Nummer 297 - März 1999 | Paraguay

General Oviedo und kein Ende

Paraguay in der politischen Krise

Durch das politische System Paraguays geht ein tiefer Riß. Die Regierung, das Oberste Gericht und das Parlament liegen im Streit miteinander, Präsident Cubas Grau und sein Vizepräsident Argaña sind erbitterte Feinde, die regierende Coloradopartei ist von der Basis bis zur Spitze gespalten. Dabei geht es nur um eine Person: Exgeneral Lino Oviedo.

Peter Altekrüger

Gehört der Exgeneral ins Gefängnis oder nicht? Das dürfte derzeit die meistdiskutierte Frage in Paraguay sein, und beide Antworten auf diese Frage bedeuten stets eine Verhärtung der Fronten. Nur für Oviedo scheint es bereits festzustehen. Lautstark verkündet er jedem, der es hören will, er gehe auf keinen Fall ins Militärgefängnis zurück, wohin er nach Meinung des Obersten Gerichts und der Mehrheit der beiden Parlamentskammern für die nächsten zehn Jahre gehört.

Der General mit Charisma

Oviedo wurde spätestens durch seine aktive Rolle beim Sturz der Stroessnerdiktatur im Februar 1989 im gesamten Land bekannt, als er mit entsicherter Handgranate den letzten Widerstand der Verteidiger des Diktators brach. Er stieg in den folgenden Jahren bis zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte auf und entwickelte darüber hinaus schnell politische Ambitionen. Und damit begannen die Schwierigkeiten.
Aus den schmerzlichen Erfahrungen langer Jahrzehnte der Diktatur hatten die Paraguayer in ihrer neuen Verfassung ein Verbot jeglicher politischer Betätigung für aktive Militärs festgeschrieben. Jedoch: Was für alle gelten soll, gilt nicht für Oviedo, so meint er zumindest selbst. Sein poltriges und lautstarkes Auftreten nach Wildwestmanier fand immer seine Anhänger und bildete ein herzerfrischendes Gegenstück zur etwas steifen paraguayischen Politik. Die Inhalte waren dabei weniger wichtig als die wirkungsvollen Parolen. Die politischen Ambitionen stießen schnell auf den Widerstand des damaligen Präsidenten Juan Carlos Wasmosy und mündeten 1996 in einen offenen Putschversuch von Oviedo gegen die Regierung. Oviedo wurde in den Ruhestand gezwungen von wo aus er verstärkt an einer politischen Laufbahn bastelte mit keinem geringeren Ziel, als der nächste Präsident zu werden. Und tatsächlich wurde er als Chef der Coloradofraktion Unace im vergangenen Jahr zum Präsidentschaftskandidaten nominiert. Allerdings hatten seine Gegner noch ein Ass im Ärmel. Drei Wochen vor den Wahlen im Mai wurde Lino Oviedo von einem Militärgericht wegen des Putschversuchs zu zehn Jahren Militärhaft verurteilt. Das Urteil wurde vom Obersten Gericht Paraguays bestätigt.

Ein Freund steht zu seinem Wort

Raúl Cubas Grau, ein langjähriger Freund Oviedos – beide besuchten 1958 gemeinsam das Colegio Militar –, wurde von Oviedo überredet, als Vizepräsidentschaftskandidat die Wahlen anzugehen. Nach der Verurteilung Oviedos befand sich der reiche Unternehmer Cubas Grau jedoch unversehens in der Position, selbst Präsident zu werden. Nach den Richtlinien der Colorados wurde Luis María Argaña als Zweitplazierter in den parteiinternen Vorwahlen automatisch zum neuen Vizepräsidentschaftskandidaten, auch wenn Cuba Grau und Argaña erbitterte Gegner sind.
Cubas Grau führte seinen Wahlkampf hauptsächlich mit dem Slogan, seine Wahl bedeute eine Amnestierung von Exgeneral Oviedo. Und überraschend klar gewann Cubas die Präsidentschaft. Bereits drei Tage nach seiner Amtsübernahme am 15. August 1998 erließ Cubas Grau ein Dekret, das seinen alten Freund in die Freiheit entließ. Mit dieser Entscheidung hielt er zwar sein während des Wahlkampfes gegebenes Wort, handelte sich jedoch auch massiven politischen Ärger ein, denn die scheidende Regierung Wasmosy hatte gemeinsam mit den Oppositionsparteien noch ein Gesetz verabschiedet, das eine Begnadigung durch den Präsidenten erst nach Verbüßung der Hälfte der regulären Haftzeit ermöglicht. Mit seinem Dekret verstieß Präsident Cubas Grau nun genau gegen dieses Gesetz.

