Gentechnik | Nummer 281 - November 1997

Gentech-Multis außer Kontrolle

Illegale Anti-Matsch-Tomaten in Guatemala aufgeflogen

Biosafety – die Sicherheit von genmanipulierten Organismen für Mensch und Umwelt – steht in Ländern, die mit ganz anderen ökonomischen Problemen zu kämpfen haben, nicht besonders weit oben auf der Agenda. Entsprechend wenig entwickelt sind Gesetze oder Verordnungen, die eine Kontrolle über genmanipulierte Pflanzen sowie ihren Im- und Export garantieren würden. Ob illegal in Guatemala oder legal in Südafrika, die Gentech-Multis meiden die Öffentlichkeit wie die Teufel das Weihwasser.

Jan van Aken

Es sind verschiedene Fälle dokumentiert, bei denen transnationale Konzerne Entwicklungsländer als Versuchskaninchen für genmanipulierte Pflanzen mißbraucht haben. Greenpeace Zentralamerika deckte 1996 einen ungenehmigten Versuch mit genmanipulierten Tomaten in Guatemala auf. Asgrow, eine US-amerikanische Gentechnikfirma, die sich auf verschiedene Gemüsearten wie Tomaten und Kürbis spezialisiert hat, besitzt eine Tochterfirma in Guatemala, die im Auftrag des Gentech-Multis Calgene 1995 und 1996 Versuche mit der sogenannten FlavrSavr-Tomate durchgeführt hat. FlavrSavr war die weltweit erste gentechnisch veränderte Pflanze, die zur Vermarktung zugelassen wurde (1994 in den USA). Es handelt sich dabei um die sogenannte Anti-Matsch-Tomate, die aufgrund der gentechnischen Manipulation länger haltbar ist.

Ohne Genehmigung

In Guatemala existierte – zumindestens bis 1996 – keine Gesetzgebung, die eine Kontrolle über Versuche mit gentechnisch veränderten Organismen erlauben würde. Einzig die guatemaltekische Saatgutverordnung („Regeln für die Produktion, Zertifizierung und Vermarkung landwirtschaftlichen Saatgutes“) regelt den Im- und Export. Sie hätte auch den Versuch mit Flavr Savr-Tomaten betroffen, da das genmanipulierte Saatgut aus den USA ein- und nach Versuchsende wieder ausgeführt wurde.
Wie in zahlreichen anderen Entwicklungsländern wird seit Mitte der 90er Jahre in Guatemala die Entwicklung von Biosafety-Regularien betrieben, und zwar unter Federführung der nationalen Biotechnologie-Kommission COMBIOTEC. Asgrow hatte zwar im September 1995 bei COMBIOTEC um Auskunft über das geltende Verfahren zum Import von genmanipuliertem Saatgut sowie für Freisetzungsversuche nachgefragt. Eine formelle Genehmigung wurde jedoch nicht erteilt, da seinerzeit noch keine gesetzlichen Regeln in Kraft waren. Bei der einzigen Behörde, die in jedem Falle hätte konsultiert werden müssen, nämlich dem Landwirtschaftsministerium, hat Asgrow zu keiner Zeit um Auskunft oder Genehmigung nachgesucht.
Der Versuch fand jedoch nicht nur ohne jegliche behördliche Genehmigung oder Kontrolle statt, er folgte nicht einmal den einfachsten Sicherheitsanforderungen. Er war als Gewächshausversuch angelegt – Recherchen von Greenpeace in Guatemala ergaben jedoch, daß das entsprechende Gewächshaus über weite Strecken offen stand, Ziegen ein- und ausgingen, und die Tomaten nach der Ernte außerhalb des Gewächshauses getrocknet wurden. Unter diesen Umständen ist ein Austrag des genetischen Materials aus dem Versuchsgelände relativ wahrscheinlich, da Tomatensamen auch gegen Verdauung sehr resistent sind und so durch Tiere in andere Gegenden verschleppt werden können.

Unkalkulierbare Risiken

Dies ist gerade in Guatemala besonders kritisch, da hier viele ursprüngliche Tomatenformen und auch wildwachsende Tomatenverwandte verbreitet sind, in welche die Asgrow-Gene eingekreuzt werden können. Im Umkreis von einem Kilometer um das Asgrow-Gewächshaus werden verschiedene kommerzielle und lokale Tomatensorten angebaut, zudem wurde der Versuch in einer Gegend durchgeführt, die als Diversitätszentrum für wilde Tomaten (Lycopersicon esculentum ceraciforme) gilt. Die Freisetzung von genmanipulierten Pflanzen birgt gerade in den Diversitätszentren dieser Welt unkalkulierbare Risiken und ist deshalb aus ökologischer Sicht besonders kritisch zu sehen.
Obwohl noch einige weitere Fälle von Freilandversuchen mit genmanipulierten Pflanzen ohne behördliche Kontrolle in Entwicklungsländern dokumentiert sind, ist dies zur Zeit eher die Ausnahme. Die Gentech-Multis sind sich der Brisanz eines halblegalen Versuches in Ländern des Südens durchaus bewußt, da es hierfür eine breite kritische Öffentlichkeit im Norden gibt.

