Gemeinsame Realitäten
Treffen von Landarbeiterinnen aus Lateinamerika und der Karibik
Nahezu sieben Jahre ist es her, daß Vanete Almeida aus Pernambuco die Idee zu diesem Treffen hatte, als sie während des 5. lateinamerikanischen Feministinnentreffens feststellte, daß unter 3000 Teilnehmerinnen lediglich sieben Landfrauen waren.
Sie ist eine der Hauptorganisatorinnen des Treffens und seit 20 Jahren in der Landfrauenbewegung im brasilianischen Nordosten tätig. 1993 begannen die eigentlichen Vorbereitungen mit Treffen von Basisgruppen, Kooperativen und Gewerkschaften auf regionaler bzw. nationaler Ebene. Hier wurden die Themenschwerpunkte des 1° ENLAC diskutiert und an die internationale Koordination, die sich ebenfalls 1993 das erste Mal in Fortaleza und ein zweites Mal 1995 am Rande der Weltfrauenkonferenz in Peking traf, weitergegeben.
“Die meisten Landarbeiterinnen leben sehr isoliert, ohne Telefon, und es mußten viele, viele Kilometer zu Fuß zurückgelegt werden, um an die Frauen heranzukommen.”
Begriffsbestimmung
Auf der Suche nach einer gemeinsamen Diskussionsgrundlage stellte sich in Kleingruppen und den anschließenden Plenen heraus, daß unterschiedlichste Bereiche und Beschäftigungsverhältnisse berücksichtigt werden müssen. So zum Beispiel unterscheidet sich die älltägliche Arbeit einer bolivianischen Minenarbeiterin ganz erheblich von dem, was man allgemein unter Landfrauenarbeit verstehen würde. Die Definition, die für alle Frauen gleichermaßen paßte, war folgende: Sie lebt auf dem Land, ernährt sich und ihre Familie, ihre Arbeit wird oft nicht als Extraarbeitskraft erwähnt und sie leidet fast immer unter der Doppelbelastung Landarbeit/Hausarbeit. Bei Kreditvergabeprogrammen werden Landfrauen so gut wie nie berücksichtigt, da sie als Familienvorstände nicht anerkannt werden. Auch der Landerwerb ist in vielen Ländern den Männern vorbehalten, genauso wie der Verkauf von Produkten.
Das Schicksal des Ehrengastes Dona Elisabeth Alpina Teixeira, die nach der Ermordung ihres Mannes 17 Jahre unter falschem Namen lebte, ist leider keine Seltenheit. Während des Erfahrungsaustausches zum Thema “Gewalt gegen Landfrauen” berichteten erschütternderweise viele Frauen über sehr ähnliche Erfahrungen mit physischer, psychischer, sexueller und ökonomischer Gewalt innerhalb der Familie, bei der Arbeit, in Organisationen und durch die Regierung. Vergewaltigungen von Ehefrauen und Töchtern mit anschließenden Morddrohungen, falls die Opfer es wagen sollten sich zu wehren, sind keine Seltenheit.
Die Landarbeiterinnen überlegten sich Strategien, wie sie ihre Situation und die ihrer Kinder verbessern können. Wichtige Aspekte waren die Erziehung der Kinder im Hinblick auf Gleichberechtigung und die Stärkung der Landarbeiterinnenorganisationen.
Verarmung und Globalisierung
Auch ökologische Themen spielten eine wichtige Rolle während des Treffens. Vor einem imaginären Tribunal klagten die Cocaleiras (Kokapflanzerinnen) aus Kolumbien ihre Regierung an, die Herbizide im Kampf gegen den Drogenhandel versprüht und dabei die Vergiftung von Arbeiterinnen und deren Kindern in Kauf nimmt. Für viele Landarbeiterinnen ist der Anbau von Koka die einzige Chance zu überleben, denn der ehemals betriebene Kaffeeanbau bringt keinen Gewinn mehr.
Im Laufe der Diskussion wurde ein Zusammenhang zwischen zunehmender Verarmung im ruralen Sektor und Globalisierung der Wirtschaft bzw. neoliberaler Politik hergestellt, da die Staaten ihre Ausgaben für Bildung, Gesundheit und technischer Unterstützung mit fortschreitender Globalisierung reduzieren, wovon Frauen besonders betroffen sind. Helena Selma (Universidade Federal do Ceará) forderte eine differenzierte Agrarpolitik im Sinne von “positiver Diskriminierung” von Minderheiten wie z.B. KleinerzeugerInnen, um überhaupt eine Konkurrenzfähigkeit gewährleisten zu können.
