wir tiger nennen, manchmal Kassava, manchmal Kürbis, immer Mayonnaise, Ketchup, Senf, wiriwiri-Pfefferschoten.
Bis kurz vor Sonnenuntergang erlauben wir uns keine vergeudete Zeit. Steigen die Flüsse im Juni an, müssen wir diesen wok place [Arbeitsplatz] räumen und können erst im Dezember zurück. Da auch zwischendurch nach kräftigem Regen das Wasser kurzzeitig anschwellen mag, habe ich die Pumpe, die den lavador versorgt, auf ein Ponton geschraubt.

Jeder in der crew macht, was er am besten kann, jeder weiß, alle Arbeit muss verrichtet werden, ist gleich viel wert

Abends sind wir still vor Müdigkeit, zittern vor Kälte und Feuchtigkeit oder Fieber, gehen an unsern Bach, um den Schlamm abzuwaschen, der unsere Körper bedeckt. Wir sind Krieger, erlöst bis zum Sonnenaufgang. Solex nennt uns buffalo soldiers. Solex hat was Gutes in der Pfanne, vielleicht hat er einen Truthahn erlegt oder Alligatoren geangelt, die er sofort zubereitet, weil ihr Fleisch im Handumdrehen verdirbt. Oder er hat chow mein [chinesische Nudeln] oder einen fetten cook up gekocht. Vor allem hat er das Radio an für uns: Es gibt Cricket News, BBC-Weltpolitik, eine theologische Diskussion, eine Predigt. Das Radio ist winzig, es steht auf der Tischkante im camp, das umkränzt ist von gezackten Baumkronen eines endlosen Dschungels und beschirmt von Stier und Löwe und Schlangenträger; zitternde, von den Zikaden halb übertönte Stimmen dringen aus dem Lautsprecher, legen Zeugnis ab von fernen, hoffnungslosen Kriegen. Um acht geht der vorletzte Kerosindocht aus, Quashie beginnt sofort in seiner Hängematte zu schnarchen.
In die Stadt fahre ich alle zwei Wochen, verkaufe unsere Ausbeute bei Karautzky. Der zahlt für einen sauberen Einkaräter 60.000 Guyana-Dollar (cirka 200 EURO), für den man im Busch nur 45.000 kriegt, für einen Zweikaräter 300.000. Ich kümmere mich in den Mines & Geology und Lands & Surveys Departments um den Papierkram für die Mine, besorge Vorräte, Ersatzteile, Benzin, Kleinigkeiten für die Jungs, die sie mir auf die Liste geschrieben haben, überbringe Briefe und Geld an ihre Ladies. Wenn ich wieder hier bin, muss ich als erstes den Bootsmotor reparieren, Zinkblechschilder für die claims ausschneiden, beschriften und erneuern (für jeden claim brauche ich vier Stück, häufig fallen sie ab oder verschwinden), Benzin ins Versteck bringen, damit es nicht von herumstreunenden Fremden abgesaugt wird, im Busch Limonen für den patwa pflücken.
Alle sechs Tage lassen wir die Pumpen ausruhen und schippen den Inhalt des lavadors portionenweise in Eimer. Die kippen wir nach und nach auf drei übereinanderliegenden runden Handsieben verschiedener Stärke aus, welche in einem flachen, wassergefüllten Holzbecken liegen. Jeder in der crew macht, was er am besten kann, jeder weiß, alle Arbeit muss verrichtet werden, ist gleich viel wert – darum übernimmt stets Sickman die Handsiebe, wenn wir den lavador auswaschen. Er weiß, wie groß er die Portion des köstlichen Materials zu wählen hat, wie er sie am besten im Sieb sammelt, wie er ein jedes Sieb flach auf dem Wasserspiegel hält und in ruckartigen Bewegungen dreht, dabei kurz loslässt und wieder zupackt, das vier- bis fünfmal…– und schon nimmt die Portion im Sieb Gestalt an: die pebbles – weiße, relativ leichte und häufig vorkommende Quarzsteine – bilden nun einen dicken Ring am Rand des Siebs, in der Mitte aber hat sich schwereres Material gesammelt, schwarzsilberner Pyrit, sogenannte ironstones, darin liegen die Diamanten, gehärtete Sonnentränen, stecknadelkopfgroß zumeist, oft reiskorngroß, mit Glück wie ein Kirschkern, selten größer, und doch stets sofort erkennbar im gleißenden Tageslicht, wir sammeln sie mit der Hand raus und tun sie in ein Wasserglas. Ab und an – weil Gold noch schwerer ist als Diamanten – haben wir ein nugget dabei.“

Der Artikel wurde bereits in der Schweizer Zeitschrift für Kulturkritik Schritte ins Offene publiziert.

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