Lieber legal

Aus diesem Grund haben sie ihre Freisetzungsversuche auf der Südhalbkugel vorzugsweise in den Ländern durchgeführt, die bereits eine Gentechnik-Gesetzgebung hatten. Calgene und Monsanto haben u.a. deshalb Südafrika als Versuchsstandort ausgewählt, weil dort durch das halbstaatliche „Südafrikanische Komittee für Gentechnologie“ (SAGENE) eine Überwachung von Versuchen mit genmanipulierten Organismen zumindest theoretisch vorgesehen ist.
Der Aufwand für die Firmen hält sich dabei in Grenzen. Zwar müssen umfangreiche Daten vorgelegt werden, durch die die Zulassungsanträge bisweilen auf mehrere hundert oder gar tausend Seiten aufgebläht werden. Aber da die Gesetzgebung in Südafrika nicht über die der USA hinausgeht, haben die Firmen all diese Daten schon vorher für ihre Versuche in den USA und anderen Ländern produziert. Diane Re, Zulassungsspezialistin bei Monsanto: „Die Daten, die wir für das Zulassungsverfahren in den USA vorlegen müssen, reichen vollkommen für alle anderen Zulassungsverfahren, beispielsweise in Europa oder Japan, aus.“ Gleiches gilt auch für die wenigen Entwicklungsländer, die eine formale Regulierung von Gentechnik-Experimenten vorsehen.
Zulassungsverfahren bieten für die Gentechnik-Multis bislang also kaum Hindernisse oder Mehraufwand, verschaffen ihnen dafür aber ein Saubermann-Image. Aus ökologischer und entwicklungspolitischer Sicht stehen deshalb weniger die vereinzelten illegalen Versuche im Mittelpunkt der Kritik, sondern die institutionalisierte Oberflächlichkeit im Umgang mit genmanipulierten Organismen. Bislang sind kaum Fälle bekannt, daß eine Regulierungsbehörde einen Versuch mit genmanipulierten Pflanzen abgelehnt hätte.

Friß oder stirb

Die Etablierung einer stringenten, sowohl an ökologischen als auch an sozioökonomischen Fragen ausgerichteten Risikobewertung, die über die Regulierungspraxis in Europa oder den USA hinausgeht, ist in kaum einem Entwicklungsland zu erwarten. Zu gering ist in den armen Ländern das öffentliche Bewußtsein für diese Fragestellung, zu gering die öffentlichen Mittel, die eingesetzt werden könnten, und zu vielschichtig die Problematik, als daß sie von den wenigen Fachleuten in den Entwicklungsländern umfassend bearbeitet werden könnte.
Selbst in einem Land wie Südafrika mit einer vergleichsweise guten ökonomischen Basis und einer breiten wissenschaftlichen Elite wird Biosafety äußerst stiefmütterlich betrieben. Bei einem Jahresetat (1995) von nur wenigen tausend Mark kann SAGENE kaum mehr als nur verwalten. Die Sicherheitsbewertungen werden auf ehrenamtlicher Basis von Universitäts-Wissenschaftlern durchgeführt, die verständlicherweise nur vor dem Hintergrund ihres eigenen Wissens urteilen können und keine Möglichkeit haben, sich so wie ihre hauptamtlichen Kollegen aus den Industrienationen in weitere spezifische Fragen einzuarbeiten.
Dabei kommen selbst die fundamentalsten Grundfragen einer Sicherheitsbewertung zu kurz. Sozioökonomische Fragen sind dabei gar nicht erst vorgesehen, und die Kontrollmöglichkeiten sind sehr begrenzt.
Während der Import genmanipulierten Saatgutes in Südafrika illegal ist, wird er in den meisten anderen Entwicklungsländern gar nicht geregelt – statt findet er seit einem Jahr überall dort, wo Mais oder Soja aus den USA eingeführt wird.
Die US-Multis hatten sich noch die Mühe gemacht, den Import ihrer genmanipulierten Produkte in Europa und Japan zu beantragen – bei fast allen anderen Ländern wurde das gar nicht erst für nötig gehalten. Den armen Ländern wird die genmanipulierte Ware nach dem Motto „Friß oder Stirb“ einfach vorgesetzt, aber auch zwischen Europa und den USA entspannt sich gerade ein Streit. Wegen anhaltender Proteste in vielen europäischen Ländern wird in Brüssel zur Zeit über eine weitergehende Kennzeichnung für Lebensmittel diskutiert.
Dagegen haben schon vorsorglich die USA protestiert und mit einer Klage bei der WTO gedroht, falls Europa ein diskriminierendes Label für Gentech-Essen einführen würde.
Auf Druck einzelner Entwicklungsländer – unterstützt von mehreren NGOs – konnte im Rahmen der Biodiversity Convention die Forderung nach einem „Protokoll für biologische Sicherheit“ durchgesetzt werden.

Biosafety Protocol

Seit zwei Jahren arbeitet eine sogenannte ad hoc working group an diesem Protokoll, das noch im Laufe des Jahres 1998 fertiggestellt werden soll. Das Biosafety Protocol soll Fragen des Im- und Exports mit gentechnisch verändertem Material ebenso regeln wie weltweite Standards für die Regulierung von gentechnischen Experimenten und Freisetzungen.
Da die USA bislang noch nicht einmal die Biodiversitäts-Konvention unterzeichnet haben, ist noch nicht absehbar, welche praktische Bedeutung das Biosafety Protocol einmal haben wird. Während sich auf der einen Seite gerade die G77-Länder formieren und einen sehr weitgehenden Entwurf für das Protokoll in die Diskussion geworfen haben, wird ihnen andererseits das Mitdiskutieren erschwert: Entwicklungsländer bekommen die Reisekosten für die Teilnahme an der ad hoc working group nicht mehr finanziert – was faktisch einen Ausschluß für die meisten der armen Länder bedeutet.
Greenpeace arbeitet gemeinsam mit anderen internationalen NGOs an der Durchsetzung eines Biosafety Protocols, das seinen Namen wirklich verdient und durch eine möglichst engmaschige Kontrolle über die Freisetzung genmanipulierter Organismen zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen kann.

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