Mexiko | Nummer 370 - April 2005

Genügend Wasser für alle?

Coca-Cola tarnt seine Aneignung der Wasserressourcen in Chiapas als selbstlose Hilfsaktion

Wenn die Wasservorkommen unseres Planeten zur Neige gehen, so prognostizierte die indische Wissenschaftlerin Vandana Shiva, wird das Wasser zum Erdöl des 21. Jahrhunderts, zu dem Naturstoff, um den die Kriege der Zukunft geführt werden. Die Kostbarkeit der lebenswichtigen Ressource zeigt sich in den Bemühungen privater Großunternehmen, die Kontrolle über Regionen mit reichen Wasservorkommen zu bekommen. Und welches Unternehmen braucht mehr Wasser als Coca-Cola, damit jeden Tag eine Milliarde Coca-Cola-Getränke auf der Welt die Kehlen hinabfließen können?

Madlen Schering

Jetzt gibt es in einem Umkreis von zwei Meilen keinen Tropfen Wasser mehr. Jeder Brunnen ist trocken, jede Zisterne ist leer, jeder Fluss ist ausgetrocknet”, berichtete die Inderin Vandana Shiva in ihrer Rede auf dem GATS-Kongress über den Handel mit Dienstleistungen im Mai 2003 in Köln, in der sie den verschwenderischen Umgang mit den Wasserressourcen durch Coca-Cola im indischen Kerala anprangerte. Coca-Cola hatte dort Land erworben und Recherchen von Corpwatch India zufolge täglich bis zu 1,5 Millionen Liter Grundwasser abgezapft. Die Bevölkerung begann unter extremem Wassermangel zu leiden und musste immer entferntere Anlaufstellen zur Trinkwasserversorgung aufsuchen. Was in Indien bereits Realität ist, könnte in Mexiko Zukunft sein.
Mexiko ist kein Land extremen Wassermangels, im Gegenteil. Rechnete man Mexikos Wasservorkommen auf seine BewohnerInnen um, so hätte jede Person 153 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung. Doch in der Realität steht dem großen potenziellen Angebot ein unerträglicher Mangel gegenüber, welcher auf die ungleiche Verteilung zurückzuführen ist. Einerseits herrscht im Norden größere Trockenheit als im Süden, andererseits wird das Wasser aus den Flüssen in die Städte geleitet, weshalb die Landregionen auf dem Trockenen sitzen – so zum Beispiel bei den Mazahua im Bundesstaat Mexiko, aus deren Region die Hauptstadt mit Wasser versorgt wird, während sie selbst kaum einen Zugang zum Wassernetz haben.
In Mexiko sinkt Jahr für Jahr der Grundwasserspiegel und die Wasserverschmutzung steigt. In den letzten fünfzig Jahren wurden Wasservorkommen aufgebraucht, die zwischen 10.000 und 35.000 Jahre alt waren. In der Region La Laguna im Norden Mexikos wird das Trinkwasser aus immer tieferen Schichten gewonnen, wo es einen hohen Salzgehalt aufweist. Die Wüstenbildung schreitet fort und in Mexiko-Stadt, das früher das Venedig Amerikas genannt wurde, trocknen die letzten Quellen aus. Der Bundesstaat Chiapas hingegen hat sich die reichsten und reinsten Wasservorkommen Mexikos bewahrt, was die Omnipräsenz Coca-Colas in Chiapas erklärt.