Politische Manöver

Sowohl Befürworter als auch Gegner Oviedos begannen alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die jeweils eigene Position abzusichern. Zunächst war der Präsident am Drücker. Durch Umstrukturierungen in der Militärhierachie – der Präsident ist gleichzeitig der Oberkommandierende der Streitkräfte – wurde das alte Militärtribunal, das Oviedo verurteilt hatte, abgelöst und durch ein neues ersetzt. Dieses sprach Oviedo auch prompt von allen Anschuldigungen frei.
Das Parlament fühlte sich durch das Präsidentendekret brüskiert, weil durch das Parlament beschlossene Gesetze einfach nicht beachtet wurden. Jedoch ist das Parlament relativ blockiert. Die Oppositionsparteien sind in beiden Kammern in der Minderheit. Allerdings ist auch die regierende Coloradopartei selbst in drei Blöcke gespalten, die sich untereinander mehr bekämpfen als die eigentliche Opposition. Der Flügel um Vizepräsident Argaña und die Fraktion des Expräsidenten Wasmosy stehen mit der politischen Opposition gegen Präsident Cubas Grau.
Sie arbeiten gegenwärtig an einem Impeachmentverfahren, um Cubas Grau aus dem Amt zu jagen. Für eine Amtsenthebung ist in beiden Kammern eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Die letzten Abstimmungen in der zweiten Februarwoche über eine Amtsenthebung brachten jedoch nur 58 Prozent im Abgeordnetenhaus und 60 Prozent bei den Senatoren – knapp aber nicht ausreichend. Abgesehen davon weiß in Paraguay keiner so richtig, wie man in der Praxis mit Artikel 225 der Verfassung über eine Amtsenthebung umgehen soll, denn die Prozeduren sind nicht genau festgeschrieben. Wird der Vize neuer Präsident, oder gibt es Neuwahlen?
Das Amtsenthebungsverfahren ist nicht der einzige Unruheherd, auch Oviedo persönlich ist wieder im Spiel. Bereits im Dezember wurde er aus der regierenden Coloradopartei ausgeschlossen, in der Parteispitze hat der Argañaflügel die Macht und nutzte diese konsequent. Es gilt bereits jetzt, einen potentiellen Kandidaten für die in diesem Jahr stattfindende Wahl des Parteivorsitzenden aus dem Rennen zu werfen. Traditionell wird der Parteichef der Colorados auch der nächste Präsidentschaftskandidat. Deshalb hat Oviedo sämtliche juristischen Register gezogen, um diesen Parteiausschluß rückgängig zu machen: Ohne politische Basis hätte er keine Chance, und mit einer Parteineugründung wäre er der Spalter der Colorados, eine Option, die ein Eigentor werden kann.

Oberstes Gericht oder Präsident

Das Parlament rief den Obersten Gerichtshof an. Dessen Entscheidung hieß: Oviedo muß wieder ins Gefängnis. Am 4. Februar stellte das Oberste Gericht dem Präsidenten eine 72stündige Frist, innerhalb derer Oviedo wieder zu inhaftieren sei. Gleichzeitig erging die Anweisung an das oberste Wahlkomitee, Oviedo aus dem Wahlregister zu streichen. Er wäre damit seiner politischen Bürgerrechte beraubt und nicht mehr selbst wählbar. Der Präsident des Landes spielt indes auf Zeit und hat alle Unterlagen dem Generalstaatsanwalt übergeben. Noch ist Oviedo auf freien Fuß. Es stellt sich vor allem die verfassungsrechtliche Frage, ob der Oberste Gerichtshof dem Präsidenten gegenüber weisungsberechtigt ist. Welche ist in einer Demokratie die letzte Instanz?
Die Töne in Paraguay werden immer rauher. Oviedo drohte mit bewaffnetem Widerstand, Putschgerüchte gingen um, das Parlament erhielt mehrere Bombendrohungen, und dem obersten Richter Wildo Rienzi wurde mehrmals telefonisch der Tod angedroht. Die politischen und staatlichen Instanzen Paraguays sind heillos zerstritten, ein Weg aus dieser politischen Krise dürfte sehr schwer werden. Auch der Glanz von Oviedo selbst beginnt zu bröckeln, nach einer Umfrage der Tageszeitung Noticias vom 7. Februar sind 62,3 Prozent der Bevölkerung für eine Inhaftierung von Oviedo, und nur noch 23,9 Prozent sind der Meinung, eine Haftstrafe sei ungerecht. Auch das Verhältnis Oviedos zum Präsidenten ist nicht mehr ganz so ungetrübt, nachdem Oviedo erklärt hat, Präsident Cubas Grau würde ohne seine Zustimmung nicht einmal einen Unteroffizier in der Armee ernennen und auch sonst keine Entscheidung ohne vorhergehende Konsultation treffen. Die Degradierung zur bloßen Marionette in aller Öffentlichkeit gefiel dem Präsidenten gar nicht.
Trotz aller Unstimmigkeiten in der paraguayischen Gesellschaft scheint nur eine politische Lösung denkbar. Ein Militärputsch würde das Land isolieren und das Risiko einer Wirtschaftskrise, in die Paraguay durch den Haupthandelspartner Brasilien hineingezogen zu werden droht, nur noch vergrößern. Der Weg zur demokratischen Überzeugung und Praxis ist für Paraguay und die Paraguayer doch viel länger, als alle glaubten.

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