Zwischen Diskussionsrunden und Plenen hatten die Veranstalterinnen bewußt Raum für kulturelle Veranstaltungen gelassen, der den Frauen die Möglichkeit gab, ihre eigene kulturelle Identität mit Musik, Kunsthandwerk und typischer Kleidung in den Mittelpunkt der Veranstaltung zu stellen. Hier wurde die Heterogenität, die sich vorher in den Diskussionsbeiträgen gezeigt hatte, noch einmal sichtbar.
Trotz einiger organisatorischer Mängel bedeutet das 1° Encontro Latino-Americano e do Caribe da Mulher Trabalhadora Rural einen wichtigen Schritt für die Landarbeiterinnenbewegung in Lateinamerika und der Karibik. Für die meisten Landarbeiterinnen und vor allem für die, die noch nie die Möglichkeit hatten ihre Region, geschweige denn ihr Land zu verlassen, war die wichtigste Erfahrung, zu wissen, daß es sehr viele Frauen mit den gleichen Problemen, Ängsten und Hoffnungen gibt, die für diesselbe Sache kämpfen.
KASTEN
Ehrengast Dona Elisabeth Altina Teixeira
Dona Elisabeth Altina Teixeira, eine heute 71jährige Bäuerin aus Paraíba, wurde 1984 berühmt, als der Dokumentarfilm “Cabra Marcado pra Morrer” (“Die zum Sterben verurteilte Ziege”) den goldenen Tukan auf dem Filmfestival in Rio gewann. Der Film erzählt die Geschichte ihres Lebens und der Ermordung ihres Ehemannes Joâo Pedro Teixeira.
Der Regisseur Eduardo Coutinho hatte Dona Elisabeth bei einem Protestmarsch sieben Tage nach dem Mord angesprochen, um mit ihr einen Film zu drehen, in dem sie sich selber darstellen sollte.
Einen Monat nach Drehbeginn gab es den Militärputsch. Das Filmaterial, von dem sich ein großer Teil schon in Rio befand, wurde beschlagnahmt und die Leute unter dem Verdacht der Gründung einer Guerilla verhaftet. 1981, also 17 Jahre später, drehten sie den Film zuende.
Dona Elisabeth, die die erste Tochter eines Großgrundbesitzers war, heiratete 1942 den Landarbeiter Joâo Pedro Teixeira, was ihr ihr Vater nie verziehen hat. Ihr Mann gründete in den 50-er Jahren in Sapé die Landarbeitervereinigung Associaçâo dos Trabalhadores Rurais, die, obwohl sie zu damaliger Zeit nicht als Gewerkschaft registriert werden konnte, nach kurzer Zeit rund 1700 Mitglieder hatte. 1962 wurde Joâo Pedro Teixeira in einem Hinterhalt ermordet.
Wenn Dona Elisabeth sich gefügt hätte, hätte sie mit der Unterstützung ihrer Familie rechnen können, aber sie entschied sich, den Kampf ihres Ehemannes fortzuführen. Sie wurde kurz nach dem Militärputsch für vier Monate ins Gefängniss gesperrt und flüchtete nach ihrer Freilassung mit ihrem jüngsten Sohn nach Rio Grande do Norte, wo sie 17 Jahre unter dem falschen Namen Marta Maria da Costa lebte. Ihre anderen neun Kinder mußte sie zurücklassen und sah sie erst nach der Amnestie Anfang der 80er Jahre wieder.
In den folgenden Jahren setzte sie sich unerschrocken für die Landlosen ein und wurde 1988 Zeugin wie einer ihrer Söhne, der zusammen mit 30 Landarbeitern die Landarbeitervereinigung Associaçâo de Pequenos Produtores Rurais gegründet hatte, ermordet wurde. Ihr Mut und ihre Unerschrockenheit brachten ihr sogar eine Einladung von Fidel Castro ein, der nach dem Tod ihres Mannes ein Beileidstelegramm schickte und einem ihrer Söhne ein Jurastudium in Kuba ermöglichte.
“Wenn ich heute so viele companheiras aus so verschiedenen Ländern hier sehe, dann weiß ich, daß sich all das Leiden gelohnt hat”, sagte Dona Elisabeth auf dem 1° Encontro Latino-Americano e do Caribe da Mulher Trabalhadora Rural.