17,5 Prozent des Einkommens für Coca-Cola

Mexiko ist das Land mit dem höchsten Coca-Cola-Konsum weltweit und Chiapas unter den meistkonsumierenden Bundesstaaten des Landes, trotz der dort herrschenden Armut. Der Zeitschrift América economía zufolge trank im Jahr 2002 jeder Mexikaner durchschnittlich 487 Coca-Cola-Getränke im Jahr, dicht gefolgt von den US-Amerikanern mit 436 Getränken.
Der hohe Konsum in Chiapas ist sicher auch eine Konsequenz der heftigen Werbepräsenz der Coca-Cola-Company in dieser ländlichen Region. Während sich die Produkte des Erfrischungsgetränkekonzerns in den Städten den visuellen Raum mit vielen anderen Produkten der Konsumkultur teilen müssen, so sind Coca-Cola-Produkte die einzigen, die in den entlegenen indigenen Gemeinden des Hochlandes beworben werden und auch garantiert in jedem kleinen Dorfladen erhältlich sind. In Chiapas ist es heute wesentlich billiger und definitiv einfacher, einen Liter Coca-Cola zu kaufen, als einen Liter Wasser oder Milch.
Berechnungen zufolge gibt in einer indigenen Gemeinde eine Person bis zu 17,5 Prozent ihres Mindesteinkommens, das bei ca. 40 Pesos/Tag liegt, für Coca-Cola-Getränke aus.
Die Wassersysteme und die Vergabe von Wasserkonzessionen hat die mexikanische Regierung den Gemeinden und Landesregierungen übertragen. So gilt es also, die Herzen der Gemeindebewohner zu gewinnen, um an das wertvolle Nass zu gelangen. Dies ist der Grund weshalb der Konzern in Chiapas Allianzen mit Umweltorganisationen und mit den Gemeinderäten eingeht, die er beim Bau von Schulen und Internaten unterstützt.
Der Coca-Cola-Stiftung Chiapas zufolge, sind mit ihrer Hilfe in den letzten vier Jahren zahlreiche Schulen in den Gemeinden Pantelhó, Huixtán, Comitán und kürzlich auch in Pantepec gebaut worden. Außerdem wurden zwei indigene Schulinternate in den Gemeinden Tila und El Povenir neu ausgestattet. Von diesen Errungenschaften haben mehr als 850 Tzeltal-, Tzotzil- und Zoques-Kinder nach Angaben des Konzerns profitiert. Seit dem Amtsantritt des Präsidenten Vicente Fox, der zuvor als Coca-Cola-Manager tätig war, wurden 29 Schulen und 51 Internate gebaut. Im gleichen Zeitraum hat das Unternehmen Schulen, Bibliotheken und Sportplätze in den chiapanekischen indigenen Gemeinden, natürlich in Coca-Cola Farben, gestrichen und restauriert, denn dem Konzern liegt es am Herzen, seine „soziale Verantwortung” zu erfüllen. Beweis dessen ist auch die Säuberungskampagne des verunreinigten Grijalva-Flusses in der Nähe von Tuxtla Gutièrrez, die zum Ziel hatte, Tausende Coca-Cola-Plastikflaschen aus dem Gewässer zu fischen. Laut Coca-Cola: „Ein verantwortungsvoller Mitbürger zu sein impliziert auch die Erhaltung, Bereicherung und Pflege der Umwelt. Seit dem letzten Jahr hat Coca-Cola in Zusammenarbeit mit der Landesregierung von Chiapas, ECOCE und der Vereinigung zur Promotion des Recycling PET das Projekt „Allianz zur Rettung des Cañon de Sumidero” in Gang gebracht, mit dem Ziel die Schönheit und Erhabenheit eines der Naturschauplätze Mexikos wiederherzustellen und zu schützen.”
Multinationale Unternehmen, als Umweltschützer verkleidet, wie Coca-Cola, Ford Motors Company, Savia Seminis, oder der Pharmakonzern Bayer, „drängen darauf, die Natur zu erhalten, jedoch ohne Bevölkerung, schon gar nicht mit rebellischer,” heißt es in einer Veröffentlichung der Umweltschutzorganisation „Hölzer des Volkes im Südosten”. “Sie wollen sich der Bäume, der Tiere und des Wassers bemächtigen, um mit ihren Untersuchungen und Gerätschaften patentierte Medikamente, transgenes Saatgut und chemische Produkte herzustellen. Ebenso um Wasser abzufüllen und zu stauen”. Um so „an das mexikanische Volk und die Völker der Welt Essen, Medikamente, Wasser sehr teuer zu verkaufen”.
Anlässlich der Eöffnung der Telesecundaria 764 in Pantepec, San Isidro de las Banderas, informierte Coca-Cola, dass diese Schule mit „angemessenem Equipment für ein modernes Lernen” und einem Klassenraum für jede Alterstufe ausgestattet worden sei und verspricht, dass es in Zukunft „auch ein Computerzentrum, eine Bibliothek, Laboratorien, Aufenthaltsräume und menschenwürdige Toiletten geben wird”, wobei zu fragen wäre, worin denn nun die „angemessene Ausstattung für ein modernes Lernen” eigentlich besteht, die diese begnadete Schule für Zoque-Kinder bereits besitzt.
Eine Neigung zum Altruismus kann man Coca-Cola gewiss nicht nachsagen. Durch Umfragen in den indigenen Gemeinden wurde berechnet, wieviel von den von Coca-Cola in die Familien investierten Geldern durch Regierungsprogramme, welche Coca-Cola finanziell unterstützt, zum Konzern zurückfließen: Mehr als 50 Prozent der erhaltenen Gelder werden in Erfrischungsgetränke investiert.

Karitative Expansion inklusive Wasseraneignung

Während zahlreiche indigene Gemeinden, unter anderen Chamula, Zinacantán und Tenejapa, ihre internen Konflikte um den Zugang zu Wasser austragen und Machtkämpfe unter den Kaziken, welche die Verteilung des Wassers regeln, an der Tagesordnung sind und angeblich 30 Prozent der Haushalte ohne Wasseranschluss leben, installierte Coca-Cola Femsa im Jahr 2002 eine weitere Produktionsanlage in der Region und erhöhte seinen Wasserverbrauch. Diese Anlage befindet sich im Jovel-Tal (San Cristóbal de las Casas), in den Hügeln von Huitepec, einem ökologischen Reservat, das von der Umweltschutzorganisation “Pronatura” verwaltet wird, die wiederum von Coca-Cola Mexiko mitfinanziert wird.
Der Wasserverbrauch der Anlage in San Cristóbal de las Casas an nur einem Tag beträgt 823.500 Liter, dies entspricht dem Konsum von 223 Familen im Monat. Mit Unterstützung der lokalen Behörden und auf der Basis des Programms zur Beurkundung von Gemeinde- und Grundstücksrechten (PROCEDE), hat Coca-Cola die Rechte an den Förderbrunnen der Gemeinden und Landbewohner erworben, indem der Konzern ganze Landstriche aufgekauft hat.
Laut einer landesweiten Untersuchung der Agrarbehörde sind bereits 63 Prozent des Landes im PROCEDE registriert, das heißt privatisiert worden, berichtete die Tageszeitung Milenio Diario. Lediglich 17 Prozent des Landes in Chiapas werden auf kollektive Art und Weise von Campesinos/as bewirtschaftet.
Für tausend Liter Wasser zahlt Coca-Cola acht Pesos (ca. 50 Cent), 200 Liter Colakonzentrat kosten 100.000 Pesos. Die Fabrik zahlt somit einen lächerlichen Preis für das Wasser im Vergleich zu den Ausgaben am konzentrierten Zuckersirup. Die Kosten von 1000 Litern Wasser holt Coca-Cola mit dem Verkauf von einem Liter Cola wieder heraus. Große Gewinne erzielt Coca-Cola auch mit dem Verkauf des Flaschenwassers „Ciel”, angeblich ein großer Betrug, denn statt Quellwasser nähmen die Abfüllbetriebe einfach Leitungswasser aus dem öffentlichen Netz.
Nach der mexikanischen Verfassung sind die nationalen Wasservorräte ein öffentliches Gut und dürfen daher nicht privatisiert werden. Ein Menschenrecht darf man nicht verkaufen. Aber ist der Zugang zu Wasser ein Menschenrecht? Die Weltbank vertritt die Ansicht, dass Wasser ein menschliches Bedürfnis sei und kein Menschenrecht. Und für Bedürfnisse kann durchaus Geld verlangt werden. Mit der Überlassung des lebenswichtigen Gutes Wasser an profitorientierte Privatunternehmen ist Wasser als Grundrecht nicht mehr für alle garantiert.
Erfahrungen aus Indien und vielen anderen Orten der Welt, wo Wasser in immensen Mengen von transnationalen Unternehmen in Anspruch genommen wird, zeigen, dass dies einen extremen Trinkwassermangel für die Bevölkerung zur Folge hat.
Auf der anderen Seite geht die weltweit fortschreitende Privatisierung der Wassersysteme mit der Erhöhung der Preise für den Verbraucher einher. Ein Liter Flaschenwasser kostet in Mexiko heute soviel wie ein Liter Benzin. Nach jüngsten Untersuchungen geben die Marginalisierten, die den Mindestlohn oder darunter verdienen, rund 30 Prozent ihres Einkommens für den Wasserkauf aus.
Zahlreiche Widerstände von seiten der Bevölkerung haben sich formiert, welche die Erhaltung der natürlichen Ressourcen als Gemeinschaftsgut zum Ziel haben. In Uruguay, wo bereits 1992 der Ausverkauf von Staatsbetrieben per Abstimmung verhindert werden konnte, ist Anfang November 2004 ein Plebiszit gegen die Wasserprivatisierung durchgesetzt und gewonnen worden (siehe LN 366). Wasser ist n dem kleinen Land ein Menschenrecht und darf nur über staatliche Stellen verteilt werden. In Mexiko hingegen ist der Ausverkauf in vollem Gange. Der Krieg, den sich der Staat, die multinationalen Unternehmen, die Bevölkerung, Netzwerke und Organisationen um die Kontrolle des Wassers und der natürlichen Ressourcen liefern, hat in Mexiko bereits begonnen.

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